Gastbeitrag zur Griechenland-Krise „Das ist polemisch und aggressiv, Herr Krugman“

Deutschlands „Moral-Getue ist Wahnsinn“: Paul Krugman kann sehr wütend werden. In der Debatte um die Zukunft Griechenlands kämpft der US-Wissenschaftler nicht mit dem Florett, sondern mit der Axt, meint Tasso Enzweiler.

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Tasso Enzweiler ist Prinzipal Partner der Strategieberatung Enzweiler & Partner. Quelle: Screenshot

Köln In einem Kommentar für die „New York Times“ hat Paul Krugman das deutsche „Moral-Getue“ scharf kritisiert. Die Forderungen der Eurogruppe seien „Wahnsinn“, die Einschätzung, dass dahinter nur Staatsstreich-Gedanken stecken könnten, sei „absolut richtig“. Die Forderungen der Euro-Gruppe seien ein Angebot, das Griechenland keinesfalls annehmen könne. Aber selbst wenn Griechenland die Offerte annehme, sei dies „grotesker Betrug, für den das europäische Projekt niemals habe stehen sollen", so Krugman.

Redet da einer endlich mal Klartext und schüttelt die diplomatischen Spielregeln seiner Zunft ab? Klärt uns ein renommierter Wissenschaftler – Krugman ist Nobelpreisträger für Ökonomie – über die Winkelzüge und hinterhältigen Tricks der internationalen Politik auf?

Leider weit gefehlt. Der Zeitungskolumnist Krugman hat zwar viel für die ökonomische Theorie geleistet, aber seine Beiträge zur wirtschaftspolitischen Praxis sind fast immer polemisch und mitunter höchst aggressiv. Seine Schimpftiraden gegen die Gruppe der Euro-Staaten, insbesondere gegen Deutschland, überschreiten regelmäßig die Grenze persönlichen Anstands und reihen sich nahtlos ein in die Fundamentalkritik anderer linksstehender Ökonomen wie Thomas Piketty und Joseph E. Stiglitz. Auch Oskar Lafontaine stützt sich in seinen Reden häufig auf Gedanken von Krugman & Co.

Die Genannten haben gemeinsam, dass sie wirtschaftspolitisch sogenannten Neo-Keynesianer sind. Sie berufen sich auf den einflussreichen Ökonomen John Maynard Keynes. Keynes in seinem Standardwerk „General Theory“ freilich definitiv Wert darauf gelegt, dass eine Verbesserung der Angebotsbedingungen – die Durchführung wettbewerbsteigernder Reformen – Priorität haben müsse vor nachfragestimulierenden Maßnahmen. In diesem Punkt stand Keynes Klassikern der Ökonomie (wie Adam Smith und David Ricardo) oder auch den Neoklassikern (wie Paul A. Samuelson und Alfred Marshall) in nichts nach, wie er stets betonte.

Ausschließlich in extremen Krisensituationen – Liquiditäts- und Investitionsfallen –, die freilich in der Realität außerordentlich selten auftreten, war Keynes für nachfragestimulierende Maßnahmen, hierbei übrigens eher für den Einsatz der expansiven Geldpolitik als für den Gebrauch der expansiven Fiskalpolitik.

Die nachfragestimulierenden Maßnahmen konnten nach seiner Auffassung nur unter engen Bedingungen wirken, beispielweise bei festen Wechselkursen. Feste Wechselkurse hat aber der Euro-Währungsraum im Vergleich zu anderen großen Währungsräumen wie USD, Yen, GBP und CHF nicht. Zudem existiert im ganzen Euro-Raum weder eine Liquiditäts- noch eine Investitionsfalle.


Piketty erinnert an Zweiten Weltkrieg

Durch eine expansive Geldpolitik sinken übrigens die Reallöhne der Beschäftigten. Diese Tatsache wird von Krugman, Piketty, Stiglitz und Lafontaine regelmäßig nicht erwähnt: Der von ihnen so gerne zitierte Keynes sah für den Fall einer Krise ausdrücklich Reallohnsenkungen vor – damit die Unternehmen entlastet werden und wieder investieren können.

Die wissenschaftlichen Wortführer der politischen Linken orientieren sich an Modellen, die von den Neo-Keynesianern Hicks und Hansen in den 1940er und 1950er Jahren begründet wurden, und die von verschiedenen Neo- und Neu-Keynesianern – das sind tatsächlich verschiedene Denkschulen – fortentwickelt wurden. Diesen Modellen ist freilich gemeinsam, dass sie jene Bedingungen, die Keynes für die Wirksamkeit expansiver Maßnahmen formuliert hat, ganz oder zumindest stark ausblenden.

Ökonomen wie Krugman, Stiglitz und Piketty müssen sich folglich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie ohne sauberes theoretisches Fundament arbeiten, und zentrale Aussagen von Keynes ignorieren, auf den sie sich berufen. Insbesondere die expansive Geldpolitik hat das Ziel einer Umverteilung von unten nach oben – erstens über die angesprochenen Reallohnsenkungen, zweitens über Vermögenspreiseffekte.

Der Pariser Wissenschaftler Thomas Piketty erinnert Deutschland gerne an das Londoner Schuldenabkommen Anfang der 1950er Jahre, bei dem Deutschland rund 60 Prozent seiner Auslandsschulden erlassen wurden. Das solle die EU doch jetzt auch mit Griechenland machen, schlägt er vor.

Piketty erwähnt dabei nicht den Schuldenschnitt für Griechenland 2012 in Höhe von 107 Mrd. EUR durch private Gläubiger, das waren um die 50 Prozent der damaligen Schuldenlast. Hinzu kommt, dass man für die verbleibenden Schulden Griechenlands damals zwei Mal die Zinshöhe gesenkt hat und die Rückzahlfristen größtenteils um Jahrzehnte nach hinten verschoben hat. Das hat den abgezinsten Barwert der Staatsschulden schätzungsweise um ein weiteres Zehntel gesenkt.

Vor allem sagt Piketty nicht, dass nach dem zweiten Weltkrieg Wirtschaftsminister Ludwig Erhard in der Bundesrepublik entschlossen weitreichende wettbewerbssteigernde Reformen durchgesetzt hatte - anfänglich, 1948, sogar gegen den Willen des damaligen US-Hochkommissars Lucius Clay.


Ahlener Programm und Marshall-Plan

Dank Erhard wurde die Preis- und Mengenbewirtschaftung aufgehoben, Produkt- und Arbeitsmärkte wurden liberalisiert, ein Kartellamt wurde eingesetzt, eine unabhängige Zentralbank geschaffen, Kapitalverkehrskontrollen wurden zurückgeführt, erste Freihandelsabkommen wurden abgeschlossen, eine effiziente Bundesverwaltung wurde aufgebaut, ein investitionsfreundliches Steuersystem eingeführt, ausführende Länder- und Kommunalbehörden wurden geschaffen.

Übrigens anfangs auch gegen den Widerstand von Kanzler Adenauer, der ja aus der Tradition des „Ahlener Programms“ der rheinischen CDU kam und Erhards Soziale Marktwirtschaft erst unterstützte, als er merkte, dass man damit Wahlen gewinnen konnte und Arbeitsplätze geschaffen werden.

Diese entschlossenen Wachstumsinitiativen vermisst man in Griechenland völlig. Ein Schuldenschnitt bewirkt somit ohne wettbewerbssteigernde Reformen wenig bis nichts, bestenfalls etwas mehr Zeit. Wettbewerbssteigernde Reformen sind folglich eine Voraussetzung, dass Griechenland wieder wachsen kann – und dann macht es auch Sinn, über eine weitere Entlastung bei den Schulden sprechen. Aber nicht umgekehrt.

Piketty erinnert Deutschland auch gerne an das Marshall-Programm der USA nach dem Krieg und fordert die EU auf, ein derartiges Investitionsprogramm zu finanzieren. Piketty sagt nicht, dass das Marshall-Aufbauprogramm lediglich gut 4 Prozent des damaligen deutschen BIP umfasste. Dagegen hat Griechenland – auch ohne den Schuldenerlass 2012 – seit dem Euro-Beitritt mehr als 400 Prozent Finanzhilfen der EU bzw. des Euro-Systems/IWF plus Gelder aus den diversen EU-Fördertöpfen – Strukturprogramme – erhalten.

Stiglitz und Krugman stoßen in dasselbe Horn und fordern weitere Anstrengungen der europäischen Geldpolitik, selbstredend auch höhere Staatsausgaben. Sie ignorieren jedoch jede wettbewerbssteigernde Reform. Wenn als Folge Schulden und Asset-Preise steigen, werden beide vermutlich geschwind vor Vermögenspreisblasen und einer Überschuldung warnen. Und dann werden beide vermutlich auch noch das Platzen künftiger Blasen ankündigen, die das Ergebnis ihrer Rezeptur sein können. So bleibt man ein ewiger Mahner und Kritiker, egal, was geschieht.

Der Polemik die Krone aufgesetzt hat Paul Krugmann - durch seine aggressive Kritik an der Bundesregierung in den vergangenen Tagen. Glaubt Krugman wirklich, dass es einen Gläubiger gibt, der mit der Summe von weiteren 20 Milliarden Euro bei Griechenland ins Feuer geht, aber keine höheren Anstrengungen bei wettbewerbssteigernden Reformen verlangt? Schwer zu glauben.

Was Krugman zu seinen Hasstiraden verleitet, erschließt sich dem Leser nicht. Doch mitunter drängt sich der Eindruck auf, dass Krugman den Titel des Nobelpreisträgers bewusst als Waffe nutzt - um der Welt seine Vorstellungen von Moral und Politik aufzudrängen.

Tasso Enzweiler, ehemals Chefreporter der Financial Times Deutschland und Mitglied der Atlantik-Brücke, ist Principal Partner der Strategieberatung Enzweiler & Partner. Der promovierte Ökonom zählte zu den Mitbegründern der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und äußert sich regelmäßig zu wirtschaftspolitischen Fragen.

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