Es war in Kolumbien 4 Uhr morgens, als der Friedensnobelpreis in Oslo Präsident Juan Manuel Santos zuerkannt wurde. Aber schon wenige Minuten später, waren sich alle Medien des Landes einig: „Das ist ein riesiger Rückhalt für den Friedensprozess“, schrieb das politische Wochenmagazin „Semana“ auf seinem Portal. Und die wichtigste Tageszeitung „El Tiempo“ ergänzte: Santos erhalte den Preis für seine „entschiedenen Anstrengungen, mehr als 50 Jahre Krieg im Land zu Ende zu bringen“.
In Kolumbien, das seit dem Referendum vom Sonntag in einer tiefen politischen Krise steckt, wird die Auszeichnung mit Stolz aufgenommen und als Fingerzeig gesehen, dass der Friedensprozess zwischen den Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) und der Regierung trotz der Ablehnung in der Bevölkerung nun zu einem raschen und positiven Ende gebracht werden muss.
Zur Erinnerung: Santos hatte am Sonntag den in vierjährigen Anstrengungen ausgehandelten Friedensvertrag der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt. Und diese hatte sich mit einer hauchdünnen Mehrheit überraschend und gegen alle Umfragen dagegen ausgesprochen. Es war eine Art Brexit auf Kolumbianisch. Vor allem die Straferleichterungen für die Linksrebellen, die selbst für schwere Menschenrechtsverbrechen nicht ins Gefängnis müssen, wenn sie geständig sind, stößt der Bevölkerung auf. Auch sind viele Kolumbianer dagegen, dass für die zur politischen Partei gewandelte Guerilla-Organisation bei den kommenden Wahlen jeweils fünf Sitze im Senat und Abgeordnetenhaus reserviert sind.
Der Präsident widmete die Auszeichnung in einer ersten Reaktion der Bevölkerung: „Aus tiefstem Herzen Danke“, sagte der Geehrte. Dieser Preis ist für alle Kolumbianer, vor allem für die Millionen Opfer!“
Die Position von Santos war seit Sonntag extrem geschwächt. Mancher in Kolumbien legte dem Staatschef sogar den Rücktritt nahe, zumal er in der Bevölkerung nicht sehr beliebt ist. Das „NO“ im Referendum war seine größte Niederlage als Politiker. Und er schien zerrieben zu werden zwischen der Farc-Guerilla auf der linken Seite und der radikalen Opposition auf der rechten Seite.
Aber nun geht der 65 Jahre alte Santos gestärkt in die Verhandlungen über die Korrekturen an dem Friedensabkommen. Sowohl die Rebellen, die bisher keine Neuverhandlungen des Vertragswerks wollten, wie auch die rechte Opposition, müssen nun von ihren maximalen Forderungen Abstand nehmen. Vor allem für die Gegner des Friedensprozesses, die sich um Ex-Präsident Álvaro Uribe scharen und die Rebellen als Terroristen und Drogenhändler sehen, mit denen man am besten nicht verhandelt, ist der Nobelpreis für Santos ein Dämpfer.
Unberechenbarkeit als einzige Konstante
Santos selbst hat in den vergangenen Tagen alle Höhen und Tiefen durchgemacht. Erst Friedensstifter, dann gefallener Friedensengel und nun Nobelpreisträger. Der Staatschef hat in seiner Amtszeit alles dem Frieden mit den FARC untergeordnet: die Wirtschaftspolitik, die Lösung der sozialen Konflikte, den Kampf gegen Korruption und auch den gegen die Armutsschere – Kolumbien hat viele Probleme neben dem Bürgerkrieg, die Santos nicht angepackt hat in den vergangenen sechs Jahren. Und das hat dazu geführt, dass seine Zustimmungsraten in der Bevölkerung historisch niedrig ist.
Es war Santos’ großer Ehrgeiz, dem drittbevölkerungsreichsten Land Lateinamerikas endlich Frieden zu bringen. Und nun könnte er wie so viele andere Staatschefs vor ihm auch an dieser Aufgabe scheitern, auch wenn niemand je so weit gekommen war wie Santos.
Es ist schwierig, Juan Manuel Santos politisch einzuordnen. Mal war er Falke, dann Friedenstaube, mal Neoliberaler, dann wieder Freund der Linken. Wenn es eine Konstante in seiner Zeit im Rampenlicht gibt, ist es die: Kolumbiens Staatschef hat Freunde und Gegner immer wieder überrascht und manchmal vor den Kopf gestoßen. In ein Schema hat er sich kaum pressen lassen.
Manche in Kolumbien sagen, der intelligente Spross einer der mächtigsten Familien des Landes hätte es vor allem auf seinen Platz in der Geschichte abgesehen gehabt, als er nur drei Tage nach der Übernahme der Präsidentschaft im August 2010 das Projekt Friedensstiftung anging. Santos’ Großvater war ein Bruder von Eduardo Santos, der Kolumbien als Präsident von 1938 bis 1942 regierte. Santos’ Familie kontrollierte über Jahrzehnte die einflussreichste Zeitung des Landes, „El Tiempo“, deren stellvertretender Chefredakteur er zeitweise war.
Der Mann mit dem durchdringenden Blick und der tiefen Stimme war als Nachfolger von Álvaro Uribe ins Amt gewählt worden. Dieser hatte mit allen legalen und vielen illegalen Mitteln die Farc bekämpft und stark geschwächt. Und die Kolumbianer dachten, Santos werde das Werk von Uribe eins zu eins fortsetzen. Schließlich hatte er ihm von 2006 bis 2009 als Verteidigungsminister gedient und als solcher den Krieg gegen die Guerilla zu verantworten. Santos Name verbindet sich dabei mit einem der dunkelsten Verbrechen aus jener Zeit: die Ermordung unschuldiger Zivilisten durch die Armee, um sie so als gefallene Kämpfer der Guerilla auszugeben und die Erfolgsstatistiken aufzublähen.
Aber kaum war Santos im Amt, drehte er seine Politik komplett, überraschte das ganze Land mit dem Friedensprozess und machte seinen einstigen Gönner Uribe zu seinem größten Widersacher. Aber die Verhandlungen mit den Farc dauerten nicht wie vom Präsidenten angekündigt einige Monate, sondern fast vier Jahre. Die Bevölkerung verlor Interesse und Hoffnung – und Santos kosteten die Verhandlungen 2014 fast die Wiederwahl und belasteten seine Gesundheit.