Frauen des Terrors Die unterschätzte Gefahr

Seit der IS auf dem Rückzug ist, kehren immer mehr Terroristen nach Europa zurück. Die Behörden sind mit einer neuen Herausforderung konfrontiert. Nie zuvor waren unter den potentiellen Attentätern so viele Frauen.

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Nicht nur Europa kämpft mit der Emanzipation der Frauen im Terrorismus.

Jakarta / Tel Aviv RAF-Gründerin Ulrike Meinhof, die Schwarzen Witwen in Tschetschenien oder die palästinensische Flugzeugentführerin Leila Khaled. Schon immer waren auch Frauen unter den Terroristen, die ihre politischen oder religiösen Ziele mit erschreckender Gewalt verfolgten. Trotzdem war der Schock groß, als die Streitkräfte in Mossul vier deutsche Dschihadistinnen unter den IS-Anhängern festnahmen. Man rätselt über die Motive, die Hoffnungen und die Hintergründe der jungen Frauen, die ihren geordnete Heimat verlassen haben, um sich in den Dienst der Terroristen zu stellen.  Auch, weil es immer mehr werden.

Selten zuvor waren so viele Frauen in Terrorbewegungen aktiv. Und noch etwas fällt auf: Sie rekrutieren sich aus einer Vielzahl von Ländern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zusammen mit den vier deutschen Dschihadistinnen wurden zum Beispiel in Mossul auch Frauen aus der Türkei, aus Russland, aus Kanada, aus Tschetschenien, aus Libyen und aus Syrien aufgegriffen.

Vor einer Woche war bekannt geworden, dass sich auch die 16-jährige Linda W. aus Sachsen unter den festgenommenen befand. Die Schülerin war im vergangenem Sommer aus Deutschland verschwunden und hatte sich dem IS im Irak angeschlossen. Zuvor war sie zum Islam konvertiert.

Deutschland ist ein besonders attraktives Pflaster für die Rekrutierung von Terroristinnen. Von den mehr als 930 Personen, die laut Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Richtung Syrien und Irak gereist sind, um dort für Terrorgruppen wie den IS zu kämpfen oder sie zu unterstützen, sind 20 Prozent Frauen. Das Terrorpotential ist groß: Ein Drittel der Personen sei mittlerweile wieder in Deutschland, und mehr als 70 Personen waren aktiv am IS-Terror beteiligt.

Europol-Direktor Rob Wainwright warnt deshalb vor einer neuen Gefahr. Schätzungsweise 2500 IS-Terroristen werden in nächster Zeit aus dem Irak oder aus Syrien nach Europa zurückkehren. Es sei zu befürchten, dass viele ihr Terrorhandwerk, das sie beim IS gelernt haben, auch in Europa anwenden werden. Dabei soll laut Europol-Experten nicht nur das Durchschnittsalter der potentiellen Attentäter deutlich niedriger sein als früher. Unter den Rückkehrern gebe es auch deutlich mehr Frauen, die einen Anschlag verüben könnten. Wainwrights Warnung ist verständlich: Unter den 718 mutmaßlichen IS-Terroristen, die die Polizei im letzten Jahr verhaftet hat, waren ein Viertel Frauen. Der aktuelle Trend - mehr Frauen und mehr Jugendliche - bedeute, dass Europa neue und spezielle Methoden finden müsse, um mit dieser Gefahr fertig zu werden, meint Michèle Consinsx, Vorsitzende der EU-Justizbehörde Eurojust. Aber nicht nur Europa kämpft mit der Emanzipation der Frauen im Terrorismus.

IS-Frauen bedrohen auch Länder wie Indonesien. So war die 27jährige Dian Yulia Novi beinah die erste weibliche Selbstmordattentäterin Indonesiens. Im Dezember vergangenen Jahres war sie in Jakarta mit einer Dampfkochtopf-Bombe verhaftet worden. Ein Mitglied vom IS habe sie beauftragt, sich während der zeremoniellen Wachablösung am Präsidentenpalast in der indonesischen Hauptstadt in die Luft zu sprengen. Und Novi ist kein Einzelfall. Auch in Bali wurde erst im Dezember eine Frau mit ähnlichen Absichten festgenommen. Beide Frauen waren Reinigungsmitarbeiterinnen. Sie seien über eine IS-freundliche Frauenhilfsorganisation in Kontakt mit der Terrorgruppe gebracht worden.

„Ich glaube, das ist der Beginn einer neuen Entwicklung, nicht nur in Indonesien, sondern in der Region Südostasien“, meint Sidney Jones, Direktorin des Instituts für Konfliktanalyse (IPAC) in Jakarta. Frauen, die den IS bisher aus dem Hintergrund unterstützt hatten, als Mütter oder Gattinnen von Dschihadisten, wollten eine aktivere Rolle, heißt es in einer Studie: „Und sie drängen die Männer dazu, ihnen eine zu geben.“

Warum sich Frauen zu Terrorgruppen hingezogen fühlen, weiß die kanadische Terrorforscherin Mia Bloom. Zentral sei dafür oft die Beziehung zu einem Dschihadisten, dem sie dann folgen. Von politischem und religiösem Engagement bis zur Ausführung eines terroristischen Aktes sei es allerdings ein langer Weg, sagen Experten. Dabei spiele aber der Kontakt mit Gruppen, die eine fundamentalistische Auslegung der Religion verfolgen, eine wichtige Rolle. Soziale Medien seien für Frauen heute das Instrument der Wahl, kommt IPAC in einer Studie zum Schluss.  „Frauen können an radikalen Chaträumen teilnehmen, Männer treffen, IS-Propaganda lesen, ihre Hoffnungen und Wünsche ausdrücken und gleichgesinnte Freund finden – alles in der relativen Sicherheit verschlüsselter Nachrichten“. Die Beinahe-Attentäterin Dian Novi hatte den Auftrag zum Mord von ihrem IS-Agenten über den Sofortnachrichtendienst Messenger erhalten.


Sicherheitskräfte sind auf Frauen nicht vorbereitet

Indoktrinierte Begleiterinnen von gefallenen indonesischen IS-Dschihadisten, die aus Syrien und Irak zurückkehren, stehen zuoberst auf der Liste jener Frauen, die sich dem Terrorismus zuwenden könnten. Laut Sidney Jones sind aber auch Frauen gefährdet, die als Gastmigrantinnen im Ausland arbeiteten. „Sie haben ein größeres Selbstbewusstsein, eine bessere internationale Perspektive, sprechen besser Englisch oder Arabisch und haben mehr Erfahrung mit Computern als daheim gebliebene Frauen.“ Außerdem hätten diese potenziellen Terroristinnen im Ausland ein starkes Bedürfnis gehabt, zu einer „Gemeinschaft“ zu gehören. Das mache sie zu einem „attraktiven Ziel für die Anwerbung“ durch männliche IS-Kämpfer.

Im Westen fällt es schwer zu verstehen, weshalb sich Frauen freiwillig ausgerechnet Organisationen anschließen, die Frauen unterdrücken und ausbeuten. Sind sie dann einmal dabei, würden viele andere Frauen unterdrücken, gegen sie Gewalt anwenden oder die strikten Kleidervorschriften durchsetzen. Die Motive, sich dem IS anzuschließen, seien oft ähnlich wie bei Männern: Abenteuerlust, Frustration, Entfremdung oder, vor allem bei Konvertiten, religiöser Eifer.

Wie Consinsx meint auch Jones, dass die Sicherheitskräfte schlecht auf die Gefahr weiblicher Terroristinnen vorbereitet seien. „Sie durchsuchen Frauen in der Regel weniger genau als Männer, wenn sie durch Metalldetektoren gehen“, so die Analystin. „Und in Gefängnissen schenken sie Frauen weit weniger Beachtung, obwohl schon lange klar ist, dass Frauen als Kuriere eine Schlüsselrolle spielen.“ Diese kulturell und religiös motivierte Zurückhaltung von Sicherheitskräften, Frauen auf versteckte Waffen, Sprengstoff oder andere verbotene Gegenstände und Nachrichten zu kontrollieren, wird auch im arabischen Raum ausgenutzt.  

Dort spielen Terroristinnen ebenfalls eine zunehmend prominente Rolle. Weil es für männliche Dschihadisten schwierigerer geworden ist, durch die Maschen der Sicherheitskontrollen zu schlüpfen, werden für Anschläge jetzt auch Frauen rekrutiert, zitierte neulich eine saudi-arabische Zeitung den Sprecher der Innenministeriums in Riad. Damit nützten die Terrornetzwerke den Respekt vor der Privatsphäre aus, den man Frauen in der arabischen Kultur entgegenbringe. Dadurch sei bei ihnen die Wahrscheinlichkeit grösser als bei Männern, nicht ertappt zu werden. Boko Haram setzt ebenfalls gezielt auf Frauen, weil sie bei der Tatvorbereitung weniger Verdacht als Männer erwecken. So sprengten sich vor einem Jahr in einem nigerianischen Flüchtlingslager zwei Frauen in die Luft, die sich als Flüchtlingsfrauen ins Camp geschmuggelt hatten.

Anfänglich wollten religiöse Dschihadisten nichts davon wissen, Palästinenserinnen als Selbstmordattentäterinnen einzusetzen. Doch mit dem Ausbruch der Zweiten Intifada änderte sich das. “Märtyrinnen,” meinte damals ein angesehener Scheich, “schreiben eine neue und glorreiche Geschichte.” Eine der ersten Terroristinnen im Dienst einer säkularen Terrororganisation war die Palästinenserin Leila Khaled. Nachdem sie im Jahre 1969 ein Flugzeug der amerikanischen Airline TWA entführt hatte, wurde sie zur Ikone des  palästinensischen Widerstands. Mit ihrer Tat habe sie bewiesen, dass auch in der arabischen Welt Frauen ihren Mann stellen können, sagt Eileen Maconald, die ein Buch über weibliche Attentäter geschrieben hat.

Als erste islamistische Selbstmordterroristin gilt die 17jährige Libanesin Sanaa Mehaydle: 1985 jagte sie sich im Südlibanon in ihrem weißen Peugeot in die Luft; zwei israelische Soldaten verloren ihr Leben. Mehaydle wurde posthum zur Legende; auf Todesanzeigen pries man sie als „Braut des Südens.”

Während der Intifada griffen die Terrorstrategen wiederholt auf Frauen zurück. So zündete im Herbst 2003 die 28-jährige Hanadi Jaradat in einem Restaurant in Haifa einen Bombengürtel. 21 Israeli bezahlten dafür mit ihrem Leben, 51 wurden verletzt. Im Gazastreifen rühmte sich eine Terroristin damit, dass sie 400 Frauen zur Hand habe, die nur darauf warten würden, Israelis zu töten und sich dabei selber zu opfern. Vom Schlachtfeld in die Küche zu den Kindern und zum Mann ins Bett - so schilderte sie ihren Tagesablauf. Für Aufsehen sorgte im Januar 2004 auch Reem Riyashi aus Gaza-City. Sie war die erste Frau, die sich der radikal-islamischen Hamas als Selbstmordattentäterin zur Verfügung stellte. Bei ihrem Attentat verloren nicht nur vier Israeli ihr Leben, sondern auch zwei Kinder ihre Mutter.

Auch die Scheichs haben sich etwas einfallen lassen, um die Benachteiligung der Frau im Jenseits zu kompensieren. Während im Paradies auf männliche Selbstmordattentäter laut islamischer Tradition  72 Jungfrauen warten, wird Märtyrerinnen versprochen, dass sie im Paradies schön, glücklich sowie frei von Neid sein würden.

Im Irak könnte der 16-Jährigen Linda W. derweil für die Unterstützung des IS und eine mögliche Heirat mit einem IS-Kämpfer die Todesstrafe drohen. Das hält die Bundesregierung nach eigener Einschätzung allerdings für unwahrscheinlich. Würde sie nach Deutschland ausgeliefert werden, müsste sie sich wahrscheinlich einem Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung stellen, wie es gegen viele Rückkehrer eingeleitet wird. Allerdings besteht zwischen Deutschland und dem Irak kein Auslieferungsabkommen.

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