Freytags-Frage

Was wird aus der türkischen Wissenschaft, wenn Erdogan mit ihr fertig ist?

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Weitere mögliche Konsequenzen

- Folgende Generationen werden also eine von der internationalen Forschungsfront abgekoppelte Ausbildung erhalten.

- Dies gilt grundsätzlich weniger für naturwissenschaftliche Inhalten, die man politisch nicht so leicht manipulieren kann (auch die türkische Regierung kann nicht verfügen, dass die Erde eine Scheibe ist). Wenn allerdings türkische Wissenschaftler von den internationalen Netzwerken abgeschnitten sind, werden sie nicht immer auf dem neuesten Stand sein. Und ob internationale Spitzenkräfte unter den beschriebenen Bedingungen bereit sind, in der Türkei zu forschen und zu lehren, kann bezweifelt werden (zumal ja gegenwärtig auch die Gesinnung ausländischer Wissenschaftler überprüft werden soll).

"Der Präsident ist an der Macht"
An der Brücke feiern Regierungsanhänger das Ende des blutigen Militärputsches. Quelle: AP
In der Hauptstadt Ankara soll es weiterhin Schusswechsel geben. Hier gehen Zivilisten in Deckung. Quelle: REUTERS
Ankara in den frühen Morgenstunden Quelle: REUTERS
Chaos in Istanbul Quelle: AP
Erdogan am Flughafen Istanbul-Atatürk Quelle: REUTERS
Erdogan-Unterstützer warten Quelle: REUTERS
„Der Präsident ist an der Macht“, sagte Erdogan bei einer Pressekonferenz nach seiner Ankunft. Die Regierung werde hart gegen die Putschisten vorgehen. Quelle: AP

- Wahrscheinlich werden Studiengänge in Zukunft so aussehen, dass ein Großteil des Curriculums politisch oder religiös festgelegt wird.

- Damit dies funktioniert, muss die Indoktrinierung bereits in der Schule beginnen.

Als Folge dieses Szenarios würde man nicht mehr von einer lebendigen türkischen Wissenschaft sprechen können.

Es ist naiv zu glauben, dass die Türkei als Land davon profitieren kann. Im 21. Jahrhundert die Wissenschaft gleichzuschalten, macht wenig Sinn. Das Land scheint in die Vormoderne zurückzufallen. Dann entstehen die hochqualifizierten Jobs, die für die Fortsetzung des positiven Wachstumspfades der 1990er und 2000er Jahre nötig wären, gerade nicht. Das Land fällt kulturell zurück, weil nicht nur Wissenschaftler das Land verlassen wollen, sondern auch Künstler, Schriftsteller und politische Intellektuelle keine Heimat mehr haben.

Schlüsselstaat Türkei

Mehr Armut, weniger Vielfalt und abnehmende Fähigkeiten der Bürger sind nicht gut für die Bürger in der Türkei. Vielleicht ist es aber im Interesse der türkischen Regierung, die Menschen wirtschaftlich schlechter und ungebildeter zu halten. Die Türkei wird nicht groß, die Regierung aber stärker. Für ein Land, dass an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien vor enormen Herausforderungen steht, sind das düstere Aussichten. Langfristig wird das Land nicht stabiler, sondern es drohen Chaos und Instabilität. Das bedroht dann auch die Regierung, die es so auch nicht schaffen dürfte, ein positives Bild von sich für die Geschichtsbücher zu erzeugen. Am Ende verlieren alle.

Die türkische Regierung sollte sich einmal daran erinnern, dass es in Europa die Türkei war, die vielen deutschen Wissenschaftlern noch 1933 Zuflucht bot, z.B. dem Jenaer Ökonom Wilhelm Röpke. Das hat sowohl den Wissenschaftlern geholfen als auch der Türkei genutzt. Ähnlich war es in den USA; dort gab es einen Brain Gain durch europäische Wissenschaftler, während Europa, allen voran Deutschland mit den Folgen des Brain Drain und der Gleichschaltung der Wissenschaft nach 1945 noch lange zu kämpfen hatte.

"Dieses Jahr ist die reinste Katastrophe"
Vor der Wassersportanlage an der türkischen Riviera dümpeln zwei Jetski und Motorboote im türkisblauen Wasser. Die Leere hat sich manch ein Tourist vielleicht schon mal gewünscht, der sich bei 32 Grad mitten in der Hochsaison ein Plätzchen auf der Liege neben Hunderten anderen sichern musste. Verlassene Strände sind in diesem Jahr traurige Wirklichkeit in der Türkei. Das Land kommt nicht zur Ruhe: Auf Terroranschläge folgte ein Putschversuch – und nun auch noch der Ausnahmezustand. Pralle Sonne, stahlblauer Himmel, funkelndes Meer und gewaltige Berge: Weder die perfekte Urlaubskulisse noch die günstigen Preise oder der gute Service in den Hotels am Mittelmeer können so viele Touristen nach Antalya locken wie in den vergangenen Jahren. Quelle: dpa
Mehmet Tekerek am türkischen Strand Quelle: dpa
Konyaalti Quelle: dpa
Nur wenige Menschen bevölkern den Strand Konyaalti in Antalya. Quelle: dpa
Die Konsequenz dieser Unsicherheit lässt sich an der Statistik ablesen. Laut dem türkischen Tourismus-Ministerium ist die Zahl der Besucher, die im Mai im Vergleich zum Vorjahresmonat ins Land kamen, um knapp 22,9 Prozent gesunken. Betrachtet man die Region Antalya, wo die Menschen hauptsächlich vom Tourismus leben, sind die Zahlen noch dramatischer. Quelle: dpa
Turkish-Airlines-Maschine im Anflug auf Antalya Quelle: REUTERS
Der weltgrößte Reisekonzern Tui schätzt derweil, dass er in diesem Jahr mit einer Million Urlaubern nur rund halb so viele Gäste in die Türkei bringt wie 2015. Die Buchungen liegen bis jetzt 40 Prozent niedriger als im Vorjahr, nur das Last-Minute-Geschäft birgt noch Hoffnung. Quelle: dpa

Wenn die türkische Regierung tatsächlich die Türkei zu einer Großmacht des 21. Jahrhundert machen möchte, sollte sie die Grundlagen dafür nicht kappen. Ohne Wissenschaft kann das Land nur verlieren: Es würde ein politisches Leichtgewicht sein und kein Global Player.

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