Ghana Zwischen Kippe und Hölle

Ghana: Die größte Elektroschrottdeponie der Welt.

Am Rand von Ghanas Hauptstadt Accra erstreckt sich die größte Elektroschrott-Deponie Afrikas. Es ist einer der giftigsten Orte der Welt – aber auch ein straff organisierter Mikrokosmos, der vielen das Überleben sichert.

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Das Gebiet im Westen von Ghanas Hauptstadt Accra hat viele Namen. Offiziell heißt der Stadtteil Old Fadama. Die Bewohner nennen ihn Agbogbloshie. Die Menschen, die an diesem Ort arbeiten müssen, sagen: Das hier ist Sodom und Gomorrha. Zwischen King Road und Abose Okai Road erstreckt sich auf über drei Quadratkilometern Fläche die größte Elektroschrottdeponie Afrikas. Vor 20 Jahren war hier ein Brutplatz für Vögel. Heute zählt die US-Umweltorganisation Pure Earth das Areal zu den zehn am stärksten verseuchten Orten der Welt.

Wer das Gelände durchstreift, wähnt sich in einen ökologischen Albtraum. „Burning e-waste ist harmful“ warnen Plakate, die Pure-Earth-Aktivisten auf einige Baracken geklebt haben, doch der Erfolg dieser Warnung ist wenig durchschlagend. Alle 50 Meter lodern Feuer und schicken nachtschwarze Qualmwolken über das Gelände.

Was hier brennt, sind vor allem zu dichten Knäueln zusammengerollte Kabel, als Brandbeschleuniger dient Isolierschaum aus Kühlschränken und was übrig bleibt, ist der begehrte Rohstoff Kupfer. Die Kabelbrenner verkaufen ihn an Zwischenhändler, dann geht das Metall per Container nach China und Nigeria.

Wenige Meter von den Feuern entfernt arbeiten die Zulieferer der Brenner, die „Zerleger“. Mit Hämmern und Steinen zertrümmern sie Elektrogeräte aller Größen und Marken, sie reißen Kabel heraus, holen Aluminium und Messing aus Kühlschränken, Kupferspulen aus Transformatoren und Platinen aus Mobiltelefonen. Der Boden ist übersät mit Autositzen, Wannen, Metallwänden, Batterien, Computern, Druckern, Monitoren und Fernsehgeräten. In Chemikalienpfützen am Boden vermengen sich Öl und Benzin, Batteriesäure und Kältemittel, Quecksilber und Blei.

Frauen balancieren mit Wasser gefüllte Gefäße auf dem Kopf. Sie sind in diesem streng arbeitsteiligen Mikrokosmos für das Löschwasser zuständig, das in Verbindung mit dem Abfall einen unsichtbaren Schlick bildet, in dem man bei einem falschen Schritt treibsandgleich nach unten sackt.

Auf Mopeds und Karren kommt ständig Schrott-Nachschub von außen. Dazwischen staksen magere Ziegen und Rinder durch den Müll, an einem kleinen Stand bietet ein Händler von Insekten übersätes rohes Fleisch an. Ein paar Meter weiter wartet - kein Witz - ein Friseur auf Kunden; an anderen Wellblechverschlägen werden Getränke verkauft.

Zu Besuch auf einer der schlimmsten Müllkippen der Welt
Arbeiter verbrennen ohne jede Schutzvorkehrung zu Knäueln zusammengerollte Kabel Quelle: Thomas Imo/photothek.net
Die US-Umweltorganisation Pure Earth zählt das Areal zu den zehn am stärksten verseuchten Orten der Welt. Quelle: Thomas Imo/photothek.net
Als Brandbeschleuniger gern genommen: Isoliermaterial aus Kühlschränken.  Quelle: Thomas Imo/photothek.net
Defekte Mobiltelefone aus aller Welt sind in Agbogbloshie begehrt Quelle: Thomas Imo/photothek.net
In einer der wenigen überdachten Hütten auf dem schattenlosen Gelände gibt es Computerteile und instandgesetzte Alt-PCs zu kaufen. Quelle: Thomas Imo/photothek.net
Überall auf der Kippe gibt es kleine Stände mit Einzelteilen. Quelle: Thomas Imo/photothek.net
Karim arbeitet seit seinem neunten Lebensjahr auf der Müllkippe Quelle: Thomas Imo/photothek.net

Und dann der Fluss. Abends wird an seinem Ufer in einem Großfeuer verbrannt, was an Resten übrig geblieben ist. Der Fluss teilt das Areal in zwei Hälften, und eigentlich ist er gar kein Fluss, denn er hat kein richtiges Wasser. Stattdessen schiebt sich ein dickflüssiger und mit Kunststoff durchsetzter Brei im Zeitlupentempo in Richtung Süden. Dort wartet nach gut 500 Metern der Golf von Guinea und angesichts der grau-grünlichen Kloakenfracht, die hier ankommt, kann man nur froh sein, dass sich am Strand in dieser Gegend wegen der hohen Brandung und gefährlichen Unterströmung kaum Badegäste hinwagen. Jeder Regen spült neuen Müll und neue Chemiecocktails in die Lagune. Und es regnet viel im tropischen Ghana.

Plattmachen? Verbieten? Absperren?

Angesichts des ökologischen Desasters ist klar, dass in Agbogbloshie schnell etwas geschehen muss. Aber was? Dichtmachen? Plattwalzen? Verbieten? Absperren? Auf Accras Stadtverwaltung sollte man lieber nicht bauen – sie braucht die Kippe selber. Die Zwei-Millionen-Metropole weiß nicht wohin mit ihrem Müll und nutzt Agbogbloshie zum Unwillen der Schrottarbeiter als „Zwischenlager“ für Haus- und Gewerbeabfall. So kommt es, dass man hinter Ölpfützen und rostenden Unterböden plötzlich auf Tausenden von Kakaoschalen steht oder auf Sägemehlbergen der regionalen Holzindustrie.

Der hochverschuldete Staat Ghana profitiert sogar finanziell von der Deponie. Das Areal gehört pikanterweise der National Youth Authority, einer Behörde des Ministeriums für Jugend und Sport – und die kassiert von den Müllverwertern eine Pacht. Jede Maßnahme auf dem Gelände muss mit der Behörde abgestimmt werden.

Westlicher Wohlstandsmüll?

Mit wohlfeiler Öko-Logik und westlicher Empörungsrhetorik allein kommt man Agbogbloshie auch nicht weiter. Denn vom Schrottgeschäft leben hier je nach Schätzung zwischen 5000 und 10.000 Menschen. Ghana zählt zwar zu den vergleichsweise entwickelten Volkswirtschaften Afrikas. Die Wirtschaft wächst in diesem Jahr um rund 3,6 Prozent, für 2017 werden fast acht Prozent erwartet. Trotzdem arbeiten 80 Prozent der Bevölkerung im informellen Sektor und halten sich gerade eben über Wasser.

Ein geschlossener Wertstoffkreislauf

Es sind Menschen wie Karim. Er kam mit neun Jahren nach Agbogbloshie, heute ist er 22 und arbeitet hier an sechs Tagen die Woche, um seine Frau und drei kleinen Kinder durchzubringen. Sein Einkommen, so sagt er, liege bei 50 bis 100 ghanaischen Cedi am Tag, umgerechnet zwischen elf und 21 Euro. Das ist nicht ganz schlecht in einem Land, in dem der offizielle Mindestlohn unter zwei Euro pro Stunde liegt. Karim hat als Kabelbrenner angefangen und sich, als Kopfschmerzen und Schwindelanfälle stärker wurden, auf das Ausschlachten alter Autos spezialisiert. Das sei „auf jeden Fall besser als Kabelbrennen“.

Auf eine archaische Art arbeiten die Schrottverwerter von Agbogbloshie hocheffizient. „Es gibt einen durchaus funktionierenden Wertstoffkreislauf: Alles was sich irgendwie nutzen lässt, wird hier noch verwertet“, sagt Michael Funcke-Bartz, Projektleiter der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Ghana.

Jugendliche ziehen an Seilen und Stöcken befestigte Magnete hinter ich her, mit denen sie auch noch die letzten Metallstückchen vom schwarzen Boden ziehen. In einer selbst gebastelten Aluminiumschmelze wird Alu-Schrott mittels glühende Kohle und Heißluft zu Töpfen gegossen und anschließend verkauft. An einer anderen Stelle werden alte Röhrenfernseher gehandelt, die angesichts der häufigen Stromschwankungen in Ghana wegen ihrer Robustheit geschätzt sind.

Mikrokosmos mit strenger Hierarchie

Innerhalb der Schrottarbeiter gibt es dabei eine strenge Hierarchie: Ganz unten stehen die Sammler. Mit Karren ziehen sie durch die Straßen Accras und nehmen mit, was ihnen die Haushalte überlassen. Dann kommen die Brenner und Zerleger mit ihren eigenen Parzellen. Wer Glück hat, rutscht irgendwann nach oben wie Sunday. Der 42-Jährige arbeitet seit sieben Jahren in Agbogbloshie – und sitzt mittlerweile in einer der wenigen überdachten Hütten auf dem schattenlosen Gelände. Sein Geschäft: der Verkauf instandgesetzter Computer. „Ich kaufe jeden Tag zehn bis 15 alte Geräte an“, berichtet er.

In guten Monaten liegt sein Einkommen deutlich über dem ghanaischen Durchschnittslohn. Gerüchten zufolge gibt es Agbogbloshies Computerbranche noch ein weitergehendes Geschäftsmodell: Hacker sollen hier alte Festplatten nach Daten, kompromittierenden Fotos und Passwörtern durchsuchen. Reporter der BILD am SONNTAG entdeckten jüngst auf der Kippe einen in Deutschland entsorgten Behördenrechner, auf dessen Festplatte sich vertrauliche Daten von deutschen Langzeitarbeitslosen fanden.

Accra ist die Hauptstadt Ghanas und mit knapp 3 Mio. Einwohnern die größte Stadt des Landes. Die Elektromülldeponie im westlichen Stadtgebiet zählt zu einem der schmutzigsten Orte der Welt. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Woher stammen all die Elektrogeräte, die in Agbogbloshie landen? Der Verdacht liegt nahe, dass hier westlicher Wohlstandsmüll billig (und illegal) entsorgt wird. Funcke-Bartz ist mit derartigen Vorwürfen zurückhaltend. Zum einen gibt es keine Statistik, wieviel Container mit alten Elektrogeräten am Hafen von Accra ankommen (grobe Schätzungen gehen von 500 Containern im Monat aus). Zum anderen ist die Trennlinie schwierig zwischen echtem Elektronikmüll – dessen Ausfuhr in der EU verboten ist – und funktionstüchtigen Second-Hand-Geräten.

In einem Entwicklungsland, in dem sich viele keine Neugeräte leisten können, gehört die ressourcenschonende Zweit- und Drittverwertung zum Lebensalltag. In der Regel seien rund 85 Prozent der ins Land kommenden Geräte noch nutzbar, heißt es bei der ghanaischen Umweltbehörde EPA. Sie laufen bei ihren neuen Besitzern also noch einige Zeit, bevor sie in Agbogbloshie enden.

Höllenjob mit Gewerkschaftsanschluss

Man kann auch nicht sagen, es gebe im Lärm, Schmutz und Gewimmel von Agbogbloshie keine Ordnung und innere Struktur. Auch hier versuchen die Menschen, sich zu organisieren. Sie haben mit der „Scrap Dealers Association“ sogar eine Interessenvertretung, eine Art Genossenschaft. Nach deutschem Vereinsrecht wäre die von lokalen „Chiefs“ geführte Organisation womöglich nicht zulassungsfähig, doch hier sorgt sie für Regeln im Chaos – und auch für eine gewisse Risikovorsorge. Wer in die Kasse einzahlt, erhält im Fall von Unfällen eine finanzielle Hilfe.

Neue Händler und Verwerter müssen sich bei der „Association“ registrieren lassen. Wer als Außenstehender unangemeldet erscheint (oder sich bei den falschen Leuten angemeldet hat), bekommt ein Problem in Gestalt von Abdullah Rahman, einem Zwei-Meter-Hünen in leuchtend gelben Umhang. Er ist der König der Schrottverwerter und stellt Besuchern flugs einen persönlichen Aufpasser zur Seite. Die Polizei traut sich hier meist nur in Zivil rein. Als 2015 nach schweren Überschwemmungen ein Teil des Gelände vorübergehend geräumt werden musste, rückte vorsorglich das ghanaische Militär an.

„Interventionen müssen behutsam sein. Ohne Einbindung der Sammler und Verwerter wird der Aufbau eines ökologisch verträglichen Recyclingsystems hier nicht funktionieren“, mahnt Entwicklungshelfer Funcke-Bartz. Man könne „die Arbeit in Agbogbloshie nicht verbieten, ohne den Menschen Alternativen anzubieten“.

Wie Sie Elektronik recyclen können

Zum Glück wacht nun langsam auch die Regierung auf. Im Juli, fünf Monate von den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, verabschiedete das ghanaische Parlament ein Recycling-Gesetz, das unter anderem eine Importsteuer auf gebrauchte Elektronikwaren vorsieht. Zudem ist ein Fonds geplant, der den Aufbau von geordneten Recyclingstrukturen mitfinanzieren soll und in den vor allem die Importeure von Elektrogeräten einzahlen sollen.

Die Anschubfinanzierung dazu kommt womöglich aus Deutschland. Die Bundesregierung verhandelt derzeit mit Ghana über eine Kapitalspritze für den Fonds durch die staatliche Förderbank KfW in Höhe von 20 Millionen Euro. Das Thema Agbogbloshie genießt in Berlin einen gewissen Stellenwert, seitdem die Entwicklungshilfeminister Gerd Müller und Gesundheitsminister Hermann Gröhe im vergangenen Jahr die Müllkippe besuchten und erfahren mussten, dass hier auch reichlich deutscher Elektro-Schrott herumliegt.

Erste Hilfe aus Deutschland

Als erste Hilfsmaßnahme plant die GIZ nun die Einrichtung einer Gesundheitsstation auf dem Gelände, um eine Erstversorgung bei Unfällen und Krankheiten sowie zumindest ein Minimum an Arbeitsschutz zu gewährleisten. Bereits in diesem Jahr soll ferner in Zusammenarbeit mit dem Land Nordrhein-Westfalen, der RWTH Aachen und der University of Ghana ein Labor für Blutuntersuchungen aufgebaut werden. Bisher ist die Arbeitsmedizin in Ghana kaum entwickelt. Um zum Beispiel die Konzentration von Schwermetallen im Blut von Arbeitern und Anwohnern zu messen, gibt es im ganzen Land kein geeignetes Labor. Mit Unterstützung der deutschen Botschaft in Accra wurde im Januar zudem auf dem Gelände eine erste Maschine aufgestellt, die die Ummantelung von Kupferkabeln mechanisch abtrennt und das giftige Abfackeln überflüssig macht.

Schrotthändler Karim wird das nicht bewegen können, in Agbogbloshie zu bleiben. Er will zurück in seine Heimatstadt Tamale im Norden Ghanas, wo sei Vater ein paar Felder bewirtschaftet. Er hat sich fest vorgenommen: „In spätestens sechs Jahren bin ich hier weg – und werde Landwirt“.

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