G8-Gipfel Warum eine neue Weltordnung nötig ist

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Das Gruppenbild der G20 beim Quelle: AP

Seither sind die Erosion der G8 und die zügige Aufwertung der G20 nicht mehr aufzuhalten; seither verliert der Club der reichen Industrienationen mit jeder weiteren internationalen Zusammenkunft in größerem Maße an Legitimation und Zustimmung. Dem ersten Spitzentreffen der G20 folgte im April ein zweites; für Ende September ist bereits der dritte Weltfinanzgipfel eingeplant. Die wichtigsten Schwellenländer haben angefangen, ihre gemeinsamen Interessen unter dem Label G5 zu formulieren; in Asien sind regionale Finanzorganisationen entstanden, die die zunehmende Unabhängigkeit der Region vom Internationalen Währungsfonds dokumentieren; die Entwicklungsländer drängen uns als G77 ihre Sichtweisen auf. Und die Argumente der G192 sind nicht mehr zu überhören.

Überfällige Neurodnung der Gipfelarchitektur

Gleichzeitig hat in den Staaten der G8 – teils aus proaktiver Einsicht in die veränderte Weltlage, teils aus defensiven Gründen eines möglichst weitgehenden Machterhalts – eine erstaunlich intensive Diskussion über die institutionelle Reorganisation der Welt eingesetzt. Dabei geht es für die einen um die Neuverteilung von Macht und Einfluss in einer multipolaren Welt und den sorgsamen Umbau der internationalen Organisationen. Für die anderen geht es schlicht darum, zu retten, was an Macht und Einfluss noch zu retten ist. Der Ausgang ist völlig offen. Allerdings herrscht Einigkeit darüber, dass die größte Aufgabe der G8 darin besteht, sich selbst zu öffnen und zu erweitern – oder sich abzuwickeln: „Ich denke, dass die G20 das Format sein sollte, das wie ein überwölbendes Dach die Zukunft bestimmt“, sagte Angela Merkel am vergangenen Donnerstag in einer Regierungserklärung zum Gipfel. Die Gruppe der Acht reiche als Forum für Gespräche über die Zukunft der Weltwirtschaft nicht mehr aus und könne künftig nur noch das „Format einer Vorbesprechung“ haben.

Es ist schon erstaunlich: Was Klimaforscher, Globalisierungskritiker, Sicherheitspolitiker, Nichtregierungsorganisationen und vor allem die Staatschefs der Schwellenländer in jahrzehntelanger Arbeit mit seitenweisen Vorschlägen, politischem Anspruch und moralischem Druck nicht erreicht haben – das ist seit dem Zusammenbruch der Lehman-Bank, angesichts des finanziellen Abgrunds, in den die Welt seither schaut, und unter dem Dauereindruck einer globalen Depression zu einer selbstgestellten Pflichtaufgabe der G8 geworden und blitzschnell, binnen weniger Monate, in greifbare Nähe gerückt: die längst überfällige Neuordnung der Gipfelarchitektur und der internationalen Organisationen.

Der „Gruppe der Sechs“ (USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien), die 1975 als informelles Abstimmungsforum in Reaktion auf die erste Ölkrise und zur Koordinierung der Währungspolitik nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems entstand und später um Kanada und Russland zur G8 erweitert wurde, mangelt es bereits seit zwei Jahrzehnten, seit dem Zusammenbruch der bipolaren Welt 1989, zunehmend an Glaubwürdigkeit.

Die Liste der Themen, die die Menschheit nur gemeinsam bearbeiten kann, ist in den vergangenen Jahren immer länger geworden. Sie reicht von Ressourcenschutz und Armutsbekämpfung über den globalen Terrorismus und die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen bis hin zur Organisation eines freien und fairen Welthandels und zur stärkeren Kontrolle der Finanzmärkte. Vieles verlangt zwingend nach global governance: Klimawandel und Wasserknappheit lassen „schon mittelfristig keine Externalisierung von Handlungsfolgen“ mehr zu, stellte Jürgen Habermas bereits 1995 fest – in hoffender Erwartung eines „Bewusstseins kosmopolitischer Zwangssolidarisierung“, das uns erst mit der Finanzkrise erreicht zu haben scheint.

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