Ein zweites Argument sieht Protektionismus als Möglichkeit, sozial Schwache vor dem Wettbewerb zu schützen. Der ausländische Wettbewerb zerstöre Arbeitsplätze und müsse deshalb eingeschränkt werden. Dieses Argument birgt drei logische Schwachstellen: Erstens hat sich immer wieder in empirischen Untersuchungen gezeigt, dass es weniger die Globalisierung ist, die Arbeitsplätze vernichtet, als vielmehr die schöpferische Zerstörung des technischen Fortschritts, der natürlich durch intensiven Wettbewerb – sowohl aus dem Ausland als auch aus dem Inland – beschleunigt wird. In jedem Fall sind die Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität und die damit verbundenen Lohnsteigerungen in erster Linie für die Probleme der niedrig qualifizierten Arbeitnehmer zuständig. Zweitens kann man den durch in- oder ausländische Konkurrenz verursachten Strukturwandel nur kurzfristig mit Hilfe von Handelsbarrieren unterdrücken. Das heißt gefährdete Arbeitsplätze sind in der kurzen Frist eventuell gesichert, aber erweisen sich langfristig als nicht rentabel und werden daher wegfallen. Drittens schließlich unterhöhlt der Protektionismus soziale Ziele, wenn Konsumgüter, für die gerade die einkommensschwachen Haushalte einen Großteil ihres Einkommens ausgeben müssen, mit besonders hohen Zöllen belegt sind, wie es in den meisten OECD-Ländern der Fall ist.
Wissenswertes zum internationalen Handel
Die Frage, ob Handel gut oder schlecht ist, gilt in der Volkswirtschaftslehre längst als geklärt. Eine weit überwiegende Mehrheit von Ökonomen vertritt die Meinung, dass internationale Arbeitsteilung nützlich ist und den Wohlstand steigert. Indes unter einer wichtigen Voraussetzung: Die Regeln müssen fair sein, damit das Kräfteverhältnis zwischen den Handelspartnern nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Das kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden - nachfolgend eine Übersicht.
Einfache Handelsverträge etwa zwischen zwei Ländern sind die unkomplizierteste Form von Handelsabkommen. Im Gegensatz etwa zu multilateralen Vereinbarungen sind nur zwei Parteien an den Verhandlungen beteiligt, was eine Einigung deutlich vereinfacht. Zudem geht es bei solchen Verträgen meistens nur um Handelsströme, insbesondere die Höhe von Zöllen. Andere Fragen wie Umweltstandards werden meist ausgeklammert. Das führt jedoch zum größten Nachteil solcher Abkommen: Von ihnen kann nicht erwartet werden, dass sie zwei Wirtschaftsräume umfassend miteinander verbinden, weil viele Fragen ungeklärt bleiben.
Wollen zwei oder mehr Länder über den Tausch von Waren und Dienstleistungen hinausgehen und ihre wirtschaftlichen Beziehungen umfassend regeln, werden die benötigten Abkommen umfangreicher und komplexer. Beispiele sind das zwischen der EU und den USA angedachte TTIP, das asiatisch-pazifische Abkommen TPP oder das asiatische Freihandelsprojekt RCEP. Derartige Abkommen regeln nicht nur Handelsfragen oder Zölle. Vielmehr geht es auch um Fragen des Verbraucherschutzes, der Umweltverträglichkeit von Waren und Diensten, den Schutz von Unternehmensinvestitionen oder die Angleichung von Produktstandards. Die Länder versprechen sich davon einen noch reibungsloseren Handel und mehr Wohlstand.
Eine Steigerung zu TTIP & Co. sind feste Verbünde aus mehreren souveränen Staaten. Als Paradebeispiel gilt die Europäische Union (EU), die nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine - wenn auch unvollendete - politische Union ist. Die Beziehungen der Länder sind über den EU-Vertrag geregelt. Der gemeinsame Binnenmarkt der EU verfügt über weitgehende Bewegungsfreiheit von Gütern, Dienstleistungen, Arbeitnehmern und Kapital. Auch sind viele rechtliche Fragen stark angeglichen, was Kritikern mitunter zu weit geht. Großbritannien bemängelte die Vereinheitlichung schon lange, beschloss den Austritt aber vor allem wegen des Zustroms ausländischer Arbeitskräfte. Wie kompliziert ein Abschied aus einem Wirtschaftsverbund ist, wird der Brexit zeigen.
Die WTO ist quasi eine Dachorganisation für den Welthandel. Ihr gehören 164 Mitgliedsländer an, darunter die Staaten der Europäischen Union, die USA und China. Die WTO als Handelsverbund zu bezeichnen, ginge viel zu weit. Vielmehr soll die Organisation die allgemeinen Regeln für den Handel überwachen und weiterentwickeln. Der Einfluss der WTO auf ihre Mitglieder ist indes begrenzt und basiert vor allem auf Kooperation. Eigene Sanktionsmittel im Falle des Regelbruchs hat die WTO im Grunde nicht.
Mit der Globalisierung galt der Protektionismus eigentlich als überwunden. Er ist das Gegenteil von Freihandel, weil dabei versucht wird, sich nach außen abzuschotten. Dazu dienen hohe Einfuhrzölle und -verbote, verbunden mit der Subventionierung eigener Exporte. Protektionismus kennt nach ökonomischer Lehre keine Gewinner, weil meist Vergeltungsmaßnahmen ergriffen werden. Ergebnis ist ein kleineres und teureres Güterangebot, das den Wohlstand verringert. Dennoch will US-Präsident Donald Trump der amerikanischen Industrie zu neuem Glanz verhelfen, indem er sie vor ausländischer Konkurrenz schützt. Kritiker wenden ein, dass nicht nur die Globalisierung, sondern auch die fortschreitende Technisierung für den Verlust von Arbeitsplätzen verantwortlich sei.
Wenn man also den Schwächsten beziehungsweise den Verlierern der Arbeitsteilung helfen will, sollte man nicht mit Protektionsmaßnahmen, sondern mit zielgenauer Sozial- und Bildungspolitik operieren. Durch Bildung kann die Qualifikation flächendeckend erhöht werden, so dass auch diejenigen, deren Arbeitsplätze durch technischen Fortschritt oder Konkurrenz verloren gehen, die Chance erhalten, wieder Beschäftigung zu finden. Mit zielgenauer Sozialpolitik hilft der Staat dann denjenigen, die ihre Arbeit verlieren, entweder kurzfristig, bis sie wieder einen neuen Job haben, oder längerfristig, wenn sie keinen Job finden können. Hier kann der Staat mit gezielter Dienstleistungsnachfrage oder Ähnlichem sicher mehr tun, als dies gegenwärtig der Fall ist.
Die Hauptursachen für Protektionismus liegen somit auch nicht im Wunsch, den Schwächsten zu helfen, begründet, sondern in der Kraft der Partikularinteressen, wie zum Beispiel der Automobilindustrie, der Chemie oder der Landwirtschaft. Die meisten Handelspolitiker erkennen bis heute den Wert des Außenhandels an. Deswegen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eine multilaterale Handelsordnung geschaffen, um die aus ökonomischer Perspektive rationale Liberalisierung auch politisch attraktiv zu machen. Dazu dient das Prinzip der Reziprozität, das den politischen Entscheidungsträgern eines Landes ein gewichtiges Argument gegen heimische Interessengruppen an die Hand gibt. Diese Welthandelsordnung gilt es zu verteidigen. Dies wird umso deutlicher, je länger die neue US-Administration ihre Thesen zum Außenhandel äußert. Insgesamt legt die Entwicklung der Politik auf Weltmaßstab eine erneuerte Orientierung an und Durchsetzung von Regeln nahe, mit deren Hilfe tatsächlich eine wohlstandsfördernde Wirtschaftspolitik mit zielgenauer Sozialpolitik kombiniert werden kann.
"Der Protektionismus schadet den amerikanischen Verbrauchern"
Schließlich noch eine kleine Pointe: In ihrer Absurdität erinnert die Argumentation der US-Administration an die berühmte Kerzenmacherfabel des französischen Ökonomen und Politikers Frédéric Bastiat aus dem Jahre 1850. In einer fiktiven Petition an die französische Deputiertenkammer fordern die Kerzenmacher, durch die Aussperrung der unverschämt günstigen (wahrscheinlich von England gesandten) Sonne den Wohlstand in Frankreich dramatisch zu erhöhen. Denn ohne kostenloses Sonnenlicht würden die Kerzenindustrie und viele vorgelagerte Sektoren einen enormen Aufschwung erleben. Auf die USA bezogen heißt dies, mit Hilfe der Verteuerung chinesischer, deutscher oder mexikanischer Vorleistungen reicher werden zu wollen. Viel Glück dabei!