Görlachs Gedanken
Der Tempelberg mit dem Felsendom (M) und der al-Aqsa-Moschee (r), in Jerusalem (Israel) Quelle: dpa

Der Sehnsuchtsort Jerusalem gehört allen

Jerusalem ist die Hauptstadt Israels und zugleich Sehnsuchtsort für Christen und Muslime. Donald Trump verspricht eine einfache Lösung für ein komplexes Problem. Was das für die Europäer und den Westen bedeutet.

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Jerusalem ist der Sehnsuchtsort der Europäer: der Ort, an dem Christus starb, die Straßen, über die der Heiland ging. In Zeiten, als der Kontinent von religiösem Furor in der Weise ergriffen war, wie es heute weite Teile der islamischen Welt sind, trieb diese Sehnsucht tausende Männer und ihre Familien in das Heilige Land, um es von den Arabern zu befreien, die es im Jahre des Herrn 637, kurz nach Beginn der islamischen Expansion, siegreich belagert hatten.

Auch für den jungen Islam wurde das Zentrum des Monotheismus zu einem Sehnsuchtsort. Hier stehen sich Muslime und Christen in nichts nach. Der Ort wäre allerdings nie zu dem, was er geworden ist, ohne das Judentum. Jesus von Nazareth war Jude und wallfahrtete in die Heilige Stadt. Als Zentrum geistlicher und weltlicher Herrschaft, mit der Sesshaftwerdung und der Errichtung des Tempels wird Jerusalem zum kultischen und kulturellen Mittelpunkt dieser Religion.

Die Muslime hatten Mekka und Medina, die Christenheit Rom und, seinerzeit noch, Konstantinopel. Das Politische in ihren Religionen wurde dort verhandelt, das Spirituelle ausgelagert: so konnten die Päpste für den Marsch nach Jerusalem mobilisieren, genauso wie heute radikale Akteure die Gläubigen des Islam drängen, mit Zorn nach Jerusalem zu blicken.

Im Abendland wurde man das Problem vagabundierender und marodierender Ritter und das eine oder andere innenpolitische Problem durch die Kreuzzüge los. Die Fixierung auf Jerusalem in dem einen oder anderen Winkel der islamischen Welt heute folgt dem gleichen Schema. Jerusalem sagen, damit man den Friedensprozess nicht voranbringen oder den Palästinensern nicht wirklich helfen muss.

Die Provisorien, in denen diese seit Jahrzehnten leben müssen, die Autonomiebehörde, die mit ausländischen Hilfszahlungen kein vorzeitiges Ende ihres privilegierten Zustands herbeiführen wird, all das sind Zeichen dafür, dass es von Seiten der arabischen oder türkischen Nachbarn kein wirkliches Interesse gibt, das Problem zu entschärfen. Es ist eben leichter, Jerusalem zu rufen, als an Lösungen zu arbeiten.

Was Sie zum Streit um Jerusalem wissen müssen

Jerusalem ist für das Judentum alles in einem: spirituelles Zentrum, politische Mitte, Kristallisation all dessen, was Jude sein über die Jahrtausende bedeutet hat und bedeutet. Die Christenheit hat andere Orte, so hat sie der Islam. Alleine schon geschichtlich versteht es sich daher, dass Jerusalem die Hauptstadt des israelischen Staates ist und nicht etwa die durchaus sympathische, aber dennoch sehr junge Party-Hochburg Tel Aviv.

Die Heiligen Stätten des Christentums und des Islam müssen vom israelischen Staat besonders sensibel betrachtet und gehandhabt werden, denn sie sind unsere Sehnsuchtsorte. Dort wo religiöses Sehnen und messianische Hoffnung kulminiert, sind Fanatismus und Aberglaube nicht fern. Der Hinweis auf US-amerikanische Evangelikale, die es befeuert haben sollen, dass Donald Trump Jerusalem als Hauptstadt anerkennt und die Botschaft der Vereinigten Staaten dorthin verlegt, und so die Endschlacht, Harmagedon, heraufbeschwören wollen, um so das zweite Kommen unseres Herrn zu erzwingen, mag als ein Beispiel genügen.

Jerusalem als Hauptstadt Israels?

Dabei muss, nicht nur jedem Deutschen klar sein, dass Fantasien von sogenannten Endlösungen zu den schrecklichsten und grausamsten Taten geführt haben, zu denen der Mensch fähig ist. Und Gott, so viel Theologie darf hier erlaubt sein, lässt sich nicht zwingen. Dieser Vermerk ist gerade deshalb wichtig, weil wir uns im Westen nicht über islamische Gottesstaat-Tümeleien echauffieren dürfen, uns aber gleichzeitig das Gespür dafür fehlt, in unseren eigenen Reihen religiöse Fanatismus zu erkennen und entsprechend zu bezeichnen und zu delegitimieren.

Jerusalem als Hauptstadt Israels. Der Ruf nach einer neuen Intifada und der Hinweis, dass nun Gewalt von muslimischer Seite unausweichlich sei, gibt, leider, denen recht, die den Friedensprozess ohnehin schon abgeschrieben und der islamischen Welt abgesprochen hatten, ehrlich an einer Lösung und der Zweistaaten-Variante zu arbeiten – gemeint sind die arabischen Länder und die Türkei.

Ob der Prophet Muhammad (Muslime wünschen ihm, wann immer sein Name genannt wird, dass ihm Friede sei) wirklich vom Plateau auf dem Tempelberg in den Himmel geritten ist, lässt sich nicht belegen. Es steht aber unumrückbar fest, dass der jüdische Tempel an dieser Stelle gestanden hat.

Es hat Versuche von arabischer Seite gegeben zu behaupten, dass es dort niemals ein jüdisches Heiligtum gab. Dieser Tempel Salomons, wie er genannt wird, verweist auf den biblischen König, den wir im Abendland als den weisen verehren. Die bekannteste Erzählung, die sich um den heiligen König rankt, ist die von zwei Frauen, die angaben, die Mutter desselben Kindes zu sein.

Erst als Salomon drohte, das Kind in der Mitte zu teilen, um im Anschluss jeder Frau eine Hälfte des jungen Gebeins zu offerieren, offenbarte sich die wahre Mutterschaft.


Der Staat Israel muss lernen, dass der Sehnsuchtsort Jerusalem sowohl den Juden, den Christen und den Muslimen gehört und von ihnen bewohnt wird. König David betete beim Anblick der Stadt „Friede wohne in deinen Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit“ (Psalm 122,7). Davon sind Jerusalem und Israel, und alle, die darin wohnen, weit entfernt. Mit Donald Trumps Federstrich ist für die Zukunft Jerusalems nichts entschieden.

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