G7-Gipfel in Japan Zu Besuch bei der Sonnengöttin

Zum Auftakt des G7-Gipfels in Japan hat Gastgeber Shinzo Abe die Gipfelteilnehmer zum Besuch des wichtigsten Heiligtums der Shinto-Religion geladen. Die vermeintlich harmlose Stippvisite birgt politischen Zündstoff.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel wird von Shinto-Priestern am Ise-Schrein begrüßt. Quelle: AFP

Ise Japans Ministerpräsident Shinzo Abe kann schon vor Beginn des G7-Gipfels ein positives Resümee ziehen. Denn innenpolitisch ist der Gipfel ein voller Erfolg. Nicht nur wird Barack Obama als erster US-Präsident am Freitag Hiroshima besuchen, die erste Stadt, die von einer US-Atombombe ausgelöscht wurde. Es gelang es ihm auch, die Staats- und Regierungschef der sieben früher führenden Industrienationen vor seinen politischen Karren spannen. Zum Auftakt des Gipfels besuchten sie den shintoistischen Ise-Schrein.

Nach der Begrüßung durch Abe schritten Merkel & Co. hinter einem weißgewandeten Shintopriester durch die Anlage. Sie pflanzten einen Baum und besuchten dann eine der berühmten Schreinanlagen. Doch dabei handelt es sich nicht um ein unschuldiges touristischen Begleitprogramm. Denn für Abe ist der Schrein Symbol für viel mehr, für seine Vision für ein neues Japan, das alte Traditionen wieder stärker betont.

Tatsächlich handelt es sich nicht um irgendeinen Schrein der japanischen Naturreligion Shinto. Es ist eine der zentralen Anlagen. Denn hier wird vor allem die Sonnengöttin Amaterasu verehrt, die Urmutter Japans. Sie schuf die Inseln und ist die direkte Urahnin des heutigen japanischen Kaisers Akihito, der übrigens am Mittwoch in seinem Tokioter Palast als Teil seiner religiösen Aufgaben Reis pflanzte.

Die Wahl dieses Orts als Teil des Besuchsprogramms wurde daher selbst in Japan als verfassungswidrige Verbindung von Staat und Religion kritisiert. Die Regierung versuchte diese Kritik mit der Aussage zu umschiffen, dass keine religiösen Handlungen geplant seien. Die Ausübung religiöser Gesten wie das rituelle Händewaschen, das Klatschen am Schrein inklusive Verbeugung war offenbar jedem Politiker selbst überlassen.

Auch Abe erklärte die Wahl dieses sakralen Ortes mit anderen Qualitäten. Er habe den Platz in der Präfektur Mie basierend auf dem Wunsch gewählt, dass „die Führer der Welt Japans natürliche Schönheit, reiche Kultur und Tradition erleben und genießen“ könnten.

Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass Abe die G7 durch die Ortswahl für den Wahlkampf um das Oberhaus im Juli und vor allem seine nationalistische und geschichtsrevisionistische Agenda instrumentalisiert. „Auch ohne es zu sagen, ist in Japan die Botschaft klar“, meint Koichi Nakano, Politologe an der Sophia Universität in Tokio.

Abes Vision vom „schönen Land“

Eines von Abes Zielen ist, den Japanern wieder Stolz auf ihr Land zu vermitteln. Er will daher die seiner Ansicht nach „masochistische“ Geschichtsschreibung in den Lehrbüchern zurückdrängen, die an Japans Kriegsgräuel im annektierten Korea und im eroberten China erinnert. Stattdessen versuchen er und seine Anhänger den Mantel des Vergessens über diese dunklen Flecken in Japans jüngerer Geschichte zu decken – Japan soll wieder zum „schönen Land“ werden.

Die Betonung des Ise-Schreins ist dabei eines seiner wichtigen Projekte: Denn für Abe ist Shinto ein Teil seiner Vision vom künftigen Japan. Er ist nicht nur Mitglied der politischen Vereinigung des Shinto, sondern er besuchte auch als erster Ministerpräsident seit mehr als 80 Jahren eine der wichtigsten Zeremonien des Schreins: den Umzug der Götter.

Zugleich ist der Ise-Schrein weit weniger nationalistisch aufgeladen und in der Welt umstritten als der Yasukuni-Schrein in Tokio. Der gilt unter Japans Linken und im Ausland als Pilgerstätte des japanischen Imperialismus, weil dort neben den gefallenen Soldaten auch verurteilte Kriegsverbrecher verehrt werden. 


Wo die Sonnengöttin wohnt

Der Besuch der ausländischen Politiker liefert ihm nun auch die Medienkampagne frei Haus, seine nationalistische Propaganda unters Volk zu bringen und den Japanern die Bedeutung des Schreins wieder ins Gedächtnis zu rufen, meint Politologe Nakano. Tatsächlich betonen die Medien die Schönheit des Schreins und blenden die Rolle des Staatsshintoismus für die Aggressionspolitik des japanischen Imperialismus weitgehend aus.

Kritische Stimmen im eigenen Land verweisen dagegen genau darauf. Abes Besuch sei eindeutig eine Rückkehr in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, warnte etwa der Kinderbuchautor Hisashi Yamanaka, der ein bekannter Kritiker des Staatsshintoismus aus Japans imperialistischer Epoche ist. Seine Begründung: „In der Vergangenheit war der Ise-Schrein die Quelle der Vereinigung von Politik und Religion und des nationalistischen politischen Fundamentalismus.“

Es ist bedauerlich, dass der Schrein dermaßen politisiert wird. Denn die Anlagen sind wirklich eine Reise wert und für sich kein Symbol eines aggressiven Imperialismus. Vielmehr sind die Gebäude in riesige Bergwälder integriert und verströmen eine naturnahe, friedliche Atmosphäre.

Darüber hinaus bilden sie eine der ältesten durchgängig genutzten sakralen Anlagen der Welt, spätestens seit dem siebten Jahrhundert. Doch die hölzernen Gebäude, die auf massiven Pfeilern ruhen, erscheinen noch heute frisch. Denn im Idealfall werden sie alle 20 Jahre nach uraltem Muster auf einem baugleichen Nachbargrundstück neu aufgebaut – zuletzt im Jahr 2013.

Der bedeutendste Teil der Anlage ist der „innere Schrein“, der Naiku. In ihm logiert die Sonnengöttin. Täglich servieren die Priester ihr und anderen Göttern Mahlzeiten und beten zu Ihnen. In einem der reetgedeckten Holzhäuser wird ein „Spiegel“ aufbewahrt, der zusammen mit Juwelen und einem Schwert, die Amaterasu ihrem Nachkommen Ninigi überließ, die drei Throninsignien der japanischen Kaiserfamilie bildet. Ninigi war der Legende nach der Urgroßvater des ersten japanischen Kaisers Jimmu.


Flüchtlingspolitik und Stahlkrise auf dem Programm

Nach dem Besuch des heiligen Ortes widmeten sich die G7-Teilnehmer dann ihren eigentlichen Themen. Die Zeit ist recht kurz, denn der Ise-Gipfel dauert nur von einem Mittagessen am Donnerstag zum Mittagessen am Freitag. Zudem musste das Freitagsprogramm gestrafft werden, um Zeit für Obamas Reise nach Hiroshima zu schaffen.

Die Themen sind dennoch brisant. Die Weltwirtschaft steht auf dem Programm, ebenso die Förderung des Freihandels. Donald Tusk, EU-Ratspräsident und zusammen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Teilnehmer des Gipfeltreffens, erklärte kurz vor Beginn des Gipfels, dass die EU auf zwei wichtige Punkte dränge.

Ein Punkt ist die Flüchtlingsfrage. Einen handfesten Plan der G7 zur Unterstützung der Flüchtlinge in ihrer Heimat und den Aufnahmeländern erwartet er zwar nicht, wohl aber eine eindeutige Botschaft. „Wenn wir nicht die Führung übernehmen, wird niemand es tun“, sagte Tusk.

Das andere Thema ist die Krise der Stahlindustrie. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte: „Die globalen Überkapazitäten sind eine große Sorge für die EU.“ Besonders hob er China hervor. Das Reich der Mitte exportiert seine Überkapazitäten mit Dumpingpreisen in die Welt. „Wir werden klar machen, dass wir unsere Verteidigungsmaßnahmen verstärken werden“, kündigte Juncker an.

Darüber hinaus wird auch die angespannte Sicherheitslage in Asien eine große Rolle spielen. Darauf drängt Japan als einziger asiatischer Teilnehmer an der Veranstaltung. Denn mit Nordkoreas Atomwaffenprogramm und Chinas immer selbstbewusster vorgetragenen Gebietsansprüchen im Südchinesischen Meer wächst das Bedrohungsgefühl in Japan.

Gleichzeitig haben die Japaner den Eindruck, dass einigen europäischen Ländern Handel mit China wichtiger ist als ferne asiatische Territorialkonflikte. Der Gipfel soll die anderen Regierungen dafür sensibilisieren, wenn sie es nicht schon sind.

Es wird daher erwartet, dass die G7 klare Signale an China senden werden. Zwar rechnet niemand damit, dass das Abschlusskommuniqué China direkt erwähnen wird. Aber es wird erwartet, dass die G7-Führer wie schon zuvor ihre Außenminister „unilateralen Versuchen, den Status Quo zu verändern“, deutlich widersprechen werden. Und allein damit kann Gastgeber Abe den Gipfel auch außenpolitisch als Erfolg verbuchen.

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