Gefängnisse als Geldanlage Das lukrative Renditemodell Knast

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Der Mann mit der Lösung

Dass es auch anders geht, zeigt sich ausgerechnet in der Kriminalitätshochburg Chicago. Im Bewährungsgefängnis von der Provinz Cook County, zu der die drittgrößte Stadt des Landes zählt, durchlaufen Kriminelle heute eine Art Trainingsprogramm: Sozialarbeiter bringen Knackis bei, wie sie ihr Leben in den Griff bekommen. Wie sie von den Drogen loskommen. Wie sie besser mit Finanzen umgehen.

Da ist etwa der 23-jährige Matt, der beim Versuch erwischt wurde, seiner Freundin ein Handyetui im Wert von 20 Dollar zu klauen. Der Richter hätte ihn für eine Kaution von 5000 Dollar in Freiheit belassen, aber so viel Geld hatte Matt nicht. Also wanderte er für anderthalb Monate in den Bau – plus Bewährung. Als er ­draußen war, versetzte er den Bewährungshelfer und wanderte erneut ein. Seinen Job in einer Waschanlage verlor er während seines Gefängnisaufenthaltes.

Solch unfreiwilligen Verlierern hätte auch im Cook-County-Knast früher niemand zurück ins Leben geholfen. Dass es heute anders ist, ist ein Verdienst von Tom Dart. Als Sheriff von Cook County ist er der oberste Aufseher über das zweitgrößte Untersuchungsgefängnis der USA. Als Dart den Job vor zehn Jahren übernahm, war dieses so überfüllt, dass Häftlinge im Flur auf dem Boden schliefen. Dart erkannte, dass das Justizsystem seines Landes nicht nur inhuman ist, sondern dabei auch viel zu viel Geld kostet – und seinen Haushalt auffrisst. Also begann er, das Gefängnis zu reformieren.

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Als Dart 2006 als Sheriff in Cook County übernahm, saßen im Untersuchungsgefängnis mehr als 11 000 Insassen ein, inzwischen hat er zwei Gebäude stilllegen und die Zahl auf unter 9000 senken können. Er, der Staatsbeamte, hat die Kosten so um ein Fünftel gesenkt, keinem privaten Gefängnisbetreiber in den Staaten ist das bisher gelungen. Dart ist gegen die Privatisierung: „Wo sie es versucht haben, war das ein Flop“, sagt der Sheriff. In Illinois haben CCA und Co. nie Fuß fassen können.

Dart trägt viele bunte Freundschaftsbändchen um sein Handgelenk. Doch er ist kein verträumter Hippie, er kalkuliert pragmatisch: Sozialarbeit kostet erst einmal mehr Geld, aber auf lange Sicht verhindert sie Straftaten, es kommen weniger „Kunden“.

Ironischerweise päppelt aber auch Dart die Privaten: Auf seinen Druck hin ordnen Richter häufiger freien Vollzug an, den dann wieder private Firmen überwachen. Größter Anbieter von Fußfesseln ist die Geo Group, die sich auch als Transporteur von Gefangenen, Lieferant von Überwachungstechnik und Betreiber von Krankenstationen anbietet.

In Illinois hält der republikanische Gouverneur zudem Anteile an einem Unternehmen, das als Dienstleister auch Bewährungshilfe anbietet. Bewährung wird in letzter Zeit häufiger für Ordnungswidrig­keiten erteilt, die Gebühren für die Helfer müssen die Sünder selbst tragen. So bleiben sie Teil eines Systems, das ihnen das Geld aus den Taschen zieht.

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von Ferdinand Knauß

Bewährungshilfe ist also der nächste Wachstumsmarkt, auch für Gefängnisbetreiber CCA.

Der Konzern aus Tennessee kaufte vor wenigen Monaten in Kalifornien für 36 Millionen Dollar eine Klitsche namens CAI, die „Alternativen zum Strafvollzug“ anbietet und sich im Business der Wiedereingliederung in die Gesellschaft als kreativ erweist. „Sie schauen sich nach neuen Märkten um“, sagt Paul Ashton vom Justice Policy Center.

Am Ende also ist es fast egal, ob die Zahl der Gefängnisinsassen sinkt oder steigt, ob die Resozialisierung gelingt oder scheitert, ob in Gefängnisse oder Sozialarbeit investiert wird. Die Knastmaschine gewinnt immer.

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