Am 16. April wird sich die Zukunft der Türkei entscheiden. Entweder wird aus der laizistischen Republik endgültig eine Diktatur oder die türkische Bevölkerung weist ihren Machthaber in seine Schranken. Die Europäische Union hat in ihrem Umfeld das Ende von Diktaturen gesehen, beispielsweise in Spanien als Mitte der 70er Jahre das Franco-Regime zusammenbrach. Die EU hat den Untergang des barbarischen und gottlosen Sowjet-Imperiums erleben dürfen. Nie aber ist einer ihrer Beitrittsaspiranten vor den Augen Europas zu einer Diktatur mutiert. Es versteht sich, dass der Staatenbund keinen Fahrplan für so eine außergewöhnliche Entwicklung hat. Aber wie nun damit umgehen?
Die Erfolge, die die Türkei im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts erlebt hat, die Öffnung des Landes, ökonomisch und politisch, nach dem Westen, all das steht zur Disposition. Die Wirtschaft ist am Boden, die Folter zurück und die erst zu Beginn des Jahrhunderts abgeschaffte Todesstrafe soll nach Willen des Machthabers wieder eingeführt werden. Staatspräsident Erdoğan provoziert den Westen und gängelt mit Nazi-Vergleichen. Gleichzeitig moniert er, dass die Meinungs- und Versammlungsfreiheit für Mitglieder seiner Partei und Regierung in Deutschland und den Niederlanden nicht gälten, einer Regierung, die im eigenen Land eben diese Freiheiten nicht gewährt. Sie sind Basis jeder Demokratie und Standard in jedem Mitgliedsland der EU. Erdoğan ist der Provokateur geblieben, der er schon zu Beginn seiner politischen Karriere war.
Mit seinem Vorgehen isoliert er das Land, seine Anhänger, in nordkoreanischem Stil: Seht, da draußen sind nur unsere Feinde! Wir müssen nach innen stark sein, um uns zu verteidigen. Seine frühe Aussage als Oberbürgermeister von Istanbul, dass die Minarette Bajonette, die Moscheen Kasernen und die Gläubigen des Islam Soldaten seien, hat den Provokateur Erdoğan ins Gefängnis gebracht. Angeblich geläutert gründete er nach seiner Freilassung eine neue Partei, mit der er sich in die höchsten Staatsämter katapultiert hat.
Schon damals konnte ihm nur eine Verfassungsänderung an die Macht helfen. Denn als rechtskräftig Verurteilter konnte er eigentlich nicht mehr als Abgeordneter fungieren. In Europa hat man sich blenden lassen – von einem Mann, der dem Islamismus angeblich abgeschworen hatte. Die AKP inszenierte sich in etwa wie eine islamische CDU. In der Alten Welt wollten viele glauben, dass es eine Normalisierung der Beziehungen zwischen islamischer und westlicher Kulturwelt geben könnte. Die Türkei war in dieser Lesart, die Herr Erdoğan selbst beförderte, eine Brücke zwischen den Welten, zwischen christlichem Okzident und islamischem Orient.
Erdoğan hat sich seit dem Jahr 2009 zunehmend von seiner Rhetorik und Politik verabschiedet, mit der Konsequenz, dass es in der Türkei heute keine unabhängigen Gerichte und keine freie Presse mehr gibt. Wie üblich in Kleptomanien grassiert die Korruption, Erdoğan war selbst schon in Vorwürfe verstrickt. Diese konnte er ebenso wenig entkräften wie die Behauptung bestätigen, dass der Prediger Fetullah Gülen und seine Organisation hinter dem Putsch-Versuch vom vergangenen Juli stecken.
Hoffnung für eine Zeit nach Erdoğan
Wir erleben nichts anderes als den Türxit, die Verabschiedung der Türkei aus dem Reigen der westlichen Nationen, das Ende eines EU-Beitrittskandidaten. Der Vergleich zu England drängt sich auf. Mit falschen Argumenten und unbelegten Behauptungen soll die türkische Bevölkerung dazu gebracht werden, für ein Referendum zu stimmen, dass die Türkei in ein System verwandelt mit Erdoğan an der Spitze. Dessen Macht wird dann auch vom Gesetz her nahezu uneingeschränkt sein. Wie er seine Machtfülle ausübt, hat schon heute Auswirkungen auf die europäischen Staaten, die eine türkische Auslandsgemeinde haben. Über die türkischen Moscheen, so legen es Medienberichte, unter anderem von Foreign Policy nahe, hat er gezielt seine Gegner im Ausland ausspionieren lassen.
Spionage unter dem Deckmantel des Islam? Damit erweist er den Türkinnen und Türken keinen Dienst, wobei für ihn jedes Ressentiment, das man im Westen gegen sein Land und seine Bürger hegt, ein Erfolg ist und ihm hilft, seine Landsleute weiter zu isolieren und ihm in die Arme zu treiben. Die Aussage, dass bald kein Europäer mehr sicher auf der Straße ist, kann wie ein Aufruf zur Gewalt gelesen werden. Auch seine Aufforderung an die Türken im Ausland, durch hohe Geburtenzahlen die Länder, in denen sie leben, zu unterwandern hat alles Potential, das mühsam durch Integration Errungene zu zerstören.
Die Türkei hat unter Recep Tayyip Erdoğan keine Chance, in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Die Wiedereinführung der Todesstrafe würde das Ende aller Beitrittsgespräche besiegeln. Allein der Zustand des Landes jetzt würde schon ausreichen, ein solches Ende der Gespräche zu legitimieren. Aber sollten die Türken am 16. April gegen dieses Präsidialsystem stimmen, wäre die EU wieder eine Perspektive – eine Art Hoffnung für eine Zeit nach Erdoğan. Dieses Datum sollte in Brüssel, Berlin, Paris und Rom abgewartet werden.