Görlachs Gedanken
Quelle: AP

Überall auf der Welt kämpft das Alte gegen das Neue

Taiwan ist das erste Land Asiens, das die Ehe für alle eingeführt hat. Das ist ein gewaltiger Schritt. Die „likeminded countries“ sollten mehr zusammenrücken und ihr Modell einer gerechten und fairen Welt propagieren.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Taiwan ist nunmehr das erste Land Asiens, das die Ehe für alle eingeführt hat. Das ist ein gewaltiger Schritt, denn der kleine Inselstaat signalisiert damit dem Rest der freien Welt, dass er sich ihm mehr und mehr annähert. Der Konflikt mit der Volksrepublik China hat in den vergangenen Jahren, seit dem Beginn der Herrschaft von Präsident Xi, erheblich gelitten. Der Machthaber in Peking möchte, anders als seine Vorgänger im Amt, die Insel gewaltsam dem Territorium der Volksrepublik einverleiben. Taiwan braucht also Verbündete und hat diese unter anderem in den USA und in Deutschland.

In der Diplomatie nennt man Länder mit gemeinsamen, verfassungsstaatlich garantierten Freiheiten „likeminded countries“, „Länder mit gleicher Einstellung“. In dem Moment, in dem die Bundesrepublik 70 Jahre Grundgesetz feiert, tut es gut daran zu erinnern, dass wir in Deutschland mit Menschen auf dem ganzen Globus, von Taiwan bis Kanada, verbunden sind. Jeder echte Verfassungstext beruht auf der Anerkennung der Menschenwürde, die dem Vertrag vorausgeht. Der Text findet diese Würde vor, leitet daraus die Menschenrechte ab, als dem Menschen eigen und von Natur aus mitgegeben. Der Nationalstaat schützt diese Rechte, denn auf seinem Territorium kann er diese Ordnung garantieren, die aus der Anerkennung der Menschenrechte fließt.

Ein juristisch formaler Zusammenschluss solcher Länder ist die Europäische Union. Es ist eine Lüge, die Populisten verbreiten, dass diese Vereinigung den Mitgliedsstaaten Souveränität nehme. Das Gegenteil ist der Fall. Für Menschen, die in Europa leben, gelten überall dieselben Rechte, gilt derselbe Schutz, von Madrid bis Berlin, von Lissabon bis Wien. Überall sind dieselben Menschenrechte garantiert, wie wunderbar ist das denn! Die Souveränität der Bürgerinnen und Bürger wird dadurch größer, nicht kleiner.

Darüber hinaus sind wir Europäer Ländern wie Kanada, den USA, Taiwan, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland aufgrund des Konstitutionalismus verbunden. Es hat sich in den vergangenen Jahrzehnten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs durchgesetzt, dass unsere Verfassungen die Gleichheit der Menschen unterstreicht und in Konsequenz keine rechtlichen Hindernisse der Entfaltung der menschlichen Person im Wege stehen: das gilt unter anderem für die Freiheit der Meinung, der Kunst, der Presse, des Glaubens, des Geschlechts, des Alters, der sexuellen Orientierung. Die „Ehe für alle“ ist direkte Konsequenz aus dieser Erwägung, die quasi dogmatischen Grundlage der Verfassungsgenerationen, die die Gleichheit zwischen den Menschen herstellt.

In Taiwan wie an vielen anderen Orten der Welt regt sich Widerstand gegen diese Angleichung, meist vorgemacht und propagiert von religiösen Autoritäten, die auf religiösen Weltbildern beharren wollen, die aus einer Zeit stammen, in der von Menschenrechten nicht die Rede war. Auch in Taiwan haben US-amerikanische Evangelikale mit Geld Stimmung gegen die „Ehe für alle gemacht“. Und auch der Buddhismus, der in folkloristischen Varianten in Taiwan zu Hause ist, sprang ins Feld: dort gilt die väterliche Linie als jene, über die die Vorfahren verehrt werden. Ohne männlichen Nachwuchs stirbt nach diesem Glauben die Verbindung ins Jenseits ab. Europäern ist das nicht fremd. In Polen kämpft der antisemitische, homophobe Arm der katholischen Kirche gegen jede Modernisierung, in Ungarn ruft Machthaber Orban einen katholischen Staat aus, mit heftigen Hieben gegen Juden und Muslime, die sich fortan in Ungarn nicht mehr wohlfühlen sollen.

So kämpft überall auf der Welt das Alte gegen das Neue. Die gute Nachricht aus Taiwan mag anderen benachbarten Demokratien in Asien den Weg in mehr konstitutionelle Freiheit ebnen! Am Ende, Deutschland ist dafür ein gutes Beispiel, bedeutet mehr Freiheit immer mehr Möglichkeit zur Innovation und ein mehr an Potenzial für Wohlstand. „Ewige Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit“, ist ein altes Zitat, das Thomas Jefferson, der dritte Präsident der USA, genutzt haben soll. Daran hat sich nichts geändert. Gerade in der aktuellen Zeit sind die Menschenrechte überall auf der Welt unter Beschuss. Die „likeminded countries“ sollten mehr zusammenrücken und standhaft ihr Modell einer gerechten und fairen Welt propagieren.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%