Gastkommentar Neuer EZB-Chef Draghi nimmt Regierungen in die Pflicht

Die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank seien nur begrenzt wirksam, mahnt deren baldiger Chef Mario Draghi. Nun komme es auf die nationalen Regierungen an. Sie sollten mit Strukturreformen für Wachstum sorgen.

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Mario Draghi ist Chef der italienischen Notenbank und wird nächste Woche Präsident der EZB. Quelle: handelsblatt.com

In der Euro-Zone wächst die Produktivität nur langsam. Das liegt vor allem an der schwachen weltweiten Nachfrage. Unternehmen und Verbraucher haben ihr Vertrauen verloren. Und die Finanzierung wird durch die Spannungen in einigen Bereichen des Kapitalmarkts, vor allem bei Staatsanleihen, schwieriger. Daher droht sich das Wachstum noch weiter abzuschwächen – in einem Umfeld großer Unsicherheit.

Die ausufernde Krise hat eine weltweite und eine europäische Dimension, aber die besondere Verwundbarkeit Italiens hat nationale Gründe: das hohe Niveau der öffentlichen Verschuldung und die Zweifel am Wachstum unserer Wirtschaft. Außerdem wirkt sich negativ aus, wie unentschlossen und zögerlich unsere Politiker darangehen, Ungleichgewichte zu korrigieren und das Wachstum zu stärken. Daher ist die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen, die im August etwas gesunken war, wieder auf ein sehr hohes Niveau gestiegen.

Nach sechs Monaten des praktischen Stillstands ist im zweiten Quartal dieses Jahres die Produktion in Italien wieder gewachsen, aber sehr langsam. Die Exporte leiden unter der schwachen globalen Nachfrage. Laut den Umfragen gehen die Unternehmen von einer kurzfristigen Abschwächung der Konjunktur aus, außerdem beklagen sie, dass sich die Rahmenbedingungen für Investitionen verschlechtern. Die Inlandsnachfrage wird belastet durch die Schwäche der Einkommen, die langsame Erholung des Arbeitsmarkts und die Unsicherheit über die Wirtschaftsaussichten. Die volkswirtschaftlichen Prognosen für das nächste Jahr werden entsprechend nach unten korrigiert; der Internationale Währungsfonds traut Italien gerade noch ein Nullwachstum zu.

Die Europäische Zentralbank (EZB) ist aber entschlossen, auch mit unkonventionellen Maßnahmen dafür zu sorgen, dass die Probleme auf den Finanzmärkten die Geldversorgung nicht beeinträchtigen. Durch großzügige Refinanzierungsangebote stellen wir die Liquidität der Banken sicher. Wir haben ein Programm zum Ankauf von Pfandbriefen angekündigt. Die italienische Notenbank verlangt weiterhin von den nationalen Instituten, genügend Liquidität vorzuhalten: Das wird im wöchentliche Turnus von der Finanzaufsicht überprüft. Zusätzlich wird der Financial Stability Board beim G20-Gipfel im November in Cannes präzise Vorschläge zu systemrelevanten Banken machen, außerdem zur Eindämmung der Schattenbanken und zum Abbau der Risiken bei Derivaten, die außerhalb der Börse gehandelt werden.

Es bleibt wichtig, die Stabilität der Preise zu sichern

Alle unkonventionellen Maßnahmen der EZB, mit denen wir den Spannungen auf den Finanzmärkten begegnen, sind aber naturgemäß zeitlich begrenzt. Denn es bleibt wichtig, die Stabilität der Preise zu sichern. Wir wollen die Inflationserwartungen in der Euro-Zone so verankern, dass mittelfristig die Preise um knapp zwei Prozent pro Jahr steigen. Diese Eingriffe verhindern, dass die Ungleichgewichte noch wachsen; sie können die Ursachen nicht beseitigen. Auf europäischer Ebene ist es dringend notwendig, eine Politik durchzusetzen, in der Haushaltsdisziplin und Solidarität sich gegenseitig bedingen. Außerdem müssen sofort die bereits beschlossenen Finanzhilfen zur Bekämpfung der Krise umgesetzt werden. Aber ohne eine entschiedene und dauerhafte Problemlösung ist eine derartige Politik nicht zu erreichen und werden alle Hilfspakete verpuffen. Und die dauerhafte Lösung der Probleme muss von den nationalen Regierungen ausgehen.

Kurzfristig kann die Politik aber auch einiges zur Stützung des Wachstums tun. So sollte der Steuermix in Italien verändert werden: Der Faktor Arbeit muss entlastet werden, dafür können Vermögen und Konsum höhere Abgaben verkraften.

Doch ein dauerhafter Aufschwung kann nur mit strukturellen Reformen gelingen, die seit langem gefordert werden, bei vielen Zustimmung finden, aber immer noch nicht umgesetzt worden sind. Wir müssen den Wettbewerb stärken, vor allem bei den Dienstleistungen. Außerdem sollten wir endlich eine unternehmensfreundliche Regulierung und Verwaltung schaffen. Wenn es gelingt, die Gründung neuer Unternehmen zu erleichtern und die Kosten dafür zu senken, dann haben auch junge Leute bessere Chancen, ins Erwerbsleben einzusteigen.

Es gilt, den Aufbau von physischem Kapital und von Humankapital zu fördern. Ein wichtiges Ziel ist auch die Stärkung des Arbeitsmarktes. Dies alles bedeutet, die Prioritäten und die Arbeitsweise der Politik und der öffentlichen Verwaltung ganz neu festzulegen. Dabei gilt es, dem Druck einzelner Interessen standzuhalten und wirklich alle Bereiche einzubeziehen. Gut geplant und gut kommuniziert, können derartige Reformen sofort das Vertrauen stärken und so auch unmittelbar wirken. Sie werden dazu führen, dass mehr investiert wird, und sie werden den Risikoaufschlag für unsere Staatsanleihen wieder absenken.

Der Text basiert auf einer aktuellen Rede. Der Autor ist erreichbar unter gastautor@handelsblatt.com

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