Freytags-Frage

Darf man mit Lebensmitteln spekulieren?

Weltweit hungern noch immer Millionen von Menschen. Die Schweizer sollen am Sonntag in einem Referendum über Spekulation mit Nahrungsmitteln entscheiden. Kann das den Hunger in der Welt beenden?

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Für diese Produkte müssen Sie 2016 mehr zahlen
Preise für Gas Quelle: dpa
Günstige Preise für Superbenzin Quelle: dpa
Niedriger Dieselpreis Quelle: dpa
Heizöl Quelle: dpa
Gesundheitspflege Quelle: dpa/dpaweb
Hotel und Gastronomie Quelle: dpa
Alkohol und Tabak Quelle: AP

In der Schweiz wird am Sonntag erneut abgestimmt. Eine der Fragen, die die Bevölkerung beantworten soll, lautet: "Wollen Sie die Volksinitiative 'Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!' annehmen?"

Diese Frage berührt ein hochemotionales Thema, denn immer noch leiden viel zu viele Menschen unter Hunger. Außerdem hat es in den vergangenen Jahren mehrfach Preisausschläge gegeben. Das hat viele Nichtregierungsorganisationen, aber auch die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nation (FAO) zu Kampagnen gegen Finanzgeschäfte bewogen.

Hinter der Frage steht somit auch die These, dass Finanzmarktspekulationen mit Weizen, Baumwolle, Rinderhälften und anderen Lebensmitteln dazu führen, dass die Preise für Lebensmittel erstens volatil sind und zweitens steigen. Um diese Frage zu beantworten, bietet sich an, die Argumente theoretisch zu durchleuchten und einen Blick auf empirische Ergebnisse zu den Ursachen der Preisaufschläge zu werfen. Wir werden uns diese Zweiteilung hier sparen und die Argumente vortragen.

Landwirtschaftliche Produktion ist recht wetterabhängig, das heißt die produzierte Menge kann stark schwanken. Dies sorgt auch für Preisschwankungen, die zunächst einmal unabhängig von der Marktorganisation und den Finanzierungsbedingungen sind. Solche Preisschwankungen können dazu führen, dass ein sog. Schweinezyklus entsteht, weil bei hohen Preisen für zum Beispiel Weizen (oder Schweine) viele Landwirte in den Weizenanbau (oder die Schweinezucht) investieren. Es ist leicht einzusehen, dass dann als Folge der gestiegenen Produktion die Preise wieder fallen.

Deswegen werden sich Anbieter zurückziehen mit der Folge von erneuten Preissteigerungen. So entsteht ein Zyklus, der übrigens gelegentlich auch auf anderen Märkten, zum Beispiel dem Arbeitsmarkt für Lehrer und Ingenieure, zu beobachten ist. Gegen diese Art von Preisschwankungen können sich Landwirte durch Terminverkauf seiner Produkte schützen. Sie nehmen entgangene hohe Gewinne in sehr guten Jahren in Kauf und schützen sich vor hohen Verlusten in schlechten Erntejahren. Im weiteren Verlauf kann der Käufer der Ware auf Termin wiederum mit dem Verkauf von Derivaten das Risiko für sich minimieren.

Foodwatch prangert Kindermarketing für Lebensmittel an
Foodwatch: Kindermarketing für Lebensmittel Quelle: Foodwatch
Mondelez Quelle: Foodwatch
ferrero Quelle: Foodwatch
Intersnack Quelle: Foodwatch
Coca-Cola Quelle: Foodwatch
Pepsico Quelle: Foodwatch
Danone Quelle: Foodwatch

Im Idealfall wird dadurch eine stabile Preisentwicklung über die Zeit erreicht, zumindest im Trend. Grundsätzlich ist übrigens anzumerken, dass permanente Spekulation gegen den Trend zu Verlusten führt; anders gewendet: Im Idealfall führt Spekulation zu Glättung und nicht zu Volatilität Wie passt dies zum Befund drastisch steigender Lebensmittelpreise in den vergangenen zehn Jahren?

Darauf gibt es mehrere Antworten: Erstens ist der langfristige Trend der Lebensmittelpreise fallend, zumindest unter Berücksichtigung des real wachsenden Einkommens. Dies ist auch nachvollziehbar, denn die Nachfrage nach Lebensmittel sinkt mit steigenden Einkommen relativ – wenigstens ab einem Mindesteinkommen, das in manchen Entwicklungsländern nicht erreicht ist –, denn die Kapazität für Nahrungsaufnahme ist begrenzt. Was sich ändert, sind die Essgewohnheiten. Man isst bessere Produkte und vor allem mehr Fleisch.

Fleischkonsum ist ein Preistreiber

Damit sind wir beim zweiten Preistreiber, dem Fleischkonsum. Dieser steigt seit Jahren an mit Folgen für die Preise. Für die Fleischproduktion wird viel mehr Getreide für das Verfüttern verbraucht, als die Menschen beim Verzehr und der Aufnahme der gleichen Kalorien benötigen würde. Das bedeutet, dass der tatsächliche Input an Getreide durch verstärkten Fleischkonsum deutlich über dem liegt, den die Menschen bei gleicher Kalorienzahl durch den direkten Verzehr des Getreides verbrauchen würden.

Dadurch steigen unter sonst gleichbleibenden Bedingungen auch die Getreidepreise. Während in Deutschland (mit Thüringen an der Spitze) eine Grenze erreicht worden zu sein scheint, ist in Schwelle- und Entwicklungsländern eine weitere Nachfragesteigerung zu erwarten. Die Preissteigerung drohen somit, sich fortzusetzen.

Weitere Treiber sind politischer Natur. Zunächst ist die Landwirtschaftspolitik in den Industrieländern zu sehen, die systematisch Anbieter aus Entwicklungsländern von den eigenen Märkten fernhält.

Das hält die Preise in den Industrieländern künstlich hoch. Es sorgt aber auch dafür, dass es sich in Entwicklungsländern oft gar nicht lohnt, in Landwirtschaft zu investieren, vor allem wenn die Überschüsse aus den Industrieländern zu Dumpingpreisen exportiert werden. Die senkt zwar kurzfristig die Preise, zerstört aber die Strukturen (und treibt die Preise langfristig).

Insofern ist es positiv zu werten, dass auf dem Ministertreffen der Welthandelsorganisation im Dezember in Nairobi Exportsubventionen für landwirtschaftliche Produkte endgültig verboten wurden. Das Angebot in Entwicklungsländern wird oft auch dadurch unterdrückt, dass die Landwirte wenig Marktmacht haben und sich gegen die teils staatlichen, teils privaten Zwischenhändler nicht zur Wehr setzen können. So bleiben die Farmen klein und Skalenerträge können nicht ausgenutzt werden.

Die Preise sind dann zu hoch, weil die Kosten hoch sind. Zudem haben Regierungen in Exportländer wie Russland (Getreide) und Argentinien (Rindfleisch) auf die Preissteigerungen der letzten Dekade mit Exportverboten reagiert, um die Priese im Inland zu senken. Dadurch ist aber die internationale Preisvolatilität nur angeheizt worden.

Schließlich führt die politisch gewollte Nutzung von Getreide als Input für Biosprit dazu, dass immer weitere landwirtschaftliche Flächen der Produktion von Nahrungsmitteln entzogen werden. Mit einem Kilogramm Mais kann man entweder eine dreiköpfige Familie mit einem Kind einen Tag lang (zugegeben etwas einseitig) ernähren oder 15 Kilometer mit dem Auto fahren! Zudem sorgt die Nachfrage nach Getreide für Biosprit vielfach für einen Verzicht auf eine Dreifelderwirtschaft und dauerhaftes Auslaugen der Böden. Dies steigert langfristig die Preise auf indirekte Weise.

Diese Befunde sind durch viele empirische Studien dadurch untermauert worden, dass diese Studien nicht zeigen konnten, dass Finanzakteure ursächlich für steigende und schwankende Preise landwirtschaftlicher Erzeugnisse verantwortlich waren; einen Überblick bietet das Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien in Halle. Insofern ist nicht zu erwarten, dass ein Verbot des Terminhandels zu Preisglättungen führen wird, selbst wenn dadurch manche exzessive Praxis der Finanzmarktakteure unterbunden werden sollte.

Es gibt bereits heute landwirtschaftliche Märkte, auf denen der Terminhandel untersagt ist, zum Beispiel der Zwiebelmarkt in den Vereinigten Staaten; die Preise schwanken ganz beachtlich. Der Schweizer Nationalrat hat die Initiative übrigens als volkswirtschaftlich schädlich eingestuft und rät der Bevölkerung, sie abzulehnen. Den Hunger in der Welt kann sie nicht beenden; dafür bedarf es besserer Politik (übrigens auch in der Schweiz). Die Schweizer sollten diesen Rat ernst nehmen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%