Geständnisse einer IS-Braut Eine Ehe mit dem Terror

Laura Passoni wollte ihr Leben ändern und heiratete einen IS-Terroristen in Syrien. Die Belgierin hat ein Buch geschrieben, um junge Leute vor dem Islamischen Staat zu warnen. Die Geschichte einer verzweifelten Flucht.

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Terroristen des Islamischen Staates versuchen auch Frauen in die Kampfgebiete zu locken. Quelle: dpa

Brüssel Einmal Syrien und zurück: Für Laura Passoni war es der größte Fehler ihres Lebens. Die junge Belgierin heiratete einen IS-Kämpfer und reiste im Juni 2014 mit ihrem vierjährigen Sohn nach Syrien. Neun Monate später floh sie ernüchtert bei Nacht und Nebel über die türkische Grenze. Am 23. März – dem Tag nach den IS-Anschlägen in Brüssel – wurde sie in Belgien wegen Mitgliedschaft bei der Terrormiliz zu einer Bewährungsstrafe mit strengen Auflagen verurteilt. In dem bisher auf Französisch erschienenen Buch „Mit meinem Sohn im Herzen des Daesh“ beschreibt sie ihre Zeit in Syrien. Und warnt junge Leute vor der Terrormiliz.

Im Gegensatz zu manch anderen Syrien-Rückkehrern, die ihre wahre Identität nicht preisgeben wollen, tritt Passoni offen und unverhüllt auf. So hat sie in einer Hotelbar im Zentrum Brüssels wenig Ähnlichkeit mit einer Dschihadistenbraut. Trotzdem lebt sie zwischen zwei Welten: „Für Daesh bin ich eine Verräterin, weil ich gegangen bin und sie denunziere“, sagt sie unter Verwendung des arabischen Akronyms. „Für Belgien bin ich eine Terroristin, weil ich dem IS beitrat.“

Ihren zukünftigen Ehemann Usama, auch er Belgier, lernte sie im Internet kennen. Damals war sie 29 Jahre alt und alleinerziehende Mutter eines vierjährigen Sohnes. Zum Islam war Passoni bereits als Jugendliche konvertiert, weil ihr bester Freund aus Kindertagen Muslim war. Innerhalb weniger Wochen überredete Usama sie, zu heiraten und mit ihrem Sohn nach Syrien zu reisen.

Damals habe sie nach einem Neuanfang gesucht, sagt Passoni heute. Zudem betonten die Anwerber des IS auf Facebook, Belgien könne für einen guten Muslim nie eine richtige Heimat sein. Wie sie rekrutierten sie Tausende Ausländer – für den Krieg oder für Anschläge in ihren Heimatländern.

Nach ihrer Ankunft in Syrien traf Passoni bald andere Ausländerinnen, darunter eine 15-jährige Französin, die ihren Ehemann ebenfalls im Internet kennen gelernt hatte. Außerdem eine junge Deutsche, die angab, nur Verwandte zu besuchen. Weitere kamen hinzu – in dieser Zeit warb die Terrormiliz offensiv um Frauen zum Aufbau eines islamischen Kalifates. „Warum Frauen? Weil wir Babys bekommen“, sagt Passoni. „Sie wollen vor allem Jungs, sie brauchen Nachkommen.“


Verzweifelte Flucht

Für die Frauen sei die Entscheidung zur Reise nach Syrien die letzte, die sie eigenständig und frei treffen, sagt sie. In Syrien erkannte Passoni bald, dass sie einen schweren Fehler begangen hatte. „Das lag vor allem an meinem kleinen Jungen. Ich wollte nicht, dass er Terrorist wird wie sie“, sagt sie. „In diesem Moment wurde mir klar, „Ich kann das nicht“. Ich dachte auch an das Baby, mit dem ich schwanger war. Und letztendlich auch an mich selbst.“ Denn Passoni lebte mittlerweile ein unfreies Leben, war zusammen mit anderen Müttern und Kindern in ein Haus eingesperrt.

„In Belgien hatte ich einen Job, kam und ging wie es mir gefiel.“ Das Leben in Syrien lehnte sie immer stärker ab, wagte aber keinen offenen Widerstand. Schließlich kursierten Videos, auf denen Kritiker des IS gefoltert und ermordet wurden. Zwar begann auch ihr Ehemann Usama zu zweifeln, doch verlor er kein Wort darüber, was er den ganzen Tag machte oder erlebte.

Neun Monate lang führte Passoni heimliche, verzweifelte Telefonate mit ihren Eltern. Bis sie schließlich hochschwanger und mit Mann und Kind über die türkische Grenze floh. Ein Jahr später wurde sie in Belgien zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, ihr Mann zu vier Jahren Haft. In ihrem Buch bedankt sie sich bei ihm. „Er nahm Risiken auf sich und wusste, was ihn bei einer Rückkehr nach Belgien erwartet“, sagt sie.

Im Rahmen ihrer Bewährungsauflagen darf sie fünf Jahre lang keinen direkten Kontakt zu ihm haben. Das Sorgerecht für ihre inzwischen sechs Jahre und 16 Monate alten Söhne wurde Passonis Eltern zugesprochen. Sie darf zudem Belgien fünf Jahre lang nicht verlassen und niemanden in Syrien kontaktieren, auch nicht die französischen Mädchen, mit denen sie sich dort angefreundet hatte.

Was aus ihnen wurde, weiß sie nicht. Sie erfuhr jedoch, dass ihr letzter Wohnsitz in Syrien bald nach ihrer Flucht von einem Luftangriff getroffen wurde. Dass die Leute in Europa Angst haben vor Leuten wie ihr, versteht Passoni. Doch ihre Zeit in Syrien habe sie reifer und vernünftiger gemacht, glaubt sie. „Weil ich und mein Kind dem Tod sehr nah waren.“

Nun macht sie sich Gedanken über die Zukunft ihrer Kleinen. „Meinem Sechsjährigen habe ich erklärt, dass ich einen Fehler begangen habe, und ihn um Verzeihung gebeten“, erzählt sie. „Und wenn er größer ist, werde ich ihm beibringen, wahrhaftig zu leben und nicht in eine solche Falle zu tappen.“

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