G20 Merkel muss nichts mehr fürchten als Sprachlosigkeit

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Drohender Zerfall der Weltordnung

In den vergangenen Tagen hat sich das Bundeskanzleramt in ungewöhnlich intensiver Vorbereitungsdiplomatie aufgerieben – Lars-Hendrik Röller, Sherpa der Kanzlerin für den Gipfel und erfahrener Verhandler, hat immer wieder Änderungswünsche der Trump-Regierung erhalten, so dass die Hoffnung auf ein lesbares Abschlussdokument so gut wie geschwunden ist. Voriges Wochenende ist Röller eigens noch einmal nach Washington gereist.

22 Zahlen rund um den G20-Gipfel

Aber zu drei wesentlichen Problem-Feldern – Migration, Handel und Klima – ist jede Unterredung vermutlich zum Scheitern verurteilt, weil jeder über etwas anderes redet. Ob Migration etwas Gutes oder Schlechtes ist, darüber gehen die Meinungen derzeit etwa zwischen Washington und Berlin ebenso weit auseinander wie zum Freihandel. Und zum Klimawandel und der Klimapolitik könnte am Ende nur beredtes Schweigen stehen.

So droht ein Zerfallen der lange sicher geglaubten Weltordnung – gut denkbar, dass am Ende dieses Gipfels keine G20-Welt mehr zu erkennen ist, sondern eine G15-Welt oder gar eine, in der 19 gegen einen stehen. Merkel hat zwar klargemacht, dass sie ihre Prinzipien nicht für jeden Kompromiss opfern möchte und in so einer Welt weder leben noch regieren will.

Aber vielleicht wird sie es müssen. Doch nicht mehr miteinander reden zu können, das hat Merkel als Weltpolitikerin noch nicht erlebt. Selbst mit George W. Bush hat sie sprechen können, zumal der in seiner zweiten Amtszeit deutlich geschmeidiger und versöhnlicher agierte. Mit Barack Obama konnte sie dies nach anfänglichem Frösteln ohnehin. Und dass Russlands Präsident Putin sie mehrmals offen angelogen hat, hat Merkel zwar registriert. Aber in seiner Unzuverlässigkeit war Putin schon irgendwie wieder verlässlich.

Kanzlerin Merkel werden starke Nerven und viel Geduld mit schwierigen Männern nachgesagt. Beim G20-Gipfel wird sie beides brauchen - die Welt ist „in Unruhe“. Da wird plötzlich China ein zentraler Partner.

Trump hat aber eine ganz neue Dimension in Merkels Welt gebracht: die Unverlässlichkeit, die an Unzurechnungsfähigkeit grenzt. Und, Stichwort "alternative facts", die Unfähigkeit, eine gemeinsame Gesprächsgrundlage zu finden. Beides könnte dieser Gipfel überdeutlich zeigen – und es könnte die größte Stärke der Politikerin Merkel unterminieren, eben ihre Fähigkeit, die Welt miteinander in Dialog zu bringen und zu halten.

Wenn selbst Merkel (angeblich die "Führerin der freien Welt) das aber nicht mehr schafft - wie viel wert ist dann ihr indirektes Wahlkampfargument, die Deutschen sollten noch einmal für sie stimmen, damit sie die Welt im Innersten zusammenhält. Diese Gipfel-Lehre fürchtet die Kanzlerin mehr als jeden Barrikaden-Brand.    

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