Frauenrechte Einsamer Kampf in Marokko

Nabila Mounib gehört zu den wenigen Frauen in einem politischen Spitzenamt in der arabischen Welt. Sie kämpft nicht nur für Gleichberechtigung, sondern probt auch den Spagat zwischen Beruf und Familie.

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„Ich will ein Vorbild sein, ein historisches Vorbild, ein erfolgreiches Vorbild“, sagt die Professorin für Endokrinologie. Quelle: AP

Casablanca Auf diesen Moment hat Nabila Mounib ihr Leben lang hingearbeitet: Die Marokkanerin führte ihre linkssozialistische Partei in die Parlamentswahlen im vergangenen Monat. Und trotz ihrer Niederlage bleibt die 56-Jährige eine Ikone im Kampf für Gleichstellung und eine einsame Spitzenpolitikerin in der traditionell von Männern dominierten arabischen Welt.

„Ich will ein Marokko, wo Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau bedeutet, dass eine Frau sowohl in einem Hidschab als auch in Shorts vor die Tür gehen kann und glücklich darüber sein kann, eine Frau zu sein“, sagte Mounib, nachdem ihre Vereinigte Sozialistische Partei zusammen mit zwei Bündnispartnern bei der Wahl am 7. Oktober den Einzug ins Parlament verfehlt hatte.

Die Professorin für Endokrinologie ist die ranghöchste Politikerin in ihrem Heimatland. Bei der Wahl strebte die dreifache Mutter selbst ein Abgeordnetenmandat an. Die Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf kennt sie gut. Noch vor Bekanntgabe des Wahlergebnisses verabschiedete sie sich auf einer Wahlparty von ihren Anhängern, um nach Hause zu fahren und ihrem Sohn bei den Hausaufgaben zu helfen.

In der arabischen Welt hat Mounib als Frau in einem hohen politischen Amt noch immer Exotenstatus. Marokko liegt mit Blick auf die Geschlechterkluft in der Politik laut dem Weltwirtschaftsforum auf Platz 97 von 145 Staaten. Viele andere Länder in der Region liegen noch darunter.

Trotz der Hoffnungen, die der Arabische Frühling vor fünf Jahren geweckt hatte, sind in der Region nur 17,6 Prozent aller Parlamentssitze mit Frauen besetzt. Das ist der zweitniedrigste Anteil weltweit. In Marokko liegt er bei 20,5 Prozent, was vor allem an einer Frauenquote liegt.

Mounib hat nach eigenen Worten früh gelernt, dass Frauen mehr leisten müssen als Männer, um sich zu bewähren. „Frauen müssen sich bei allem, was sie tun, besonders anstrengen“, sagte die 56-Jährige. „Mein Hauptmotiv, um in die Politik zu gehen, war, diese Höhen zu erreichen und die Mauern dorthin für andere Frauen einzureißen. Ich will ein Vorbild sein, ein historisches Vorbild, ein erfolgreiches Vorbild.“

Der zweiwöchige landesweite Wahlkampf im Herbst lastete schwer auf ihren Schultern. „Ich spüre diesen Druck, wenn ich ehrlich bin“, sagte die Politikerin. Bei ihren Kundgebungen hörte ihr das überwiegend männliche Publikum ohne Zwischenrufe und Unterbrechungen zu. Vielleicht kamen Mounib dabei ihre lebhafte, zupackende Art und ihre kraftvolle Stimme zugute. „Unsere Gesellschaft bringt uns bei, schüchtern und zurückhaltend zu sein“, sagte sie. „Ich war schon immer sehr geradeheraus.“


Ein Vorbild für die Tochter

Aufgewachsen ist Mounib als siebtes von neun Kindern in Casablanca. Ihr Vater, ein Diplomat, ermunterte die Tochter in ihrem frühen Interesse an Politik, beantwortete ihre Fragen und kaufte ihr Bücher. Er nahm sie auch mit in sein Büro, wo er Würdenträger empfing. In einer patriarchalen Gesellschaft sei ein fördernder Vater für ein Mädchen der Schlüssel zum Selbstvertrauen, sagt Mounib heute.

Sie promovierte an der Universität von Montpellier in Frankreich und wurde nach ihrer Rückkehr nach Casablanca in den 80-er Jahren Hochschuldozentin. Sie stieg in die Führung des Professorenverbands auf und wurde politisch aktiv.

Mounibs heute 25-jährige Tochter Dounia sagt, sie sei als Kind oft vom Vater, der in der Versicherungswirtschaft arbeitet, mit Essen versorgt worden, wenn die Mutter bei Terminen gewesen sei. Im Kontrast dazu seien einige ihrer Freundinnen selbst in ihrem gehobenen Wohnviertel Anfa von den Eltern angewiesen worden, ihre Brüder zu bedienen.

Ihre Mutter ist für Dounia ein Vorbild. „Schon die Tatsache, dass diese Frau so etwas Großes verantwortet, lässt mich alles für möglich halten“, sagte sie. „Ich sehe mich selbst in ihr.“

Auch bei vielen Wählerinnen kam Mounib im Wahlkampf gut an, in dem sie sich für soziale Gerechtigkeit, bessere Bildung und den Kampf gegen Vetternwirtschaft einsetzte. Die Politikerin gebe „den Frauen Stärke, weil sie kompetent und einem Mann ebenbürtig ist“, sagte die 38-jährige Chenna Hadhoum auf einer von Mounibs Kundgebungen.

Dennoch reichte es in diesem Anlauf nicht für einen Einzug ins Parlament: Das Bündnis „Föderation der demokratischen Linken“ mit Mounibs Partei scheiterte an der Drei-Prozent-Hürde. Wahlsieger wurden die gemäßigten Islamisten der Regierungspartei PJD, die ihre Mehrheit verteidigen konnten.

Mounib kündigte als Konsequenz an, sich nicht zur Wiederwahl als Parteivorsitzende zu stellen. Doch ein Ende ihres politischen Engagements kommt für sie nicht in Frage: „Ich ziehe meine Turnschuhe an und kehre an die Basis zurück“, erklärte sie.

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