- Folgende Generationen werden also eine von der internationalen Forschungsfront abgekoppelte Ausbildung erhalten.
- Dies gilt grundsätzlich weniger für naturwissenschaftliche Inhalten, die man politisch nicht so leicht manipulieren kann (auch die türkische Regierung kann nicht verfügen, dass die Erde eine Scheibe ist). Wenn allerdings türkische Wissenschaftler von den internationalen Netzwerken abgeschnitten sind, werden sie nicht immer auf dem neuesten Stand sein. Und ob internationale Spitzenkräfte unter den beschriebenen Bedingungen bereit sind, in der Türkei zu forschen und zu lehren, kann bezweifelt werden (zumal ja gegenwärtig auch die Gesinnung ausländischer Wissenschaftler überprüft werden soll).
- Wahrscheinlich werden Studiengänge in Zukunft so aussehen, dass ein Großteil des Curriculums politisch oder religiös festgelegt wird.
- Damit dies funktioniert, muss die Indoktrinierung bereits in der Schule beginnen.
Als Folge dieses Szenarios würde man nicht mehr von einer lebendigen türkischen Wissenschaft sprechen können.
Es ist naiv zu glauben, dass die Türkei als Land davon profitieren kann. Im 21. Jahrhundert die Wissenschaft gleichzuschalten, macht wenig Sinn. Das Land scheint in die Vormoderne zurückzufallen. Dann entstehen die hochqualifizierten Jobs, die für die Fortsetzung des positiven Wachstumspfades der 1990er und 2000er Jahre nötig wären, gerade nicht. Das Land fällt kulturell zurück, weil nicht nur Wissenschaftler das Land verlassen wollen, sondern auch Künstler, Schriftsteller und politische Intellektuelle keine Heimat mehr haben.
Schlüsselstaat Türkei
Die Republik Türkei ist laut der Verfassung von 1982 ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat. Regiert wird das Land von Ministerpräsident Binali Yildirim und dem Kabinett. Staatsoberhaupt ist Recep Tayyip Erdogan, als erster Präsident wurde er 2014 direkt vom Volk gewählt. Im türkischen Parlament sind vier Parteien vertreten, darunter - mit absoluter Mehrheit - die islamisch-konservative AKP von Erdogan. Parteien müssen bei Wahlen mindestens 10 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, um ins Parlament einziehen zu können. Die Türkei ist zentralistisch organisiert, der Regierungssitz ist Ankara. (dpa)
Die Türkei ist seit 1999 Kandidat für einen EU-Beitritt, seit 2005 wird darüber konkret verhandelt. Würde die Türkei beitreten, wäre sie zwar der ärmste, aber nach Einwohnern der zweitgrößte Mitgliedstaat, bei derzeitigem Wachstum in einigen Jahren wohl der größte.
Als Nachbarstaat von Griechenland und Bulgarien auf der einen Seite und Syrien sowie dem Irak auf der anderen Seite bildet die Türkei eine Brücke zwischen der EU-Außengrenze und den Konfliktgebieten des Nahen und Mittleren Ostens.
Seit Beginn des Syrien-Konflikts ist die Türkei als Nachbarstaat direkt involviert. Rund 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge nahm das Land nach eigenen Angaben auf. Die türkische Luftwaffe bombardiert allerdings auch kurdische Stellungen in Syrien und heizt so den Kurdenkonflikt weiter an.
1952 trat die Türkei der Nato bei. Das türkische Militär - mit etwa 640 000 Soldaten und zivilen Mitarbeitern ohnehin eines der größten der Welt - wird bis heute durch Truppen weiterer Nato-Partner im Land verstärkt. Im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe sollen auch Atombomben auf dem Militärstützpunkt Incirlik stationiert sein.
Mehr Armut, weniger Vielfalt und abnehmende Fähigkeiten der Bürger sind nicht gut für die Bürger in der Türkei. Vielleicht ist es aber im Interesse der türkischen Regierung, die Menschen wirtschaftlich schlechter und ungebildeter zu halten. Die Türkei wird nicht groß, die Regierung aber stärker. Für ein Land, dass an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien vor enormen Herausforderungen steht, sind das düstere Aussichten. Langfristig wird das Land nicht stabiler, sondern es drohen Chaos und Instabilität. Das bedroht dann auch die Regierung, die es so auch nicht schaffen dürfte, ein positives Bild von sich für die Geschichtsbücher zu erzeugen. Am Ende verlieren alle.
Die türkische Regierung sollte sich einmal daran erinnern, dass es in Europa die Türkei war, die vielen deutschen Wissenschaftlern noch 1933 Zuflucht bot, z.B. dem Jenaer Ökonom Wilhelm Röpke. Das hat sowohl den Wissenschaftlern geholfen als auch der Türkei genutzt. Ähnlich war es in den USA; dort gab es einen Brain Gain durch europäische Wissenschaftler, während Europa, allen voran Deutschland mit den Folgen des Brain Drain und der Gleichschaltung der Wissenschaft nach 1945 noch lange zu kämpfen hatte.
Wenn die türkische Regierung tatsächlich die Türkei zu einer Großmacht des 21. Jahrhundert machen möchte, sollte sie die Grundlagen dafür nicht kappen. Ohne Wissenschaft kann das Land nur verlieren: Es würde ein politisches Leichtgewicht sein und kein Global Player.