Freier Markt Neuseeland: Die cleversten Bauern

Vom Wohlfahrtsparadies in den Siebzigerjahren entwickelte sich Neuseeland zu einem Land mit freien Märkten. Besonders die Landwirtschaft profitiert vom deregulierten Markt und ist höchst wettbewerbsfähig.

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Milchkühe Quelle: dpa

Für Wirtschaftsliberale ist Neuseeland der Paradefall schlechthin. Kein anderes Land der Welt hat jemals derart schnell und radikal seine Märkte entfesselt. Noch in den 70er-Jahren glich Neuseeland einem Wohlfahrtsparadies: Die Regierung verteilte freigiebig Subventionen, kontrollierte Preise, Löhne und Wechselkurse und rühmte sich einer Arbeitslosigkeit von beinahe Null.

Bald aber stand der Versorgungsstaat vor dem ökonomischen Kollaps. Die Ölpreiskrise hatte dem Land zugesetzt; zugleich drohte mit Englands Beitritt zur EG der verlässlichste Absatzmarkt für Wolle, Lammfleisch und Butter wegzubrechen. Vergeblich versuchte die Regierung, die Wirtschaft mit immer neuen Subventionen zu stützen. Die Staatsschulden explodierten. Eine Blitzwahl brachte schließlich 1984 den politischen Machtwechsel. Und ausgerechnet die Sozialdemokraten waren es, die Neuseeland nun systematisch nach den damals vorherrschenden liberalen Wirtschaftsideologien umkrempelten. Sie privatisierten, deregulierten und kürzten.

Minimale Subventionen

Nicht alles funktionierte. Eisenbahn und Fähren, von privaten Betreibern heruntergewirtschaftet, sind heute etwa wieder in Staatshand. Für die exportabhängige Landwirtschaft aber, Rückgrat der neuseeländischen Wirtschaft, waren die Reformen ein Glücksfall.

Neuseelands Bauern gelten als die cleversten der Welt, denn sie bekommen seit 1984 keine Subventionen mehr. Sie produzieren dennoch kostengünstiger, umweltfreundlicher und ertragreicher als in allen anderen Industrieländern. Mit Beihilfen von gerade mal einem Prozent ihrer Farmerlöse, in der Regel Flut- oder Dürrehilfen, liegen sie im OECD-Vergleich an letzter Stelle. Anders europäische Bauern: Subventionen machen 27 Prozent ihrer Einkommen aus.

Eine Fahrt durchs grüne Weideland der Milchregion Waikato auf der Nordinsel lüftet das Geheimnis des neuseeländischen Agrarerfolgs. Es gibt keine teuer beheizten Ställe und keine aufwändigen Futtertransporte. Stattdessen steht das Vieh ganzjährig auf der Weide und grast. Das spart Geld und Energie. Und es geht nicht um irgendein Gras und irgendein Vieh, sondern um von Molekularbiologen entwickeltes Weidelgras, weißen Klee und Chicoree. Und um wetterfeste Milchkühe, die von High-Tech-Züchtern auf Ergiebigkeit und Fruchtbarkeit getrimmt worden sind.

Gentechnische Manipulation von Pflanzen und Tieren ist in Neuseeland tabu, doch mit geschicktem Kreuzen steigern Bauern ihren Ertrag. Routinemäßig gebären Schafe etwa Zwillinge und Drillinge, das Gras ist nahrhafter, Tiere geben mehr Milch und Fleisch. Das erklärt etwa, weshalb Neuseeland zwischen 1990 und 2009 nach Angaben des Bauernverbandes Federated Farmers of New Zealand sieben Prozent mehr Lammfleisch produziert hat, obwohl die Zahl der Lämmer um 55 Prozent sank. Kiwifrucht-Bauern erwirtschaften heute mit neuen goldgrünen Sorten acht bis zehn Mal so viel wie in den 80er-Jahren.

Wachsender Agrarsektor

Laufend erfinden kreative Köpfe neue Maschinen: rotierende Melk-Karussels, elektronische Kuh-Registriersysteme, hoch gerüstete Weidezäune und Instrumente, die Grashalme millimetergenau analysieren. 38 Prozent der neuseeländischen Innovationen in der Landwirtschaft sind Weltneuheiten, belegt das Statistikamt. Kein Wunder, dass seit den Reformen die Produktivität im Agrarsektor mit jährlich 3,3 Prozent rund dreimal so schnell wächst wie in der Gesamtwirtschaft. 

„Zurück zum alten System mit Subventionen will niemand mehr“, sagt Milchbauer John Luxton, 46, ehemaliger Landwirtschaftsminister und jetzt Aufsichtsratschef von DairyNZ, einem von Milchbauern finanzierten Forschungsverband. Gerade weil Neuseeland seine Erzeugnisse unverfälscht zum Weltmarktpreis verkaufen müsse, sei die Branche heute so innovativ und schlagkräftig: „Wir sind gezwungen, wettbewerbsfähig zu bleiben.“

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