Gegenwärtig findet das Frühjahrstreffen von Internationalen Währungsfonds (IWF) und Weltbank statt, das insgesamt eine Woche dauert und am kommenden Sonntag beendet wird. Zahlreiche Themen zur Geld-, Währungs- und Fiskalpolitik auf der einen und Entwicklungspolitik auf der anderen Seite werden diskutiert; erwähnenswert sind einige Veranstaltungen zur Zukunft der Makroökonomik sowie detaillierte Betrachtungen entwicklungspolitischer Alternativen.
Dieses Themenspektrum spiegelt erstens die generelle Arbeitsteilung zwischen dem (IWF) und der Weltbankgruppe wider. Ersterer soll sich um Zahlungsbilanzungleichgewichte, Währungskrisen und andere kurzfristigen makroökonomische Krisen kümmern, während die Weltbank für Strukturprobleme und deren Lösung, also für langfristige Entwicklung zuständig sein soll.
Zweitens deutet sich an, dass die beiden Institutionen nicht gleichermaßen gut aufgestellt sind. So wirkt der Internationale Währungsfonds auf der Suche nach grundsätzlichen Strategien zur Bewältigung der multiplen Krisen (Weltfinanz- und -wirtschaftskrise auf der einen, europäische Staatsschuldenkrise auf der anderen Seite) etwas überfordert, während die Weltbank den Eindruck vermittelt, sich gefangen zu haben und Politik zu machen, die im Einklang mit neuen entwicklungspolitischen Erkenntnissen ("Institutions matter!") ist.
Was ist das Problem des IWF, der im Augenblick verunsichert wirkt? Zunächst fällt auf, dass einige vormals anerkannte Zusammenhänge immer weniger Gültigkeit haben. So wird die Geldpolitik zwar immer expansiver, aber die relevante Geldmenge M3 verändert sich nicht (zumindest nicht in diesem Maße). Somit verpufft die zur Stimulierung angelegt Geldpolitik in den Industrieländern, schafft aber zugleich andere potentielle Probleme. Es droht Inflation am langen Ende, und die Regierungen werden immer stärker von niedrigen Zinssätzen abhängig, wie in Japan und in der sog. Peripherie der Eurozone zu beobachten. Insofern ist es nachvollziehbar, dass der IWF zwei Tage des Frühjahrstreffens zum Thema "Rethinking Macro Policy" verbringt.
Es wirkt allerdings nicht so, als ob den Verantwortlichen bislang allzu viel eingefallen wäre. Die in dieser Woche ebenfalls formulierte Sorge um Europa und die damit verbundenen Forderungen an die Akteure atmen den keynesianischen und interventionistischen Geist, für den der IWF seit seiner Gründung als eine der Bretton-Woods-Institutionen steht: Die EZB soll den Zins senken, denn die Zinsen seien für einige Länder zu hoch. Deutschland soll die Staatsausgaben steigern, denn es geht dem Land doch so gut! Alles wie gehabt; die Erfolgsaussichten dieser Empfehlungen dürften gering sein. Pflichtgemäß werden zudem Strukturreformen eingefordert, der bisherige Pfad der Eurozone wird gelobt; auch das ist bekannt aus der Geschichte der Artikel IV-Konsultationen. Der Grund dafür dürfte in der Organisationsstruktur des IWF (s.u.) liegen. Eventuell muss man einige Abstriche machen, was die wirkliche Auffassung der Ökonomen im IWF angeht. Die Leitung scheint eine französische Domäne zu sein, auch der Chefökonom ist ein Franzose. Dies erklärt vielleicht keynesianische, staatsgläubige Empfehlungen wenigstens zum Teil; wir erinnern uns: Die erste Empfehlung, die weltweiten Inflationsziele von zwei auf vier Prozent anzuheben, kam ebenfalls aus dem IWF, formuliert vom Chefökonomen.
Akuter Reformbedarf
Eine weitere Schwierigkeit kommt für den IWF hinzu: Es scheint so zu sein, dass die Strukturen und Gewichte in der Weltwirtschaft nicht mehr die alten sind. Die Wachstumspole haben sich deutlich verschoben und mit ihnen die Möglichkeit der makroökonomischen Stimulierung. Die OECD ist auf der wachstumspolitischen Kriechspur angelangt. Waren es früher die Entwicklungsländer, die in makroökonomischen Schwierigkeiten steckten und von den Industrieländern unterstützt werden mussten, so ist es heute gerade umgekehrt. Zwei Beispiele: Die Eurozone schickt auf der Suche nach frischem Geld Vertreter nach China. Brasilien muss sich der Geldflut (Stichwort Quanitative Easing) aus den USA erwehren.
Auch damit muss der IWF, dessen Klientel eher die Entwicklungsländer sind, umgehen lernen. Solange Europäer und Amerikaner den Ton im IWF angeben und genau die Rezepte einfordern, die die westliche Welt in die Krise gebracht haben, dürfte die Glaubwürdigkeit dieser altehrwürdigen Institution eher sinken. Eine generelle Überholung der Politik des IWF wird bereits seit langem angemahnt, ist aber noch nicht umgesetzt worden. Die Krise und ihre Persistenz allem hektischen Krisenmanagement zu Trotz sollten den Anlass bieten, endlich aktiv zu werden.
Ansatzpunkte einer Reform sollten zum ersten in der theoretischen Fundierung liegen. Unter Umständen müssen die makroökonomischen theoretischen Grundlagen der Wirtschaftspolitik gründlich überarbeitet werden. Geldpolitische Multiplikatoren scheinen sich geändert zu haben. Hier könnte der IWF mit seiner exzellenten Forschungskapazität Anstöße für ernsthafte theoretische und empirische Forschung liefern. Foren wie die auf der Frühjahrstagung bieten sicherlich gute Gelegenheiten für derartige Anstöße.
Zweitens muss der IWF die langfristigen Wirkungen von kurzfristigen Stimulierungen bedenken. Billiges Geld und höhere Staatsausgaben könnten kurzfristig in der Tat stimulierend wirken, sie haben langfristig in der Regel negative Konsequenzen. Zwar haben Reformpakete oftmals den gegenteiligen Effekt - kurzfristige Verluste, langfristige Gewinne - jedoch ist das allemal vorzuziehen. Man darf nämlich nicht glauben, man könne aus einer Situation wie der Eurokrise ohne größere Blessuren herauskommen. Die Rechnung kommt auf jeden Fall, man sollte sie nicht auf die lange Bank schieben.
Schließlich sollten auch die politökonomischen Zusammenhänge genauer in den Blick genommen werden. Durch die Organisationsstruktur besteht ein zweiseitiges Kontrollproblem: Die Mitglieder als Eigentümer kontrollieren den IWF, der die Mitglieder kontrollieren soll. Das kann eigentlich nicht funktionieren. Es sollte nach Mechanismen gesucht werden, dass die Verquickung mit nationaler Politik verringert wird.
Insgesamt besteht also Bedarf zu Änderungen hinsichtlich seines theoretischen Rahmens, der Fristigkeit seiner Politik und seiner Verbindung zu nationalstaatlicher Politik, will der IWF an Schlagkraft hinzugewinnen und den strukturellen Wandlungen der Weltwirtschaft gerecht werden. Da solche Veränderungen Zeit brauchen, sollte bald damit begonnen werden.