G8-Gipfel Warum eine neue Weltordnung nötig ist

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G8-Treffen in L'aquila: Eine Quelle: dpa

Für Eberhard Sandschneider, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, sind das alles nur Spiegelfechtereien: „Natürlich brauchen wir eine bessere Koordinierung der selbstständigen Nationalstaaten“, sagt Sandschneider. Ob die jedoch im Rahmen der G8, G13 oder G20 stattfinde, sei absolut nachrangig: „Die Gruppen eröffnen politische Perspektiven, nicht mehr.“ Entscheidungen in der internationalen Politik seien künftig weniger an Institutionen gebunden. Stattdessen gewännen politische Prozesse an Flexibilität und Unberechenbarkeit. Statt nach optimalen Strukturen zu suchen, solle die Politik daher „schnell aktivierbare, flüchtige Netzwerke bilden“, findet Sandschneider: „In einer zunehmend komplexen Welt wird es zunehmend effektiver sein, von Fall zu Fall zu entscheiden.“

Finanzkrise forciert G8-Reform

Insofern hat die G8 in der Vergangenheit nicht so schlecht gearbeitet: Bereits 2003 reagierte Frankreich auf die Legitimitätskrise des Clubs mit der Einladung von vier demokratischen Wirtschaftsmächten des „globalen Südens“: Brasilien, Indien, Mexiko und Südafrika. Ab 2005 durfte auch China ein Abendessen lang am Katzentisch bei der Runde sitzen. Vor zwei Jahren dann beschlossen die G8-Mitglieder, den Dialog mit den G5-Staaten im „Heiligendamm-Prozess“ zu strukturieren. Von einer Erweiterung allerdings war explizit nicht die Rede. Stattdessen gab es Verstimmungen, weil die G8 die „gemeinsame“ Gipfelerklärung ohne vorherige Absprache mit den G5-Staaten formuliert hatten – mit der Folge, dass die G5 sich als Koalition festigte und im Vorjahr, während des Gipfels in Japan, eine eigenständige politische Erklärung abgab. Die Frage der Erweiterung wurde in Japan zwar thematisiert, von Frankreich und Großbritannien sogar forciert. Die übrigen Länder aber blockten. Erst die Finanzkrise und die von den USA betriebene Aufwertung der G20 zum Spitzentreffen der Regierungschefs haben eine Dynamik entfaltet, auf die die G8-Teilnehmer in L’Aquila eine schlüssige Antwort finden müssen. Drei Reformen sind mittelfristig denkbar:

die Fortführung und Weiterentwicklung des informellen Heiligendamm-Prozesses auf der Basis der G8 plus G5;eine Erweiterungsrunde mit der formalen Aufnahme neuer Mitglieder und die Etablierung einer G13/14/16-Runde;eine Selbstauflösung der G8 zugunsten einer aufgewerteten G20.

Merkel bislang ohne klare Linie

Die Entwicklung des Heiligendamm-Prozesses war zunächst das persönliche Minimalanliegen der Bundeskanzlerin. Nach dem ersten G20-Treffen wollte sie den Geist einer breiteren internationalen Zusammenarbeit am liebsten wieder zurück in die Flasche befehlen. Merkel, so hieß es in ihrem Umfeld, sei daran gelegen, das Weltwirtschaftsgewitter auf G20-Ebene möglichst schnell abzuwettern, um an der G8-Runde „überhaupt nichts ändern“ zu müssen: Niemand, so hieß es, könne ein Interesse daran haben, „auf Dauer eine neue Gruppe einzurichten“. Noch Mitte Dezember bekräftigte Bernd Pfaffenbach, der Beauftragte der Bundesregierung für die Weltwirtschaftsgipfel, „dass die G20-Gipfel eine zeitlich begrenzte Veranstaltung bleiben“ sollen. Drei Wochen später wollte Merkel davon freilich nichts mehr wissen – und schwenkte auf die Reformlinie ein, die Außenminister Steinmeier vorgegeben hatte. Seither wirbt Merkel für eine Veränderung der Gipfelarchitektur und für eine Fortsetzung der G20-Treffen – wenn auch sehr unbestimmt. Im Januar hieß es noch, die G8 müsse „natürlich mehr Akteure“ aufnehmen. Jetzt aber scheint Merkel sich den Trumpf einer vielschichtigen, pluralen, netzwerkartigen Weiterentwicklung der G8 selbst aus der Hand schlagen zu wollen.

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