Geiselnahme in der Ukraine Merkel bittet Putin um Hilfe

Der IWF unterstützt die Ukraine mit Milliarden, doch die Lage im Osten des Landes eskaliert. Kanzlerin Merkel kontaktiert unterdessen den russischen Präsidenten. Hat die Diplomatie noch eine Chance?

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Mit Pflastersteinen gegen die ukrainische Polizei: Prorussische Separatisten stürmen das Donezker Gebäude der Staatsanwaltschaft. Quelle: dpa

Kiew/Berlin Im Nervenkrieg um die in der Ostukraine festgehaltenen OSZE-Militärbeobachter hat Kanzlerin Angela Merkel den russischen Präsidenten Wladimir Putin um Hilfe gebeten. Merkel appellierte an Putin, seinen Einfluss auf die prorussischen Aktivisten in Slawjansk geltend zu machen, um die Geiseln - darunter vier Deutsche - freizubekommen, wie die Bundesregierung und der Kreml mitteilten. In der Krisenregion eskalierte am Donnerstag die Gewalt. Hunderte prorussische Aktivisten stürmten ein Justizgebäude in Donezk; es gab Verletzte. Die prowestliche Regierung in Kiew führt die erst vor einem halben Jahr abgeschaffte Wehrpflicht wieder ein.

Interimspräsident Alexander Turtschinow unterzeichnete den Erlass dazu, wie seine Verwaltung am Donnerstag mitteilte. Demnach müssen Männer im Alter von 18 bis 25 Jahren wieder ihren Wehrdienst leisten. Eingezogen werden sollen sie zwischen Mai und Juni. Der Erlass berücksichtige die Verschlechterung der Lage in der Süd- und Ostukraine sowie die „nackte Aggression“ prorussischer Milizen.

Eine von Turtschinow angeordnete „Anti-Terror-Operation“ von Armee, Geheimdienst und der neu formierten Nationalgarde gegen die Aktivisten hat bisher so gut wie keinen Erfolg gebracht. Die Regierungstruppen sind schlecht ausgerüstet und unmotiviert. Moskautreue Separatisten dehnen ihren Einfluss in der russisch geprägten Ostukraine fast täglich weiter aus.

Die zum Teil maskierten Angreifer in Donezk attackierten das Gebäude der Staatsanwaltschaft mit Steinen, Feuerwerkskörpern und Brandsätzen. Anschließend zwangen sie die ukrainischen Sicherheitskräfte zum Abzug, wie die Agentur Interfax meldete. Auf dem Dach hissten Separatisten die Fahne der selbst ernannten Volksrepublik Donezk. Die Situation war nach einem Protestzug Tausender Demonstranten eskaliert. Die Menge forderte einen Anschluss der Ostukraine an Russland - nach dem Vorbild der Halbinsel Krim.

Unbehelligt von Sicherheitskräften hatten Separatisten zuvor auch die Gebietsverwaltung der Stadt Lugansk eingenommen. Auch in Gorlowka besetzten prorussische Demonstranten weitere Verwaltungsgebäude. Turtschinow räumte ein, die Kontrolle über Teile des Landes verloren zu haben. Den Sicherheitskräften warf er Versagen vor.

Putin forderte im Gespräch mit Merkel nach Kremlangaben einen Rückzug der ukrainischen Regierungstruppen aus der Ostukraine, ein Ende der Gewalt und einen nationalen Dialog. Der Westen beschuldigt Russland, sich einer Umsetzung der unter Beteiligung Moskaus ausgehandelten Genfer Vereinbarungen zu verweigern und die Krise in der Ukraine anzufachen. Der Friedensplan sieht unter anderem die Entwaffnung militanter Gruppen und die Räumung besetzter Gebäude vor.


Aktivisten vollziehen Gefangenentausch

In Slawjansk sagte Milizenführer Wjatscheslaw Ponomarjow „bild.de“, er habe noch keinen Kontakt zu Moskau gehabt und seine Gruppe gehorche auch nicht Putin. Der Agentur Interfax sagte Ponomarjow, die gefangenen OSZE-Beobachter seien weiter in Slawjansk. Er hoffe, sie gegen eigene Anhänger austauschen zu können, die von der Regierung in Kiew gefangenengenommen wurden. Die Aktivisten in Slawjansk tauschten inzwischen nach eigenen Angaben zwei gefangene Mitglieder des ukrainischen Geheimdiensts SBU gegen Gesinnungsgenossen aus.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier trifft am Freitag (09.00 Uhr) im schweizerischen Bern den amtierenden OSZE-Vorsitzenden, den Schweizer Bundespräsidenten Didier Burkhalter, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Unterhändler der OSZE versuchen seit Tagen vor Ort, eine Freilassung zu erwirken.

Die prowestliche Führung in Kiew gab bekannt, dass sie am 25. Mai zusätzlich zur Präsidentenwahl eine Volksbefragung abhalten will. Dabei solle es darum gehen, ob das Land als Einheit erhalten bleiben soll, sagte Regierungschef Arseni Jazenjuk. Die prorussische Aktivisten in der Ost- und Südukraine planen allerdings eigene Referenden für den 11. Mai über eine Abspaltung von Kiew.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) greift der nahezu bankrotten Ukraine mit Hilfen von 17 Milliarden Dollar (12,3 Milliarden Euro) für zwei Jahre unter die Arme. Das Geld, dem weiteres aus anderen internationalen Quellen folgen soll, soll die finanzielle Stabilität des Landes wiederherstellen und langfristiges Wirtschaftswachstum in Gang setzen. Das Hilfspaket der EU soll sich auf elf Milliarden Euro belaufen. Der US-Kongress gab jüngst eine Milliarde Dollar frei. Kiew beziffert den Gesamtbedarf auf mehr als 27 Milliarden Dollar.

Auf Druck des IWF erhöhte die Ukraine inzwischen die Gaspreise drastisch. Privathaushalte müssen seit Donnerstag 40 Prozent mehr bezahlen. Die Übergangsregierung hatte bereits Massenentlassungen und schmerzhafte soziale Einschnitte angekündigt.

An diesem Freitag sprechen Spitzenvertreter Russlands, der Ukraine und der Europäischen Union in Warschau über den Gasstreit. Eingeladen hatte EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Putin will der Ukraine Gas nur mehr gegen Vorkasse liefern. Wegen unbezahlter Rechnungen hatte Russland der Ukraine 2009 das Gas zeitweilig abgedreht, was zu Engpässen auch in der EU führte.

Der Ukraine-Konflikt ist auch ein zentrales Thema beim Besuch Merkels in Washington, zu dem die Kanzlerin am Donnerstagnachmittag abflog. Erstmals kann sie am Freitag mit US-Präsident Barack Obama persönlich darüber beraten. Die Amerikaner dringen unter anderem auf härtere Sanktionen gegen Moskau.

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