Gastbeitrag Wie das Dilemma in Gaza zu lösen ist

Es ist höchste Zeit, auf eine Waffenruhe zu drängen, die das Töten und die Zerstörung stoppt, meint Muriel Asseburg. Zudem ist die Abriegelung Gazas dauerhaft zu lockern, damit die Wirtschaft wieder auf die Beine kommt.

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Bisher ist das Leid im Nahost-Konflikt auf beiden Seiten groß – ein Ende wird es nur finden, wenn Israel und die Palästinenser eine gemeinsame Lösung finden, die keine der Parteien ihr Ansehen kostet. Quelle: Reuters

Berlin Eine baldige Waffenruhe ist keineswegs unmöglich. Denn die Hamas-Führung hat ein großes Interesse daran, zu einer Regelung zu kommen, die die Blockade des Gaza-Streifens aufhebt oder zumindest deutlich abmildert; die zu einer Überwindung ihrer weitgehenden regionalen und internationalen Isolierung beiträgt; die zu einer Freilassung derjenigen führt, die im Gefangenenaustausch von 2011 freigekommen, aber in den letzten Wochen wieder verhaftet worden sind; und die es ihr ermöglicht, die Gehälter der Angestellten im öffentlichen Dienst auszuzahlen.

Dafür hat Katar die nötigen Mittel zugesagt, ihre Überweisung hat Israel aber bislang verhindert. Dass die Hamas Willens und in der Lage ist, eine solche Waffenruhe selbst einzuhalten und den Raketenbeschuss durch andere Gruppierungen weitestgehend zu unterbinden, hat sie in der Vergangenheit bereits wiederholt unter Beweis gestellt.

Auch Israel hat, selbst wenn dies einige Hardliner in der Regierungskoalition fordern, kein Interesse daran, Hamas regierungsunfähig zu machen oder gar zu zerschlagen. Davon abgesehen, dass es kaum möglich ist, eine Organisation mit einer solch breiten Basis in der Bevölkerung zu beseitigen, würde mit einem Abdrängen in den Untergrund keine Beruhigung der Lage oder eine Rückkehr zu einer Regierung durch moderate, kooperationsbereite Kräfte einhergehen. Die Gefahr bestünde vielmehr, dass sich im folgenden Chaos noch radikalere Kräfte durchsetzen.

Auch versucht Premierminister Benjamin Netanjahu eine längerfristige Wiederbesetzung des Gaza-Streifens zu vermeiden. Nicht nur wären Israels dort stationierte Soldaten verstärkt Anschlägen und Entführungsversuchen ausgesetzt. Auch müsste Israel wieder direkt Verantwortung für die rund 1,7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Küstenstreifens übernehmen und könnte nicht länger für sich reklamieren, die Besatzung über das Gebiet mit seinem Abzug 2005 beendet zu haben. Völkerrechtlich fragwürdig ist diese Behauptung ohnehin, da Israel – abgesehen von der Grenze zu Ägypten – nach wie vor alle Land- und Seegrenzen des Gebiets kontrolliert.


Ägypten spielt Rolle des Vermittlers wenig erfolgreich

Die Europäer und die USA haben sich in der aktuellen Auseinandersetzung klar auf Seiten Israels positioniert und dessen Recht auf Selbstverteidigung hervorgehoben. Zwar haben sie gemahnt, zivile Opfer zu vermeiden, aber bislang wenig Dringlichkeit in Bezug auf eine Waffenruhe erkennen lassen. Vielmehr setzen sie ganz auf Kairo als Vermittler. Denn Ägypten war in der Vergangenheit das einzige Land, das von Israel, der Hamas und der Palästinensischen Autorität als ehrlicher Makler akzeptiert wurde und zugleich selbst Interesse daran hatte, als solcher aufzutreten.

Die Türkei und Katar werden von Israel als Vermittler abgelehnt. Allerdings hat die neue ägyptische Führung eine erste Vermittlungsinitiative so einseitig eingefädelt, dass sie scheitern musste. Kein Wunder: Hamas als Schwesterorganisation der Muslimbrüder findet sich im Visier des ägyptischen Kampfes gegen den Terrorismus; vertrauensvolle Gespräche und ein Interessenausgleich sind so kaum möglich.

Selbst wenn es Kairo gelingt, eine erneute Waffenruhe zu vermitteln, die den Interessen beider Seiten entgegenkommt, wird dies nicht ausreichen, um eine dauerhafte Stabilisierung zu erreichen. In der Tat hat sich bei den kriegerischen Auseinandersetzungen im und um den Gaza-Streifen (2006, 2008/2009, 2012 und nun 2014) seit dem israelischen Abzug ein Muster etabliert: Israels Militär greift immer wieder ein, um, wie es führende israelische Strategen ausdrücken, „das Gras zu mähen“, also die Waffenarsenale und das Führungspersonal der militanten Gruppierungen im Gaza-Streifen zu dezimieren.

Diese wiederum nutzen die Ruhepausen zwischen den Waffengängen, um neue Waffen zu beschaffen beziehungsweise herzustellen. Gleichzeitig kann der palästinensische Präsident Mahmud Abbas weder die Bevölkerung schützen, noch hat er Einfluss auf den jeweiligen Konfliktverlauf. Und eine erfolgversprechende Alternative zum gewaltsamen „Widerstand“ kann er schon gar nicht aufzeigen. Somit verliert Abbas weiter an Unterstützung, nicht zuletzt auch, weil er die Sicherheitskooperation mit Israel trotz Massenverhaftungen in der West Bank und Militäroperation im Gaza-Streifen fortführt.

Hinzu kommt, dass seit dem israelischen Abzug keine der tieferliegenden Konfliktursachen angegangen worden und die damals verhandelten Regelungen über Bewegungsfreiheit und Zugang nicht umgesetzt beziehungsweise wieder außer Kraft gesetzt worden sind. Die Kosten für humanitäre Hilfe, die wirtschaftlichen Effekte der Blockade und den wiederholten Wiederaufbau werden auf die internationale Gemeinschaft abgewälzt.


Die Spirale der Gewalt und des Hasses durchbrechen

Daher sind die Mitglieder des Nahostquartetts (USA, EU, UN und Russland) gefordert, nicht nur zu einer Waffenruhe, sondern zu einem langfristigen Waffenstillstand beizutragen, der diese Spirale durchbricht. Neben einer dauerhaften Einstellung der Gewalt muss das primäre Ziel sein, die Abriegelung des Küstenstreifens zu beenden.

Dabei bietet das innerpalästinensische Machtteilungsabkommen vom April diesen Jahres die Basis dafür, dass die Palästinensische Autorität in die Kontrolle der Übergänge eingebunden wird – wie dies bislang schon am Grenzübergang Erez der Fall war. Hamas, die Palästinensische Autorität, Israel und Ägypten müssten sich auf einen geregelten und international überwachten Grenzverkehr verpflichten. Dabei könnte auch der europäischen Grenzmission EUBAM Rafah wieder eine Aufgabe zukommen. Ergänzt werden sollte dies durch eine deutliche Ausweitung der Zonen, in denen sich Gazas Fischer bewegen dürfen, sowie die Wiederaufnahme der 2005 entwickelten Pläne für den Bau eines Hafens.

Nur wenn die Abriegelung Gazas spürbar und dauerhaft gelockert wird, wird Gazas exportorientierte Wirtschaft wieder auf die Beine kommen. Nur dann wird auch die Abhängigkeit der Bevölkerung von internationalen Gebern und von der Hamas abgebaut werden. Und nur dann können die gravierenden Umweltprobleme angegangen werden, die das Leben im Gaza-Streifen existentiell bedrohen und, wie die UN befürchtet, das Gebiet schon in wenigen Jahren unbewohnbar machen.

Murielle Asseburg arbeitet in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Sie ist Leiterin des Projekts „Neue soziale Mobilisierung in der arabischen Welt“. Ihr Beitrag erschien in der Reihe „Kurz gesagt“.

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