Gabriels Worte an Urlauber Wie gefährlich die Reise in die Türkei wirklich ist

Zuletzt hat die Türkei deutschen Staatsbürgern die Einreise verwehrt, Journalisten und Aktivisten sitzen im Gefängnis – auch Außenminister Gabriel äußert sich zum Türkei-Urlaub. Eine Analyse der vermeintlichen Gefahr.

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„Jemanden nicht ins Land zu lassen, ohne dass es konkrete Beweise gegen ihn gibt, das darf nicht vorkommen.“ Quelle: dpa

Istanbul Bereits im Juli hatte das Auswärtige Amt die Sicherheitshinweise für die Türkei verschärft. Jetzt legte Vizekanzler Sigmar Gabriel noch einmal nach: Er könne keinem guten Gewissens raten, dort Urlaub zu machen. „Man muss sich das genau überlegen“, sagte Gabriel der „Bild“-Zeitung. So könne auch ein langjähriger Türkeiurlauber Probleme bekommen, wenn sein Hotelier der Gülen-Verbindung angehöre, behauptete der Außenminister in dem Interview, „denn für die türkische Regierung ist ja jeder ein Terrorist, der irgendwie nicht mit Erdogan einverstanden ist“.

Ist das eine berechtigte Warnung oder Wahlkampfgeplänkel? In der Tat häufen sich in letzter Zeit Fälle, in denen sowohl türkische als auch ausländische Staatsbürger nicht in die Türkei einreisen konnten. Zuletzt traf es einen deutschen Rucksacktouristen, der nach drei Tagen zurückgeschickt wurde. Davor warnt auch das Auswärtige Amt in seinen Reisehinweisen. „Seit Anfang 2017 wurde wiederholt deutschen Staatsangehörigen an den Flughäfen in der Türkei die Einreise ohne Angabe genauer Gründe verweigert“, heißt es darin. Die türkische Botschaft in Berlin äußerte auf Anfrage ihr Bedauern über den Fall. „Jemanden nicht ins Land zu lassen, ohne dass es konkrete Beweise gegen ihn gibt, das darf nicht vorkommen“, antwortete ein Sprecher dem „Spiegel“, der über den Fall berichtet hatte.

Ich habe sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsangehörigkeit und bin seit der Ausrufung des Ausnahmezustandes im Juli 2016 dutzendfach ein- und ausgereist. Seit Juni 2017 lebe ich als Auslandskorrespondent in Istanbul. Im selben Monat haben mich acht Freunde aus Deutschland besucht, wir haben zusammen eine Woche im Süden des Landes verbracht. Neulich hat mich eine Bekannte besucht – eine Journalistin aus Deutschland. Auch wenn mir die Berichte über Einreiseverweigerungen bekannt sind: Bisher gab es für mich und mein Umfeld keine Probleme.

Was nicht heißt, dass es nicht doch einen Türkeiurlauber treffen kann. Es ist allerdings statistisch gesehen sehr unwahrscheinlich. Nach aktuellen Zahlen ist die größte Gruppe Reisender, die am Flughafen Istanbul-Atatürk von Januar bis Juni per Passkontrolle eingereist ist, die der Deutschen: über 400.000 waren es allein im ersten Halbjahr 2017. Im selben Zeitraum ein Jahr zuvor waren es übrigens noch rund 430.000.

Dass Urlauber aus anderen Staaten nun die Türkei im großen Stil meiden, scheint nicht einzutreffen. Am Donnerstag gab das türkische Tourismusministerium bekannt, dass im Juli 46 Prozent mehr Ausländer in die Türkei gereist sind als ein Jahr zuvor. Das war übrigens der Monat des Putschversuchs in der Türkei. Da zu dem Zeitpunkt die Zahl der Urlaubsreisen in das Land abgerutscht sind, verwundert nicht – erklärt aber das relativ starke Wachstum im Vergleich.

Aber auch im gesamten ersten Halbjahr lag die Zahl ausländischer Touristen mit 17,3 Millionen um 22 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Die Anzahl deutscher Urlauber, die die türkischen Strände besonders schätzen, lag im betroffenen Zeitraum übrigens bei fast zwei Millionen. Insgesamt kamen 7,1 Millionen Touristen aus Europa in die Türkei.


Mehr Touristen als im Jahr zuvor

Bis zu einigen Dutzend von ihnen könnte die Einreise verweigert worden sein. Wie viele Menschen genau betroffen sind, ist nicht bekannt. Türkische Behörden sind nach dem Völkerrecht nicht verpflichtet, solche Einreiseverweigerungen bekanntzugeben. Trotzdem liegt die Wahrscheinlichkeit, nicht ins Land zu kommen, immer noch weit unterhalb des Promillebereichs.

Auch auf den Straßen in meinem Istanbuler Heimatviertel Galata höre ich immer häufiger englische, spanische und auch deutsche Stimmen. Trotzdem fällt mir auf, dass die Gassen und Restaurants in den „Touri-Ecken“ der Stadt deutlich weniger gefüllt sind als in den Hochzeiten vor drei bis zehn Jahren. Das zeigt sich auch an den Preisen für Hotelzimmer in der Stadt, die derzeit besonders niedrig sind.

Gleichzeitig ist auffällig, dass die SPD gerade jetzt die Warnungen in Richtung Türkei verschärft. Es hätte dazu seit Monaten genug Gründe gegeben, als es noch regelmäßig Anschläge in dem Land gegeben hat. Vor acht Monaten gab es den bislang letzten. Auch die Verhaftungswelle nach dem Putschversuch wäre ein passender Anlass gewesen.

Auf der anderen Seite ist es auch die türkische Führung, die auf Eskalation eingestellt ist. Staatschef Recep Tayyip Erdogan beschimpft die Bundesregierung mit immer schärferen Worten – Stichwort „Nazimethoden“ – und mehrere türkische Minister empören sich öffentlich über die mangelnde Kooperation Deutschlands im Kampf gegen Terroristen und türkische Staatsfeinde.

Deshalb ist es wohl eine Mischung aus beidem: zum Teil berechtigte Warnung, aber auch viel Wahlkampfgetöse. Wer die türkischen Strände schätzt und auf eine Reise dorthin nicht verzichten möchte, sollte sich dennoch ausgiebig über die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes informieren – eine offizielle Warnung gibt es trotz Gabriels Aussagen nicht. Es sollte jedem klar sein, dass immer noch täglich mehrere tausend Deutsche in das Land reisen – und am Ende ihres Urlaubs auch wieder ausreisen können.

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