Freytags-Frage

Warum ist die Freiheit der Wissenschaft so wichtig?

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Fundament der demokratischen Gesellschaft droht zu zerbröckeln

Erkenntnisfortschritt – zumal in den Geistes- und Sozialwissenschaften – findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern ist zumindest teilweise das Ergebnis eines öffentlichen Diskurses. Gerade das Zusammenwirken der Wissenschaft mit der Öffentlichkeit schafft die Atmosphäre, die Wissenschaftler zu großen Ideen anregt. Insofern hängt mehr als das Wohl einiger Wissenschaftler an der Freiheit der Wissenschaft. Eine starke Wissenschaft bildet eines der Fundamente einer offenen und demokratischen Gesellschaft. Kluge Regierende wissen das. Sie halten die Kritik und die Anregungen der Wissenschaft aus.

Ein wachsender Konformitätsdruck gefährdet die Freiheit der Wissenschaft. Gerade unter Ökonomen fehlt der Mut zum Widerspruch gegen herrschende Meinungskartelle.
von Ferdinand Knauß

Doch selbst in Deutschland passiert das oft nur widerwillig. Zwei Fälle sind in unguter Erinnerung geblieben: die Polemik des Bundesfinanzministers gegen kritische Stellungnahmen einiger Ökonomen zu den Rettungspaketen im Zuge der Eurokrise sowie die Reaktion der Regierung auf den Plagiatsskandal um den damaligen Minister zu Guttenberg. Man brauche einen Minister, keinen Assistenten, hieß es damals lapidar aus dem Kanzleramt. Die Reaktion der Wissenschaft war laut – und die Bundesregierung ging anschließend deutlich differenzierter mit der Problematik um. Gleiches gilt für den Bundesfinanzminister.

Dennoch darf sich die Wissenschaft nicht auf die Gnade der Politik verlassen. Stattdessen sollte sie ihre Standards einhalten und ständig einer Prüfung unterziehen. Nur so kann sie Attacken und Polemiken mit der gebotenen Sachlichkeit abwehren und auf Angriffe wie denen in den USA, der Türkei oder Ungarn mit klaren, aber sachlich vorgetragenen Stellungnahmen reagieren.

Außerdem muss sich die Wissenschaft die Unterstützung der Bevölkerung sichern. In Ungarn sind vor zwei Wochen 70.000 Menschen für die Central European University auf die Straße gegangen. Außerdem haben zahlreiche Wissenschaftler, Institute und Universitäten ihre Solidarität zum Ausdruck gebracht. Viktor Orbán ließ das zwar offenbar kalt, wichtig sind solche Aktionen trotzdem.

Ökonomen müssen immer häufiger nachweisen, dass ihre Studien auf moralisch einwandfreie Weise zustande kamen. Topjournals verlangen ein Ethiksiegel. Das stellt deutsche Ökonomen vor Probleme.
von Bert Losse

Am Samstag findet weltweit ein „March for Science“ statt, bei dem Bürger und Wissenschaftler in Universitätsstädten für die Freiheit der Wissenschaft demonstrieren werden. Das ist ein guter Start. Es muss aber deutlich werden, dass es den Protagonisten nicht um Entfristungen, mehr Stellen oder sonstige Privilegien geht. Sondern vielmehr um die Zukunft der Wissenschaft. Um die Quelle des Fortschritts in technologischer und gesellschaftlicher Gestalt. Und damit letztendlich um die Zukunft der offenen Gesellschaft.

Es ist kein Zufall, dass gerade populistische Politiker und Parteien die Wissenschaft kleinreden wollen. Ihnen geht es um Manipulation, um Macht ohne Rücksicht auf die Menschen und deren Werte. Es lohnt sich aus vielen Gründen, für die Freiheit der Wissenschaft einzutreten. Überall auf der Welt.

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