Frankreich vor der EM Die App gegen den Terror

Mit einer App will Frankreich seine Bürger bei einem Terroranschlag warnen. Eine gute Idee – doch ganz rund läuft das Programm noch nicht. Unser Korrespondent hat die App „Saip“ ausprobiert.

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Vor der EM will Frankreich seine Bürger und Touristen zur Installation dieser App bewegen. Sie soll bei einem Anschlag hilfreiche Informationen übermitteln. Quelle: dpa

Paris Die Idee ist ziemlich genial: Unmittelbar vor dem Anpfiff zur Fußball-Europameisterschaft bringt das französische Innenministerium eine App auf den Markt, mit der die Nutzer vor Terroranschlägen und anderen Gefahren gewarnt werden können. Während der Terroranschläge des vergangenen November in Paris hatte die Polizei keine Möglichkeit, die Passanten im 10. und 11. Arrondissement zu warnen, wo die Terroristen in Cafés und Restaurants um sich schossen. Die Meldungen der Nutzer über die sozialen Netzwerke waren so chaotisch und widersprüchlich, dass sie kaum zu brauchen waren. Taxifahrer berichteten später, dass sie nicht wussten, wohin sie mit den Leuten fahren sollten, die sie auf der Straße aufnahmen.

Eine sinnvolle Initiative also. Der kleine Haken dabei: Anfangs läuft das Programm unter Android nicht richtig. Im Netz gibt es zahlreiche wütende Reaktionen von frustrierten Usern, die die App auf ihr Android-Smartphone geladen haben und dann sehen, dass sie nichts sehen, denn das Programm verabschiedet sich schon beim ersten Startversuch.

Vor dem Selbstversuch zögere ich etwas: Ein Programm des Innenministeriums, mit dem man der Behörde Zugriff auf die eigenen Standortdaten und auf dem Handy gespeicherte Dateien erlaubt: Näher kann man der Orwellschen Vision von der totalen Überwachung wohl kaum kommen. Nur das es hier auch noch ganz freiwillig geschieht.

Aber die Suche nach der Wahrheit hat ihren Preis, also installiere ich die App, was in wenigen Sekunden problemlos funktioniert. Ich habe die französische Version gewählt, es gibt auch eine englische. Doch schon beim ersten Versuch, die App ans Laufen zu bringen, stürzt sie ab. Alle weiteren Versuche bleiben erfolglos, und ich lese mit wachsender Begeisterung die teils unflätigen Kommentare anderer frustrierter User.

Das „Warn- und Informationsprogramm für die Bevölkerung“ (Saip) hat bereits eine längere Vorgeschichte. Im Jahre 2012 hat das Innenministerium die Rüstungssparte von Airbus, die damals noch Cassidian hieß, mit dem Programm beauftragt. Anfangs sollte es lediglich aus einer stabilen, geschützten Funkverbindung zwischen der Zentrale und in ganz Frankreich verteilten Warnzentren bestehen, die mit Sirenen ausgestattet sind. Damit sollte die Bevölkerung im Falle von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, einer Sturmflut oder Orkanen gewarnt werden.

Bei den ersten Versuchen stellte man allerdings fest, das kaum ein Franzose die verschiedenen Sirenensignale deuten konnte. Deshalb kam schnell die Idee auf, neben den Sirenen auch moderne Techniken der Kommunikation wie SMS, soziale Netzwerke oder eine Applikation zu nutzen.


So weit haben die Terroristen uns gebracht

Die allerdings stellt Airbus Defence and Space, wie das Unternehmen mittlerweile heißt, nicht mehr her. Die Tochtergesellschaft Secure Land Communications, die bei Paris ansässig ist, zeichnet lediglich für die sichere Radioverbindung verantwortlich. Airbus will das Unternehmen demnächst verkaufen, weil es mehr mit Telekommunikation als mit Verteidigung zu tun hat. Mit im Angebot hat es auch den französischen Polizeifunk. Die App hat ein kleines Pariser Unternehmen namens Deveryware im Auftrag des Ministeriums entwickelt.

Am Donnerstagmorgen versuche ich, im Innenministerium eine hilfreiche Seele zu finden, die bei der störrischen App weiterhelfen kann. „Schicken Sie uns bitte eine Mail mit Ihrer Frage“. lautet die Standardantwort, auf die sich mittlerweile offenbar alle Ministerien in der gesamten EU verständigt haben. Nach stundenlangem Warten, ich laufe gerade um das Stade de France und wundere mich über die gelassene Stimmung und die geringe Polizeipräsenz, meldet sich schließlich eine Pressesprecherin und ist völlig verblüfft, als ich sie frage, wann denn eine Version des Programms angeboten werde, die auch unter Android funktioniert. „Das läuft doch einwandfrei“, sagt sie im Brustton der Überzeugung. Ich frage sie, ob sie ein Android-Smartphone hat. Hat sie nicht. Dann kläre ich Sie darüber auf, dass nicht nur ich, sondern zahlreiche andere User das so sinnvolle Programm leider nicht ans Laufen bekommen. „Installieren Sie es doch einfach noch mal“, rät sie mir. Gut, warum nicht.

Diesmal installiere ich die englische Version, starte sie und: Die läuft tadellos. Ich kann bis zu acht Gemeinden per Postleitzahl eingeben, über die ich informiert werden will. Sobald ich mich in eine dieser Kommunen begebe und es dort einen gefährlichen Vorfall gibt – was ich hoffentlich nie erleben werde - bekomme ich in Zukunft eine Warnung. Der Bildschirm wird rot und die Einsatzzentrale des Innenministeriums gibt Hinweise, wie und wo man sich in Sicherheit bringen kann. Voraussetzung: Die App muss im Hintergrund mitlaufen und die Geolokalisierung muss ständig eingeschaltet sein.

Das wiederum setzt voraus, dass ich jetzt ganz fest an das große Indianerehrenwort des Innenministers glaube: Es werden weder Standortdaten noch Dateien gespeichert, die sich auf den Smartphones der App-Nutzer finden. So weit haben es die Terroristen mit uns gebracht: Ich werfe mich der Daten-Krake selber in die Arme!

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