Gabriel in den USA Schwieriger Neubeginn einer wunderbaren Freundschaft

Sigmar Gabriel steht bei seinem Antrittsbesuch in den USA vor einer schweren Aufgabe: Er muss mit dem ebenfalls frisch gekürten US-Chefdiplomaten Tillerson einen Neubeginn der deutsch-amerikanischen Beziehungen ausloten.

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Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (M, SPD) besucht zusammen mit dem deutschen Botschafter in den USA, Peter Wittig (l), in Washington die Library of Congress, eine der bedeutendsten Bibliotheken der Welt. Quelle: dpa

Washington So viel Neuanfang war selten. Da reist der deutscher Außenminister, der gerade mal eine knappe Woche im Amt ist, eilig über den großen Teich, um seinen amerikanischen Amtskollegen kennenzulernen, der gerade mal einen Tag im State Department am „Foggy Bottom“ in Washington sitzt. Und worüber reden Sigmar Gabriel und Rex Tillerson? Über einen Neubeginn der deutsch-amerikanischen Beziehungen.

So würden das die beiden Chefdiplomaten ihrer Länder natürlich nicht beschreiben. Bei den Gesprächen Gabriels in Washington war dagegen viel von Freundschaft und transatlantischer Zusammenarbeit die Rede, die es jetzt, nach dem Regierungswechsel in den USA, fortzusetzen gelte. Die schönen Worte können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Amerika und Deutschland nach dem politischen Weltbeben namens Donald Trump fast von vorne anfangen müssen.

„Wir wollten schnell hierherkommen “, sagte Gabriel vor dem Kapitol, wo er die beiden führenden US-Senatoren Bob Corker und Ben Cardin aus dem Auswärtigen Ausschuss getroffen hatte. „Wir halten an der transatlantischen Zusammenarbeit fest und kommen mit ausgestreckter Hand.“ Es habe immer mal wieder Konflikte zwischen beiden Ländern gegeben, aber Amerika bleibe die Nation, mit der Deutschland sich besonders verbunden fühle, bekräftigte der deutsche Außenminister „Wir haben nichts zu verbergen, sondern etwas anzubieten“, betonte Gabriel selbstbewusst, „nämlich gemeinsame Werte wie Religionsfreiheit und den fairen Umgang miteinander.“ Dabei müsse es aber auch bleiben.

In diesen Sätzen ist schon die neue Vorsicht zu spüren, die sich in diesen Tagen wie der winterliche Frost auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen gelegt hat. Freundschaft und Vertrauen sind keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern nur noch ein Angebot. So ähnlich hatte es auch die Bundeskanzlerin formuliert, als sie Donald Trump zum Wahlsieg gratulierte und ihm die Hand zur Zusammenarbeit „auf der Grundlage von Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen“ ausstreckte. Auch das musste früher, vor Trump und selbst noch unter George W. Bush, nicht extra betont werden.

Um seinen Punkt noch zu unterstreichen, besuchte Gabriel anschließend die Bibliothek des Kongresses und las aus der deutschen Übersetzung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 vor. Auch darin war bereits viel davon die Rede, dass alle Menschen gleich sind. Gabriel ist Amerika durchaus zugetan – auch persönlich. Als junger Abgeordneter hat er Ende der 90er-Jahre ein paar Wochen in den USA verbracht und dabei so uramerikanische Ortschaften wie Rapid City im US-Bundesstaat South Dakota schätzen gelernt. Die Kleinstadt erhob den SPD-Linken sogar zu ihrem Ehrenbürger. Dass er nicht möchte, dass Deutsche und Amerikaner sich auseinanderleben, kann man Gabriel also durchaus abnehmen.

Die letzten Tage haben das neue Abtasten der alten Freunde allerdings nicht leichter gemacht. Erst schockte der neue US-Präsident den Rest der Welt mit seinem Einwanderungsdekret und wurde dafür postwendend nicht nur von Merkel kritisiert. Die Bundeskanzlerin hat nicht vergessen, dass Trump erst kürzlich wieder ihre Politik der offenen Grenzen als schweren Fehler gebrandmarkt hat.

Dann meldete sich Peter Navarro zu Wort, der als Wirtschaftsberater des neuen Präsidenten all jene an den Pranger stellen soll, die seiner Meinung nach gegen das neue Freihandelsmodell des „America First“ verstoßen. Nach Mexiko und China war diese Woche Deutschland an der Reihe. Navarro warf den Deutschen vor, mit Hilfe von Währungsdumping einen riesigen Leistungsbilanzüberschuss von rund neun Prozent der Wirtschaftsleistung aufgetürmt zu haben.

Kritik an ihren Handelsüberschüssen sind die deutschen Exportweltmeister zwar schon seit Jahren gewohnt. Aber dass man ihnen aus Washington offen einen heimlichen Währungskrieg unterstellt, ist neu. Viel Bewegung dürft es bei diesem Streitthema nicht geben. Berlin bleibt bei seinem Standpunkt, dass der Exportüberschuss nicht das Ergebnis seiner Wirtschaftspolitik ist, sondern Ausdruck der hohen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen.


Gabriel muss nicht nur die deutschen Interessen vertreten

Der jüngste Handelsstreit ist jedoch nur ein Thema, bei dem Gabriel seinem fremden Freund Tillerson seine Sicht der Dinge sowie die deutschen Interessen und Werte erläutern will. Ganz oben auf der Liste „Wie hältst Du es mit....?“ steht Russland. Trump hat auch im Verhältnis zu Moskau einen Neubeginn angekündigt. Seit Tagen wird in Washington über eine baldige Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland spekuliert. Und Tillerson gilt aus seiner Zeit als Chef des Ölmultis Exxon als enger Vertrauter von Wladimir Putin, der ihm einst sogar einen Freundschaftsorden verlieh.

Gabriel muss dem Putin-Freund also erklären, warum die Europäer im Moment keinen Anlass sehen, die Sanktionen gegen Moskau aufzuheben. Schließlich sind die Bedingungen des Minsker Abkommens, das den Dauerkonflikt in der Ukraine befrieden soll, längst nicht erfüllt. Dass der deutsche Außenminister selbst kein glühender Anhänger von Wirtschaftssanktionen ist, macht die Sache nicht unbedingt leichter.

Gesprächsbedarf gibt es auch über das Atomabkommen mit dem Iran. Die neue US-Regierung hat ihren Ton gegenüber Teheran nach dem jüngsten Raketentest der Iraner deutlich verschärft. Trump hält das Abkommen ohnehin für ein „Desaster“. Deutschland steht hingegen zu dem Atom-Deal und hat das Abkommen zusammen mit den USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien unterzeichnet. Sollten die USA wirklich ausscheren, stellt sich sofort die Frage, ob die Deutschen und Amerikaner in dieser für den Mittleren Osten so wichtigen Frage künftig getrennte Wege gehen. Im Moment kann man sich dieses Schreckensszenario im Auswärtigen Amt kaum vorstellen.

Besonders irritiert haben dürfte den überzeugten Europäer Gabriel jedoch, dass Trump den Brexit als Erfolg feiert und ihn damit offen zur Nachahmung empfiehlt. Wie wichtig der europäische Einigungsprozess auch für Amerika ist, das will Gabriel nicht nur Tillerson, sondern auch US-Vizepräsident Mike Pence nahebringen, den er am Nachmittag traf. Bislang gehörte die Einigung Europas zu den Konstanten der amerikanischen Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Man kann sogar sagen, die USA haben den Einigungsprozess nach dem Krieg mit dem Marshall-Plan erst angestoßen. Ein Richtungswechsel hier wäre ein weiterer Spaltpilz für Europa. Versucht doch auch Putin alles, um die Europäer auseinander zu dividieren.

Ähnlich unübersichtlich ist die Lage bei der Nato. Zwar hat Trump in seinem jüngsten Telefonat mit Merkel versichert, er stehe zum Bündnis. Den Europäern klingen jedoch noch seine früheren Worte in den Ohren, die Nato sei „obsolet“. Im Auswärtigen Amt sorgt man sich, Trump werde womöglich das Verteidigungsbündnis im Kampf gegen den Terrorismus einsetzen wollen. In Berlin hält man das für gefährlich, weil sich dort niemand vorstellen kann, wie eine Exit-Strategie aussehen könnte, sollte sich die Nato wirklich militärisch im Nahen Osten engagieren.

Gabriel muss in Washington nicht nur die deutschen Interessen vertreten. Er muss auch ausloten, wie sich der Provokateur Trump in die Gruppe der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) einbinden lässt. Deutschland hat nämlich den Vorsitz der G20 inne und richtet im Juli den Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Hamburg aus. Spätestens dort werden alle Probleme wieder auf den Tisch kommen. Schließlich ist die G20 nach der Finanzkrise gegründet worden, um die internationale Zusammenarbeit zu verbessern.

Wie das mit Trumps Mantra des „America First“ unter einen Hut zu bringen ist, muss der neue deutsche Außenminister erst noch rausfinden. Vielleicht hilft ihm der neue Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, dabei. Den Portugiesen trifft Gabriel am Freitag in New York.

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