Viel aufschlussreicher als die gestrige Antrittsrede des 45. US-Präsidenten Donald Trump – und ein wirklich großes Problem, dass die Wirtschaftswelt noch einige Zeit beschäftigen wird - war der große öffentliche Auftritt des Staatschefs einer Weltmacht vier Tage zuvor. Da stand Chinas Staatspräsident Xi Jinping vor dem Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums in Davos und rief sich zum neuen Schutzheiligen aller Freihändler aus. Und die nahmen in der Mehrheit seine Selbsternennung zur Galionsfigur einer liberalen Weltwirtschaftsordnung euphorisch auf. Ungeachtet dessen, das Xi innenpolitisch einen autoritären Kurs fährt. Ungeachtet dessen, dass China von einer Marktwirtschaft weit entfernt ist. Und ungeachtet dessen, dass China mit einer Fülle an Investitionshemmnissen seine Wirtschaft abschottet. Wer das Aufeinandertreffen von Xi und der globalen Wirtschaftselite verfolgte, konnte den Eindruck bekommen: Der bisherige Hoffnungsträger ist tot. Es lebe der neue. Egal wer.
Diese Szene ist aufschlussreich. Denn sie zeigt, wo das deutlich größere Problem der Marktwirtschaft liegt. Nicht im Angeblichen Zorn auf die Globalisierung, zu dem eine industrieländerweite Bewegung von Populisten aufgerufen haben soll . Wer einfach jedem blind folgt, weil er ihm die Fortsetzung guter Geschäfte verspricht, unabhängig von dessen Glaubwürdigkeit, der wird seiner Verantwortung für das Ganze eher nicht gerecht.
Man erzählt sich ja dieser Tage, wo immer Manager und Politiker der etablierten Parteien zusammenkommen: Die Globalisierung sei bedroht, weil immer mehr Menschen gegen freien Handel seien. Und dann werden der nun im Amt angekommene US-Präsident und sein Kurs gegen ausländische Investoren als Beleg angeführt. Oder das auf Betreiben des Volks entstandene Vorhaben Großbritanniens, aus dem Europäischen Binnenmarkt auszuscheiden. Nur: Was, wenn dieser Narrativ von der Unbeliebtheit der Globalisierung gar nicht stimmt? Welcher Bürger beschäftigt sich schon mit den Feinheiten internationaler Ein- und Ausfuhrbestimmungen? Und welcher Protestwähler schätzt nicht die Jeans aus Bangladesch für 12,90 Euro oder die günstige Unterhaltungselektronik aus China? Beschwerden darüber jedenfalls waren bei Trump-Wählern, Brexit-Befürwortern und AfD-Anhängern bisher eher nicht zu vernehmen.
Was also, wenn sich in der Kritik an der sogenannten Globalisierung etwas ganz anderes äußert? Zum Beispiel Kritik an einer Wirtschaftselite, die jedem Mächtigen – siehe Xi – hinterhereilt, der gute Geschäfte verspricht? Oder Unmut über Wirtschaftsgestalter, die durch offene Grenzen, deregulierte Märkte und neue Technologien segensreichen Wohlstand versprachen, der aber eher bei ihnen ankam als beim Gros der Menschen in den Industrieländern? „Wir alle“, sagte Anfang der Woche in Davos Credit-Suisse-Chef Tidjane Thiam, „haben in den vergangenen Jahren Fehler gemacht“ - und schaute in ein Rund von etwa 100 Managern.
Elite abgekoppelt, Arbeitnehmer verunsichert
Neben ihm auf der Bühne saß Martin Sorrell, der Chef des weltweit größten Werbenetzwerkes WPP, und sagte: „Wir, die wir die großen Unternehmen dieser Welt leiten, müssen wieder langfristig Verantwortung übernehmen.“ Man müsse Gewinne erwirtschaften, um Menschen Perspektiven zu verschaffen und nicht, wie in den vergangenen Jahren geschehen, Aktionäre zu bereichern. Und vermutlich liegt genau da der Punkt: In den vergangenen zwei Jahrzehnten, in denen die Marktwirtschaft blühte wie nie, wurden die Geschicke in Unternehmen, und vielleicht auch in der Politik, in zu vielen Fällen von Menschen geführt, deren Drang zur Macht deutlich stärker ausgeprägt war als ihr Drang, auch die damit verbundene Verantwortung zu übernehmen.
Ein paar Beispiele: Die Globalisierung war keine Öffnung der Grenzen für fairen Handel sondern ein Konjunkturprogramm für die Oberschicht. Die Digitalisierung ist bisher keine Bewegung für eine bessere Welt sondern für eine Abkopplung der Elite. Die Entfesselung der Finanzmärkte war kein Geheimrezept für immerwährendes Wachstum sondern ein Instrument zur Entkopplung von Haftung und Risiko. Die Liberalisierung der Arbeitsmärkte hat nicht nur mehr Arbeitsplätze sondern für etwa die Hälfte der Bevölkerung mehr Unsicherheit gebracht. Und die Wachstumsgewinne der jüngeren Vergangenheit haben vor allem noch mehr Wohlstand für Vermögende geschaffen.
Eine deutsche Lebenslüge
Und diese organisierte Flucht vor der Verantwortung ist nicht nur bei den gerne gescholtenen angelsächsischen Vulgärliberalen zu finden. Sie gilt – vielleicht in anderer Hinsicht, aber in diesen Tagen ebenfalls kaum zu leugnen – auch für jene deutschen Ökonomen, Verbandsfunktionäre und (meist konservative) Politiker, die über Jahre predigten, die Ausrichtung der deutschen Volkswirtschaft auf ihre Exporte in die Länder dieser Welt sei das Geheimrezept für immerwährenden Erfolg. Als würde die Welt den Deutschen auf immer Waren abkaufen, wenn nicht auch die Deutschen ihnen etwas abkaufen.
Deswegen geht der Trend massiv gegen Globalisierung
„Handel zwischen Ländern ist eine Straße, die in beide Richtungen befahren werden muss“, sagt Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. Und die Vorstandschefin der Großbank Santander, Ana Botin, sagt: „Es können nicht alle nur Autos bauen und exportieren. Das ist kein nachhaltiges Rezept für die Welt.“ Dass den Deutschen etwas anderes vorgemacht wurde, darf als Lebenslüge in die Geschichtsbücher eingehen – als Scheitern ihrer Vertreter an der Verantwortung ihrer Ämter.
Das sich nun andeutende Stocken der Globalisierung, die sich anbahnende Krise des Freihandels, sind eher die Kollateralschäden dieser Entwicklung. Wohl auch, weil viele Menschen das Gefühl haben, der Zusammenhang von Handeln und Verantwortung sei in kleineren, meist nationalen (darauf weist etwa Ex-US-Präsidentenberater Larry Summers dieser Tage hin) Verbünden deutlich leichter herzustellen als in großen internationalen Organisationen. „Dass ständig nationale Regierungen die Verantwortung für alle Fehler auf Brüssel abschieben, ist eines der Hauptprobleme Europas“, sagte der scheidende Europaparlamentspräsident Martin Schulz (SPD) diese Woche auf einem Davoser Podium. Und das gelingt eben nur, weil die fehlende Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme auf ein so unübersichtliches System trifft, dass die Beteiligten damit durchkommen.
Die Zukunft in einer multipolaren Welt?
Das alles ist nicht falsch zu verstehen: Die internationale Rechtsordnung, wie sie seit dem zweiten Weltkrieg entstanden ist, sieht nicht nur Stiglitz als „Quelle unseres Wohlstands und einmalig positive Errungenschaft.“ Internationale Verträge, einklagbare Rechte, Standards, die für alle gelten, machen den Unterschied und sind die Bollwerke gegen Willkür und jene Art von Deal-Ökonomie, die Donald Trump offenbar vorschwebt und die eher im Mittelalter denn in der aufgeklärten Gegenwart anzusiedeln wäre. Nur, dass die grassierende Verantwortungslosigkeit dem, was viele als „Globalisierung“ verstehen, zugeschrieben wird, ist nun zunächst mal so. Und darauf muss reagiert werden.
Wie also da herauskommen? Dazu hat die Schweizer Großbank Credit Suisse dieser Tage eine bemerkenswerte Studie vorgelegt. „Die Globalisierung weiterdenken“ ist sie überschrieben. Und Bankpräsident Urs Rohner beeilte sich auch, zunächst festzuhalten: „Die Globalisierung war der stärkste wirtschaftliche Treiber der letzten Jahrzehnte.“ Allerdings müsse sich dieses System nun ändern. „Insbesondere für international tätige Unternehmen werden Veränderungen des globalen Handels und die politische Regionalisierung eine Herausforderung darstellen.“
Denn die Credit-Suisse-Analysten glauben, auf die jetzige Ansehenskrise eines weltweit gültigen Handelssystems, wie es etwa die Welthandelsorganisation WTO vertritt, folge eine deutlich kleinteilig strukturiertere Wirtschaftswelt mit verschiedenen Kraftzentren und ohne allgemeingültiges Regelwerk. „Die Straße zur Multipolarität ist aus unserer Sicht eine realistische Perspektive und ein Szenario, das einem Ende der Globalisierung vorzuziehen ist“, sagt Michael O’Sullivan, Chef-Vermögensverwalter der Schweizer Bank. Was er damit meint? Die Welt könne auf eine multipolare Ordnung zulaufen, mit eigenständigen Blöcken, die ihre Angelegenheiten zunächst mal selbst regeln und eher punktueller in Wirtschaftsfragen kooperieren.
Das Credit Suisse Research Institute (CSRI) sieht verschiedene Entwicklungen der Multipolarität, nicht nur hinsichtlich der Wirtschaftsmacht, sondern insbesondere auch in Bezug auf militärische Macht, politische Freiheit und Cyberfreiheit, technologische Komplexität, das Wachstum des Finanzsektors und im weiteren Sinne auch das kulturelle Prärogativ und Vertrauen. Der Übergang, glauben die Banker, von der Globalisierung hin zu einer multipolaren Welt habe bereits begonnen. Es sei deshalb besser, sich politisch auf die Schaffung eines multipolaren Systems zu konzentrieren, das dank klarer Regeln und relevanter Institutionen gut funktioniert.
Credit-Suisse-Vermögensmanager O’Sullivan jedenfalls sagt: „Wer nach wie vor an eine globalisierte Welt glaubt, wie wir sie kennen, wird enttäuscht werden.“
Was das Ausland von Trump erhofft und erwartet
Am 20. Januar soll Donald Trump sein Amt als 45. Präsident der USA antreten. Das sind die damit verbundenen Hoffnungen, Erwartungen und Sorgen wichtiger Länder und Gemeinschaften.
Quelle: dpa
Eine enge Zusammenarbeit im Kampf gegen den Klimawandel und den islamistischen Terrorismus, ein gemeinsamer Kurs in der Sanktionspolitik gegenüber Russland sowie eine Fortsetzung der Verhandlungen über das Handelsabkommen TTIP: Was sich die Europäische Union vom neuen US-Präsidenten erhofft, bekam Trump bereits kurz nach seiner Wahl in einem Brief aus Brüssel übermittelt. Nicht offen wird dagegen über die Sorgen gesprochen. Hinter vorgehaltener Hand befürchten EU-Spitzenpolitiker, dass die Erwartungen Europas den neuen US-Präsidenten nicht wirklich interessieren. Folge könnte eine deutliche Verschlechterung der transatlantischen Beziehungen sein.
Das Verhältnis zwischen Moskau und Washington ist so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Deshalb hofft Russland, dass Trump sein Versprechen wahr macht und die Beziehungen wieder verbessert. Die Zeichen stehen auf ein Treffen Trumps mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kurz nach Amtsantritt. Weil der Republikaner das Engagement der USA im Rest der Welt verringern will, geht Russland davon aus, mehr Spielraum zu bekommen. Trump sieht Nato und EU kritisch, er will den islamistischen Terror stärker bekämpfen - beides passt zur Moskauer Position. Allerdings haben die Russland zugeschriebenen Hackerangriffe massiv den Verdacht geschürt, dass Moskau sich in US-Politik einmischen könnte. Trump und Putin müssen bei jeder Annäherung mit großem öffentlichem Misstrauen rechnen.
Die Mexikaner machen sich für die Ära Trump auf das Schlimmste gefasst. Der künftige US-Präsident hatte die Nachbarn im Süden mehrfach als Drogenhändler und Vergewaltiger diffamiert. Um die illegale Einreise von Migranten zu verhindern, will Trump eine Mauer an der Grenze zu Mexiko errichten. Außerdem hat er angekündigt, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) neu zu verhandeln oder sogar aufzukündigen. Die mexikanische Wirtschaft hängt stark vom Handel mit den USA ab. Der Autokonzern Ford beerdigte bereits Investitionspläne in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar in Mexiko - offenbar aus Angst vor Trump. US-Unternehmen, die billig im Nachbarland produzieren, hatte er mit hohen Strafzöllen gedroht.
Den ohnehin schwierigen Beziehungen zwischen den beiden größten Volkswirtschaften drohen unter Trump schwere Spannungen, die auch die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen könnten. Der neue US-Präsident holte China-Kritiker in sein Team, die eine härtere Gangart gegen Peking erwarten lassen. Die kommunistische Führung fürchtet eine Neuausrichtung der US-Beziehungen zu Taiwan, das Peking nur als abtrünnige Provinz behandelt. Mit einer Eskalation wird auch im Handel gerechnet, falls Trump seine Drohung mit Strafzöllen wahr machen sollte. Das Verhältnis wird zudem dadurch bestimmt, wie beide mit den Inselstreitigkeiten im Süd- und Ostchinesischen Meer umgehen.
Für den Iran ist es in erster Linie wichtig, was aus dem Atomabkommen wird. Obwohl auch die USA den Deal von 2015 mit ratifiziert hatten, drohte Trump bereits mehrmals mit einem Ausstieg. Präsident Hassan Ruhani bezeichnete das multilaterale Abkommen als unantastbar. Auch eine Nachverhandlung kommt für Teheran nicht infrage. Falls Trump sich nicht an den Deal halten sollte, werde auch Teheran angemessen reagieren, warnte Ruhani. Andererseits hofft der Iran auf eine Verbesserung der Beziehungen zwischen der neuen US-Regierung und Moskau. Als enger Verbündeter Russlands könnte davon auch Teheran, besonders im Syrien-Konflikt, außenpolitisch profitieren.
Israel zählt schon die Tage bis zum Amtsantritt von Trump. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erwartet nach dem eher schwierigen Verhältnis zu Präsident Barack Obama ein Umschwenken in der Israelpolitik der USA. Dazu gehört der Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Trump kündigte mehrfach an, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Beim Ausbau der Siedlungen im Westjordanland hoffen die ultrarechten Kräfte in der Regierung auf mehr Bewegungsfreiheit, nachdem die USA zuletzt eine siedlungskritische UN-Resolution passieren ließen. Einige fordern, das Westjordanland zumindest teilweise zu annektieren.