Treffen sich 200 Chinesen im Wald ... So fangen Witze an, so beginnen aber auch Geschäftsmodelle. Im westlichen Hunsrück, wo Hase, Igel, Rheinland-Pfalz und das Saarland aufeinandertreffen, zum Beispiel. Dort findet sich einer der unwahrscheinlichsten Orte der Globalisierung. In Hoppstädten-Weiersbach, Ortsteil Neubrücke, am Kreisverkehr gleich rechts wird der deutsche Nutzwald zur sozialistischen Mustersiedlung. An drei Straßen kauern sich niedrige Wohnblöcke an den Hang.
„Für eine bessere Zukunft“ steht in Deutsch und Chinesisch auf großen Plakaten. Eine weitere Tafel berichtet vom bedeutenden Besuch eines unbedeutenden Offiziellen mit sehr langem Titel. Dazwischen Gruppen spielender chinesischer Kinder, ein älterer Mann spaltet Holz vor der Haustür. Mehr als 200 Chinesen leben inzwischen hier, „wir wurden selbst vom Erfolg des Projekts überrascht“, sagt Andreas Scholz, der als CEO des „Oak Garden“ firmiert, wie sie ihr Dorf hier nennen. 180 chinesische Unternehmen sind in den drei Straßen registriert.
Die deutsche Politik, und mit ihr die Öffentlichkeit, hat sich in den vergangenen Monaten viele Gedanken über chinesische Investoren gemacht: Mal werden die Übernahmen großer Unternehmen wie die des Abfallkonzerns EEW anerkennend gewürdigt, mal kleinere wie die des Hamburger IT-Entwicklers Smaato interessiert verfolgt. Dann wieder gilt es, den Augsburger Roboterhersteller Kuka gegen einen Angriff aus China zu verteidigen und so die deutsche Zukunft in der Industrie 4.0 zu retten, wenn auch vergeblich.
Die Motive auf chinesischer Seite aber scheinen klar: Weil das Land zu abhängig von der Schwerindustrie ist, ermuntert die Staatsführung chinesische Unternehmen, auch im Ausland notwendige Technologie durch Übernahmen zu kaufen. „Going Out“-Strategie nennt sie das.
Laut KPMG haben chinesische Unternehmen alleine 2016 bereits gut fünf Milliarden Euro in deutsche Unternehmen aus dem Industrie- und Chemiesektor investiert. Eine Studie des Beratungshauses MSL befand, dass chinesische Investoren dabei im Durchschnitt 20 Prozent Preisaufschlag zahlen müssen – und dazu auch bereit sind. „Die aktuellen Akquisen erinnern mich an eine hektisch einberufene Shoppingtour“, sagt ein hochrangiger Deutschlandvertreter einer großen amerikanischen Investmentgesellschaft. Offensichtlich wird diese Hektik, wenn der Blick auf chinesische Übernahmeversuche jenseits solcher Musterfälle wie Kuka fällt.
Denn die staatliche Strategie ist das eine, den weit größeren Teil der chinesischen Investments in aller Welt erklärt etwas anderes: Chinas Unternehmer- und Geldelite macht sich auf, in großem Stil Geld ins Ausland zu bringen – gerne auch zu Mondpreisen. Erst im Juni sorgte ein chinesischer Investor für Aufsehen, der den Flughafen Hahn vom Land Rheinland-Pfalz kaufen wollte und dabei eine zweistellige Millionensumme bot, die weit über dem Wert der staatlichen Investitionsruine lag. Nur ein paar Monate vorher hatte sich ein Landsmann am Flughafen Lübeck verzockt, der bereit war, den Airport anders als alle Konkurrenten ohne Beihilfen zu betreiben – und ihn nur Monate später schon wieder vom Flugbetrieb abmelden musste.
Auch beim schwäbischen Recyclingkonzern Scholz, der im Mai vom chinesischen Konzern Chiho-Tiande übernommen wurde, ist das Risiko hoch. Als die Chinesen zugriffen, steckte das Unternehmen bereits in allerhöchster Finanznot.
Aus chinesischer Perspektive betrachtet, sind alle diese Investitionen Teil einer Kapitalflucht: 2015 flossen laut dem amerikanischen Institute of International Finance schätzungsweise 606 Milliarden Euro Kapital aus dem Land. Sieben Mal mehr als im Jahr zuvor. Im Januar waren es noch einmal mehr als 100 Milliarden Euro. Die Zahlen verdeutlichen, wie gering der Glaube an den Yuan ist und vor allem das Vertrauen in die Fähigkeit Pekings, in Krisenzeiten die Stabilität im Land zu garantieren. Viele chinesische Unternehmer, die nach der wirtschaftlichen Öffnung in den Siebzigerjahren reich geworden sind, fürchten mittlerweile um ihr Geld. Dazu kommt Präsident Xi Jinpings Vorgehen gegen Korruption.
Laut einer Umfrage der Barclays Bank will rund die Hälfte aller Millionäre China in den kommenden fünf Jahren verlassen. Laut der Shanghaier Immobilienvermittlungsplattform Juwai.com, die weltweit Investitionsobjekte für chinesische Käufer listet, ist Berlin dieses Jahr erstmals die beliebteste Stadt bei chinesischen Häuserkäufern.
Spätestens nach einem kleinen Spaziergang durch die chinesische Exklave Hoppstädten-Weiersbach, wo an jedem Klingelschild drei, vier Unternehmensnamen stehen, laufen all diese Überlegungen auf die einfache Frage hinaus: Was wollen die alle hier?