Frankreich vor dem Wahlkampf Macron stört das politische Kalkül

François Hollande wollte sich mit Wirtschaftsminister Macron einen Reformer in die Regierung holen. Nun hat er einen möglichen Rivalen im Rennen um die Präsidentschaft – und eine Bewegung namens „En Marche“ am Hals.

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Emmanuel Macron dreht auf: Der französische Wirtschaftsminister will mit seiner Bewegung

Paris Der junge Wirtschaftsminister Emmanuel Macron wirbelt die politische Landschaft Frankreichs völlig durcheinander. Beim ersten großen Meeting seiner Bewegung „En Marche“ gab er zu erkennen, dass er zur Präsidentschaftswahl im Mai 2017 antreten wird. „Uns kann nichts mehr aufhalten, wir tragen diese Bewegung bis 2017, bis zum Sieg“, rief er in den Saal, aus dem immer wieder Sprechchöre laut wurden: „Macron, Präsident“.

Auch wenn Macron noch nicht ausdrücklich sagte, er sei Kandidat: Nach diesem Abend kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass er sich von seinem politischen Ziehvater François Hollande befreit, der 2017 wiedergewählt werden möchte – und selber kandidieren wird. „Völlig klar, dass er jetzt Kandidat ist,“ sagten ein sozialistischer Abgeordneter und ein Senator der „Linken Radikalen“ nach dem Meeting.

Im völlig überfüllten großen Saal der Pariser „Mutualité“, einem der klassischen Orte der französischen Politik nahe der Sorbonne, veranstaltete Macron ein Treffen, das an amerikanische Wahlveranstaltungen erinnerte. Es gab kein Podium und keine Tribüne mit Honoratioren, auf einer blau-weiß-rot eingefärbten, ansonsten schmucklosen Bühne saßen gut 100 meist jugendliche Anhänger seiner Bewegung.

Bevor er selber auftrat, redeten Leute aus der Zivilgesellschaft und Vertreter unterschiedlicher Bürgerbewegungen. Alles sollte eine Botschaft ausstrahlen: Hier ist das Frankreich von unten, das sich von den konventionellen Parteien nicht mehr vertreten fühlt.

Ein an den Rollstuhl gefesselter 50-Jähriger aus dem armen Pariser Vorort Bobigny sagte, das in den Medien verbreitete Vorurteil, der Minister sei ein kalter Technokrat, könne nicht falscher sein: „Du bist ein Supertyp, du hast an der Sorbonne Handwerker ausgezeichnet, ich habe dich mit jungen Friseusen und Bäckerlehrlingen diskutieren gehört, wo andere Politiker sich nur gelangweilt abwenden.“

Macron werden eine angeblich elitäre und neoliberale Haltung und seine Karriere in der Investmentbank Rothschild von Gegnern in der Sozialistischen Partei vorgeworfen, der er selbst nicht angehört. Er könne zwar nicht mit Macron marschieren, „aber ich werde mit Dir rollen, und zwar sehr schnell“, versprach der Mann aus Bobigny.

Ein in Frankreich bekannter Organisator für die Alphabetisierung von benachteiligten Kindern reichte Macron die Hand „für eine Bewegung aller, die etwas machen wollen, um die Risse zu heilen, die unser Land zerreißen.“ Man müsse „die Macht der jakobinischen Parteien brechen“. In Anspielung auf die spanische Protestpartei Podemos rief er in den Saal: „Schaffen wir kein Podemos, sondern ein Hacemos (wir machen)“.

Ein sozialistischer Abgeordneter aus der Bretagne gab die Parole aus: „Die Welt hat sich geändert, nun muss die Politik sich ändern, wir müssen die Bank sprengen, und wer ist dafür besser geeignet als ein früherer Bankier.“ Damit erntete er große Heiterkeit.

Dann heizte er dem Saal mit der Bemerkung ein: „Dies ist ein historischer Moment, wir schreiben Geschichte, das Land muss wählen zwischen der Nostalgie und einer Bewegung, die jedem die Mittel zu seiner Freiheit gibt.“


Macron teilt gegen Hollande aus

Nach diesen Rednern, die ihm das Terrain bereiteten, trat Macron selber auf. Ohne Manuskript über die Bühne wandernd, weitgehend frei sprechend, mit dem einen oder anderen Blick auf einen Teleprompter, sprach er zwar viel von Veränderung, ließ sein Programm aber im Vagen.

„Wir sind eine Versammlung all derer, die einfach das Land verändern wollen, wir stören, weil wir das System beunruhigen, aber nichts darf uns aufhalten, wir können Frankreich verändern.“ definierte er „En Marche.“ Die Anhänger von En Marche hätten sich versammelt, weil „das Land ermüdet ist von den nicht gehaltenen Versprechungen“. Das war eine deutliche Spitze gegen den amtierenden Präsidenten Francois Hollande, Macrons politischen Vorgesetzten.

Sein kompliziertes Verhältnis zu ihm versuchte der Noch-Minister zu erklären: Es sei nicht seine Sache, Hollande und dessen Politik schlecht zu reden. „Ich habe viel Idealismus und Selbstlosigkeit in der Politik erlebt, aber ich habe auch die Blockaden gesehen, die extremen Widerstände, die Lobbys und die zu komplizierten Gesetze, die Menschen verwirren“, kurz: Ein neues politisches Angebot sei notwendig.

Mehrfach wiederholte Macron die Feststellung, das politische System Frankreichs sei „veraltet, ermüdet, abgenutzt, die Neugründung des Landes und seiner Institutionen“ sei notwendig.

Wie ein routinierter Politiker trat der 38-Jährige auf, der erst vor zwei Jahren in die Regierung kam und vorher lediglich ein politischer Berater Hollandes war. „Das alles ist keine Frage von Personen und persönlichem Ehrgeiz, sondern ein neues kollektives Abenteuer für mutige Entscheidungen.“ Es gebe „immer noch Leute, die denken, man könne weitermachen wie bisher.“ Ein weiterer Tritt in Hollandes Kniekehle.


Macron sieht sich als dritte Kraft in Frankreich

Doch trotz aller Kritik deutete Macron mit keinem Wort an, dass er die Regierung verlassen werde. Er scheint abzuwarten, bis der Präsident selber ihn aus der Regierung wirft – und damit seinen profiliertesten Reformer verliert, der ihm Stimmen aus der politischen Mitte und von Nichtwählern sichern sollte.

Macron hat am Dienstagabend keinen Zweifel mehr daran gelassen, dass seine Bewegung genau dafür nicht da ist: Stimmen für Hollande zu sammeln. Er bezeichnete sich als Linker, grenzte sich aber sowohl von den Sozialisten als auch von den Konservativen ab. Seinen Zuhörern malte er aus, wie die nächsten Monate ablaufen würden: Die Linke werde in einer Primärwahl ihren Kandidaten benennen, die Rechte genauso, dann würden beide versuchen, Stimmen im Zentrum zu fischen.

Macron machte deutlich, dass er sich als dritte Kraft sieht: „Wenn wir uns nicht mobilisieren, wird die einzige Wahl im Mai 2017 sein, gegen die Front National, gegen die Linke oder gegen die Rechte zu stimmen.“

An dieser Stelle erinnerte nichts mehr an den früheren Berater im Schatten der großen Politik. Macron war ganz Wahlkämpfer, rief mit kräftiger Stimme den knapp 3000 Versammelten zu: „Aber die Präsidentschaftswahl ist nicht eine Wahl gegen etwas, wir werden gemeinsam vorangehen, unsere Chance gemeinsam ergreifen, heute Abend sind wir da, um unser Recht zu verlangen: Für ein Projekt zu stimmen, für eine Vision, für unser Land.“

Der junge Störenfried auf Frankreichs politischem Parkett kann sogar Pathos: Mit den Worten, das sei die „Schlacht der nächsten Monate, wir werden alle Risiken eingehen und ich werde sie mit euch eingehen, weil wir ab heute die Bewegung der Hoffnung sind, und nichts mehr hält diese Bewegung auf“, begeisterte er seine Anhänger.

Nun kann Macron nicht mehr zurück. Ob er wirklich eine Chance hat zwischen den Kandidaten der Linken, der Rechten und der Front National, frage ich den schon zitierten Abgeordneten und den Senator. „Es ist sehr knapp, aber es gibt eine Möglichkeit, denn sehr viele Franzosen können die Parteien nicht mehr ertragen.“

Eins ist klar: Seit Dienstagabend stört ein politischer Joker namens Macron das langweilige Spiel der Linken und der Rechten und ihr Kalkül.

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