Frankreich vor der Wahl Dauerfeuer auf Macron

Elf Politiker, zwei Moderatorinnen, fast drei Stunden Sendezeit: Von ganz links bis ganz rechts schießen sich die Präsidentschaftsbewerber auf Emmanuel Macron ein – mit tatkräftiger Unterstützung aus Russland.

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Scheinwerfer auf Emmanuel Macron: Der sozialliberale Präsidentschaftskandidat bekommt von allen Seiten Saures. Quelle: Reuters

Paris Der Wahlkampf vor der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl biegt langsam auf die Zielgerade ein. Geklärt hat er nicht viel. Gab es bei früheren Urnengängen zweieinhalb Wochen vor der Wahl zwei weit vorne liegende, klare Favoriten, hat sich heute das Feld der Bewerber immer noch nicht richtig auseinandergezogen.

Die Demoskopen sehen den Sozialliberalen Emmanuel Macron ungefähr gleichauf mit der rechtsextremen Marine Le Pen. Doch auf die Umfragen gibt man nicht mehr so viel wie früher.

Das Misstrauen schüren die Demoskopen selber. Nicht wegen der angeblichen Prognose-Desaster beim Brexit und der Trump-Wahl, sondern weil die Experten stets neue Gründe dafür finden, wieso diese Wahl völlig aus dem Rahmen falle: Nie zuvor habe es so viele Wähler gegeben, die sich enthalten oder einen weißen Stimmzettel abgeben wollen, nie seien sie so unentschieden oder wankelmütig gewesen und nie war die Bindungskraft der traditionellen Parteien geringer. Und da wollen die Fachleute jetzt schon wissen, wie es ausgeht?

Unentschieden sind in Wirklichkeit auch die Demoskopen selber. Vor drei Wochen gab sich Frédéric Darbi, Chef des seriösen Instituts Ifop, noch gewiss: „Frankreich wird wieder eine sehr hohe Wahlbeteiligung erleben.“ Inzwischen verkünden die Forscher unisono, die Beteiligung verspreche deutlich geringer als früher auszufallen. Das könne sich aber auch noch ändern. Ach so.

Verständlich, dass man dem seit Wochen nahezu unverändert prognostizierten Zieleinlauf nicht mehr recht traut, mit Macron/Le Pen um 25 Prozent, dahinter knapp unter 20 Prozent der Konservative François Fillon und dann der weit links agierende Jean-Luc Mélenchon. Neue Auguren gewinnen Beachtung, wie die kanadische Gesellschaft Filteris. Die wertet die Netzaktivität aus und ist nach eigener Aussage dazu in der Lage, auch positive und negative Einstellungen herauszufiltern. Sie will festgestellt haben, dass Fillon unterschätzt werde und knapp vor Macron liege.

Die Botschaft verbreitet nun auch Fillons Mannschaft unermüdlich – und schießt sich auf Macron ein, statt die gefährliche Le Pen zu attackieren. „In der Kriegskunst gilt: Sie müssen erst die nächste Schlacht gewinnen, dann den Krieg“, sinniert Reserveoffizier Henri de Castries, Ex-Chef des Versicherers Axa und nun wirtschaftspolitischer Vordenker von Fillon. Damit will er sagen, dass Fillon nicht Le Pen, wohl aber Macron am Einzug in die Stichwahl hindern und anschließend in der zweiten Runde, Le Pen besiegen könne.


Trotzkist Poutou bringt Le Pen aus der Fassung

Eine Offiziersschule muss man nicht besucht haben, um auf diese Idee zu kommen. Alle schlagen derzeit auf Macron ein, sie haben die Auseinandersetzung mit der Rechtsextremen eingestellt oder nie aufgenommen. So auch am Dienstagabend, als alle elf zugelassenen Kandidaten im Fernsehen debattierten.

„Herr Macron, finden Sie es nicht skandalös, dass die Bank Rothschild die Übernahme französischer Unternehmen durch ausländische Firmen organisiert?“ griff der rechtspopulistische Kandidat Nicolas Dupont-Aignan den Ex-Minister an, der früher bei Rothschild gearbeitet hat. „Wirklich unglaublich“, murmelte Le Pen.

Macron war diesmal angriffslustiger als bei der ersten TV-Debatte. Nach einer antieuropäischen Tirade Le Pens warf Macron ihr vor, nicht nur den Wohlstand und die Kaufkraft der Franzosen zu gefährden: „Sie wollen zurück zum alten Nationalismus, aber Nationalismus bedeutet Krieg, ich komme aus einer Region, die voll ist von Soldatenfriedhöfen.“

Die fast dreistündige Sendung mit elf Politikern und zwei Moderatorinnen zeigte aber vor allem, wie sinnlos ein solches Format ist. Die Journalistinnen hatten ihre liebe Mühe, die Teilnehmer zur Einhaltung der Redezeit zu bewegen, und wirkten mehr als einmal wie verzweifelte, überforderte Lehrerinnen im Clinch mit aufsässigen Schülern. Statt einer Diskussion gab es im Stakkato von den im Halbkreis aufgestellten Kandidaten vorgetragene Auszüge aus den jeweiligen Programmen.

Debattenstimmung kam nur einmal auf, als der trotzkistische Kandidat Philippe Poutou die Front National-Chefin angriff: „Frau Le Pen, Sie wollen gegen das System sein? Sie greifen in die Kasse des Europaparlaments, und wenn Sie von der Polizei vorgeladen werden, gehen Sie nicht hin, weil Sie parlamentarische Immunität genießen: Ein Arbeiter kann sich das nicht erlauben, der hat keine Arbeiter-Immunität.“

Alle Zuhörer applaudierten dem Trotzkisten, bis auf die Kolonne der Le Pen-Anhänger selbstverständlich. Der aus der Fassung geratenen Rechtsextremen fiel nichts Besseres ein, als zu sagen: „Man wirft meinen Mitarbeitern im Europaparlament vor, sie arbeiteten in Wirklichkeit nicht für Europa. Ich bin stolz darauf, dass sie nicht für Europa, sondern dagegen arbeiten.“ Da war sie dahin, die Fassade der Wohlanständigkeit.

Die FN-Chefin hat Macron als den Gegner auserkoren, den sie erledigen muss. Sie weiß, dass der 39 Jahre junge Ex-Wirtschaftsminister mit seiner Botschaft: Wir richten uns nach dem, was Frankreich stärker und gerechter macht und nicht nach den Etiketten „links“ oder „rechts“, näher an der Stimmungslage der Franzosen ist als die Traditionalisten Fillon oder Mélenchon. Gegen den Versöhner Macron hat Le Pen mit ihren Hassparolen gegen Ausländer und Europa nur eine geringe Chance. Gegen den von Skandalen gezeichneten Fillon schon eher.


Russische Hacker versuchen, Macron zu sabotieren

Besonders aktiv gegen Macron gehen Leute vor, die in Frankreich weder kandidieren noch wählen dürfen: russische Experten für das Werfen von Nebelkerzen und die Vernichtung der persönlichen Reputation. „Wir können nachweisen, dass die Hacker von der Gruppe APT 28, auch bekannt als 'Cozy Bear' oder 'Fancy Bear', in Frankreich zunehmend aktiv sind“, sagt David Grout, der in Paris die amerikanische Firma für IT-Sicherheit FireEye vertritt, dem Handelsblatt. Ziel der Russen sei Macron.

Zwei Arten von Angriffen sind Grout zufolge nachweisbar: Versuche, direkt in das Netz von Macrons Bewegung „En Marche!“ einzudringen, um es lahmzulegen, und große Wellen von Propaganda in den sozialen Netzwerken. Russische Chatbots, Roboter für das massenhafte Wiederholen von Meldungen, verstärkten dort Nachrichten der russischen Propagandamedien RT Today und Sputnik.

Beide vor allem im Internet agierenden Medien haben seriösen Journalismus längst hinter sich gelassen und verbreiten platte Lügen, möglichst griffig aufbereitet. „Assange: Enthüllungen über Macron in den Mails von Clinton“, titelte Sputnik Ende März. „Boy George unterstützt Macron kurzfristig weil er glaubt, der sei schwul und links“, meldete RT.

„Ex-Minister Macron könnte ein US-Agent sein, der Lobbyarbeit im Interesse der Banken macht“, nannte sich ein weiterer Schmutzfladen, den Sputnik auswarf. Da schließt sich der Kreis: Macron, der Rothschild-Mann, sagt Le Pen; Macron, der Banker mit Judennase, so karikierte Fillons Web-Mannschaft den Gegner. Nach einem Tag entschuldigte sich Fillon.

In abgeschwächter Form wiederholen alle seine Feinde die Attacke: Macron, „der Kandidat des Finanzsystems“, nennt ihn Le Pen, „der Vertreter des Geldes“, sagen Mélenchon und der Linkssozialist Hamon. Gut möglich, dass das Dauerfeuer Spuren hinterlässt. Allerdings nicht bei allen Franzosen.

Am vergangenen Donnerstagabend diskutierte Macron mit gut 100 Jugendlichen aus der Banlieue in Saint-Denis im Norden von Paris. Im Publikum: fast nur Schwarze und Nachkommen von Migranten aus Nordafrika. „Ihre Gegner werfen Ihnen vor, Sie seien Millionär – uns stört das nicht, wir möchten auch gerne reich werden, wir haben die Armut satt!“, amüsierte sich eine Kleinunternehmerin.

Als einziger Kandidat spricht Macron Diskriminierung offen an, als einziger fordert er, Arbeitgeber zu sanktionieren, die bei der Bewerbung Kandidaten nach Vornamen oder Wohnort ausfiltern. Dabei argumentiert er nicht moralinsauer, sondern verweist auf die wirtschaftlichen Zusammenhänge: Frankreich brauche alle seine Talente und könne sich „Misstrauen und Ausgrenzung gegenüber bestimmten Franzosen“ nicht erlauben.

Das wird honoriert. „Man hat mich schon als Migranten, als Nordafrikaner, als Muslim bezeichnet, nur als eines noch nicht: als Franzose, der ich bin“, freute sich der Kabarettist Yassine Belattar in der Diskussion mit Macron.

Möglicherweise ist das Bündnis des Sozialliberalen mit allen, die Frankreich verändern wollen, ja stärker als die konzentrierten Angriffe von Russen, Le Pen und Fillon.

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