Gedenkgottesdienst in Rouen Muslime und Katholiken gemeinsam gegen Hass

Die Attentate von Nizza und Rouen rufen eine Solidarisierungswelle französischer Muslime hervor. Im ganzen Land beten sie gemeinsam mit trauernden Katholiken. Derweil nimmt die Debatte um den Islam erneut Fahrt auf.

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In der Kirche der Stadt Bagnolet nahe Paris umarmen sich der Priester Patrick Morvan (l) und der Rektor der örtlichen Moschee, Mohamed Rakkaby (r). In ganz Frankreich solidarisieren sich nach dem Anschlag von Rouen Muslime mit trauernden Katholiken. Quelle: AFP

Paris Nach den Mordanschlägen islamistischer Terroristen in Nizza und Rouen hat in Frankreich die Sorge vor einem Konflikt der Religionen zugenommen. Doch zugleich kommen die französischen Muslime inzwischen stärker aus der Reserve. So deutlich wie nie zuvor distanzieren sie sich von Gewalttätern, die sich auf den Islam beziehen, und drücken den Christen ihr Mitgefühl wegen des Mordes an dem 86-jährigen Priester Jacques Hamel aus.

Terrororganisationen wie der Islamische Staat (IS oder „Daesh“ auf Arabisch) wollen in Europa einen Krieg der Religionen provozieren. Der Mord an Hamel am vergangenen Dienstag, zu dem der IS sich bekannt hat, löste jedoch etwas ganz Anderes aus: ein noch nie erlebtes Zusammenrücken von Muslimen und Christen. In ganz Frankreich nahmen Muslime am Sonntag an katholischen Gottesdiensten teil, beteten gemeinsam mit den Katholiken und ergriffen in den Kirchen das Wort, um ihr Beileid und ihren Abscheu angesichts der Gewalttaten auszudrücken. Dazu war es bislang noch nie gekommen.

In Saint Bernard de la Chapelle kamen am Sonntag rund 140 Personen zum Gottesdienst zusammen, davon ungefähr 20 Muslime. Die Kirche liegt im Viertel La Goutte d’Or im 18. Arrondissement von Paris, einem der ärmsten der Hauptstadt, in dem es viele Einwanderer aus Afrika und dem Maghreb gibt. „Wir danken den muslimischen Brüdern für diese Geste des Beileids und der Anteilnahme“, sagte Vikar William Nwgalo Bengo. Und fügte hinzu: „Es tröstet uns zu erleben, dass sie an diesem Tag der Trauer gemeinsam mit uns beten.“

Während der Messe reichten Katholiken und Muslime sich die Hände oder umarmten sich. Am Ende erteilte Vikar Bengo dem Rektor der Moschee des 18. Arrondissements Mohamed Sala Hamza das Wort. „Frankeich ist erneut erschüttert worden von Gewalttaten, die durch nichts zu rechtfertigen sind“, sagte Hamza. Man dürfe nicht in die Falle der Terroristen gehen, die einen Konflikt der Religionen provozieren wollen. Den dürfe es nicht geben, sagte der Rektor, und der Islam liefere keinen Vorwand dafür: „Der Prophet hat gesagt: Wer einem Juden oder einem Christen etwas zuleide tut, wird mich am Tag des Jüngsten Gerichts zum Feind haben.“ Nichts werde die muslimischen Gemeinden in Frankreich von anderen Religionen oder von der Demokratie trennen.

Der Premiere gemeinsamer landesweiter Gottesdienste waren Freitagsgebete in den Moscheen voran gegangen, in denen die Imame sich scharf von den Attentätern distanzierten, die vorgeben, im Namen des Islams zu handeln. So klar hatten sich die muslimischen Geistlichen Anfang vergangenen Jahres noch nicht geäußert. In den letzten Wochen hat ihr Engagement spürbar zugenommen.


Valls will „neue Beziehung zum Islam in Frankreich“

Allerdings ist die Auseinandersetzung im Land sehr vielschichtig. In Frankreich vollzieht sich die Debatte um die Stellung des Islams in Wellen, derzeit nimmt sie erneut Fahrt auf. Auch wenn von dem hier und da beschworenen Bürgerkrieg der Religionen bis jetzt glücklicherweise nichts zu sehen ist: Die Attentate verstärken die bei manchen Franzosen vorhandenen Ressentiments gegen Muslime. Die Politik versucht, darauf zu reagieren.

Premier Manuel Valls sprach sich in einem Interview für „eine neue Beziehung zum Islam in Frankreich“ aus. Die Imame sollten in Frankreich ausgebildet werden und die Moscheen sollten für eine gewisse Zeit keine Finanzierung mehr aus dem Ausland erhalten dürfen. Das würde einigen von ihnen vor große Probleme stellen, vor allem in den armen Vierteln. Eine liberale Senatorin antwortete dem Premier, mit Blick auf den Terrorismus seien nicht die Moscheen das Problem: „Die Jugendlichen, die an Attentaten beteiligt waren, sind nicht durch konsequenten Besuch von Moscheen aufgefallen, sie haben sich über das Internet radikalisiert.“

Valls kündigte allerdings auch an, die Regierung werde „unnachgiebig sein denen gegenüber, die jetzt die Muslime zu Sündenböcken machen wollen.“ Die Millionen muslimischer Franzosen stünden loyal zur Demokratie und den Werten der Republik.

Überhaupt noch nicht geäußert hat sich die Regierung zu einem anderen Problem, das die Öffentlichkeit bewegt: der Tod eines jungen, aus Mali stammenden Franzosen in Polizeigewahrsam. Der 24-jährige Adama Traoré war am 19. Juli gestorben, nachdem die Gendarmerie ihn in Beaumont-sur-Oise festgenommen hatte. In den folgenden Nächten kam es zu gewaltsamen Protesten Jugendlicher. Während bei einer ersten Autopsie von einem „allgemeinen Infekt“ die Rede war, stellte eine zweite Untersuchung fest, dass Traoré erstickte.

Die drei Gendarmen, die ihn festnahmen, haben nach Darstellung des Anwalts der Familie ausgesagt: „Er hat das ganze Gewicht von uns dreien aushalten müssen.“ Die drei Gendarmen hätten sich sich auf den Jugendlichen geworfen. Das gesammelte Gewicht von über 240 kg habe dessen Brustkorb nicht ausgehalten.

Am Samstag hatte seine Familie zu einer friedlichen Demonstration in Paris aufgerufen, die aber verboten wurde. Die aus den USA stammende Bewegung „Black Lives Matter“ greift mittlerweile auch auf Frankreich über. Die New York Times kommentierte, dass die französischen Behörden sich nicht trauten, Fälle von Polizeigewalt gegen Farbige zu untersuchen. „Es gibt eine tief verankerte Kultur der Straflosigkeit in Frankreich“, schreibt die Zeitung. Der Fall des jungen Adama scheint ihr recht zu geben.

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