Gastbeitrag von Michael Wolffsohn Warum Saudi-Arabien scheitern wird

Der Kronprinz bin Salman schockt mit einer Verhaftungswelle unter dem Deckmantel der Korruption ganz Saudi Arabien - und gefährdet damit die Stabilität der Ölnation bis ins Mark, meint Gastautor Michael Wolffsohn.

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Dass die islamisch-fundamentalistische Geistlichkeit die Neuerungen einfach so hinnehmen wird, ist mehr als unwahrscheinlich. Quelle: AP

Berlin Der Ölgigant wankt. Unter der Regie des jungen Kronprinzen Mohammed bin Salman versucht das Alte Regime durch Neuerungen und Säuberungen zu retten, was zu retten ist. Dieser Tage ließ er in aufsehenerregenden Aktionen sogar Prinzen, Minister und steinreiche Geschäftsleute wegen „Korruption“ verhaften. Zuvor hatte er die scheinbar allmächtige islamisch-fundamentalistische Geistlichkeit geschwächt, indem er durchsetzte, dass Frauen Auto fahren und in einige Fußballstadien dürfen. Zu wenig, zu spät. Wahrscheinlich wird der saudische Reformer scheitern wie Weiland Michail Gorbatschow, der durch Entkrustungen die dahinsiechende Sowjetunion vor dem Untergang bewahren wollte. Was ihm bekanntlich nicht gelungen ist.

Aus folgenden Gründen dürfte auch der saudische Gorbatschow scheitern. Bislang konnten Auseinandersetzungen innerhalb des Königshauses bzw. der Aristokratie relativ elegant, kaum sichtbar und lautlos hinter den Kulissen gelöst werden. Das hat sich durch die jüngsten Verhaftungen dramatisch verändert. Der Machtkampf ist nun für jedermann sichtbar und dürfte noch nicht beendet sein.

Die islamisch-fundamentalistische Geistlichkeit konnte in Fragen des religiösen, sprich: Des gesellschaftlichen Alltags, immer schalten und walten wie sie wollte. Das hat sich nun geändert. Die neuen „Frauenrechte“ sind für sie eine Provokation. Werden sie zur Tagesordnung übergehen und ihren strategischen Machtverlust stillschweigend hinnehmen? Das ist mehr als unwahrscheinlich.

Der Kronprinz hat die Neuerungen eingeführt, um das wohlhabende und gebildete saudische Bürgertum zu befriedigen und zu befrieden. Damit hat er aber auch das traditionelle Bündnis von Monarchie, Aristokratie und Theokratie gelockert, gar aufgekündigt.

Doch diese Reformen sind letztlich Reförmchen. Sie können und werden das saudische Bürgertum politisch weder befriedigen, und schon gar nicht befrieden. Wie jede gebildete und wohlhabende Bourgeoisie will auch die saudische politische Teilhabe und Teilnahme. Sie will Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Religion im Alltag mitgestalten. Das verweigern ihr Monarchie und Theokratie, die nunmehr aber nicht gemeinsam auftreten. Langfristig werden sie dem Bürgertum den Weg zur Macht nicht versperren können, zumal sie durch ihre zerbrochene Einheit strukturell geschwächt sind.

Das saudische Bürgertum ist, grob gesprochen, in Reformer und Revolutionäre gespalten. Beide drängen nicht erst seit gestern an die Macht. Die Revolutionäre wurden aller Welt erstmals im November 1979 sichtbar. Sie besetzten die Große Moschee von Mekka, DIE Moschee schlechthin. Nur mit Hilfe der französischen Anti-Terror-Einheit konnte das Königshaus der stürmisch, gewalttätigen Bürger Herr werden. Religiös kam der Einsatz der Franzosen einer Entheiligung gleich, denn Nicht-Muslime dürfen dieses Gotteshaus eigentlich nicht betreten. Zugunsten der Macht wurde das religiöse Gesetz gebrochen. Der Allianz von Monarchie und Theokratie war das nicht gerade bekömmlich.


Das Königshaus riskiert die Unterstützung des Militärs zu verlieren

Osama bin Ladens al Qaida muss ebenfalls im Zusammenhang mit dem Versuch ungeduldiger Bürger Saudi Arabiens gesehen werden, die sich an die Macht im eigenen Land bomben wollten und wollen. Bin Laden war die Personifizierung dieser Gesellschaftsschicht: Wohlhabend, ja, extrem reich und eben bürgerlich, wobei Bürgerliches und religiöser Fundamentalismus einander keineswegs ausschließen. Um das Machtzentrum im eigenen Land zu schwächen, attackierten Osama und Co. am 11. September 2001 (auch vorher und nachher) den ausländischen Hauptverbündeten ihres innenpolitischen Feindes: Die USA.

Die bürgerlichen Reformer werfen keine Bomben und positionieren sich gegen Terrorismus, eine Stütze von Königshaus und Geistlichkeit sind sie trotzdem nicht. Bislang waren die saudischen Streitkräfte eine wichtige Stütze des Königshauses. Durch gigantische Waffenkäufe werden sie bei Laune gehalten. Ob ihre gute Laune angesichts der militärischen Misserfolge im Jemenkrieg - der eigentlich ein Krieg zwischen den Saudis und dem Iran ist - anhalten wird, darf bezweifelt werden.

Soziologisch ist das saudische Militär eher bürgerlich, denn die Aristokratie hüllt sich lieber in Seide als in Uniform. Langfristig wird die saudische Militär-Bourgeoisie ohne politische Teilhabe nicht mehr ihr Leben fürs Königshaus riskieren, das ihnen eben diese Partizipation verweigert. Ein Militärputsch à la Gaddafi, wie 1969 in Libyen, ist alles andere als ausgeschlossen. Monarchie ade. Bonjour Bourgeoisie. Islamistisch oder nicht. Wer weiß?

Ein anderer Teil der saudischen Bourgeoisie ist ebenfalls mehr als unruhig: Die schiitischen Bürger in den ölreichen Ostprovinzen des mehrheitlich sunnitischen Saudi Arabien. Mit Hilfe des extrem schiitischen Iran versuchen die saudischen Schiiten (10-15 Prozent der saudischen Gesamtbevölkerung) mehr politische Mitsprache, Teilhabe und wohl auch eine Abspaltung zu erreichen. Ohne die östlichen Ölprovinzen wäre Saudi Arabien arm wie eine Kirchenmaus. Fazit: SOS Saudi Arabien. Die weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Folgen werden gravierend sein.

Der Historiker und Publizist Prof. Dr. Michael Wolffsohn veröffentlichte zuletzt den Bestseller „Zum Weltfrieden“ und „Deutschjüdische Glückskinder, Eine Weltgeschichte meiner Familie“.

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