Grenzüberschreitend Muslime machen gegen IS mobil

Der Widerstand gegen die extremistische Gruppierung IS wächst. Während das Verbot in Deutschland bei allen Parteien auf Zustimmung trifft, verbünden sich die Muslime auch grenzübergreifend gegen die Organisation.

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Kurdische Kämpfer posieren mit einer erbeuteten Flagge der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) an der Makmur Front, Irak. Quelle: dpa

Berlin Als Bundesinnenminister Thomas de Maiziere die extremistische Gruppe IS in Deutschland verbot, stieß dies parteiübergreifend fast überall auf Zustimmung - ebenso wie die Waffenlieferungen der Bundesregierung an die kurdische Peschmerga-Miliz. Denn mittlerweile wird der Kampf gegen die radikal-sunnitische Gruppe als Problem begriffen, das auch Deutschland und ganz Europa betrifft. Aus jedem europäischen Staat sind Hunderte junge Männer nach Syrien und Irak aufgebrochen, um an der Seite der Miliz zu kämpfen. Das soll nun gestoppt werden - zur Bekämpfung kommt die Prävention. Und deshalb wird nun in Europa und den arabischen Ländern gegen die politische und religiöse Verführung potenzieller IS-Kämpfer vorgegangen - durch Muslime.

Am Freitag fand deshalb in 2000 Moscheen in Deutschland einen Aktionstag unter dem Motto „Muslime stehen auf gegen Hass und Unrecht“ statt. Dazu hatten die im Kooperationsrat der Muslime (KRM) organisierten Gruppen aufgerufen. Der Grund: Die Radikalisierung junger Muslime etwa durch die Salafisten trägt nicht nur Unruhe in islamische Familien. Der Chef des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, wies auch auf fünf Anschläge auf Moscheen in den vergangenen Wochen hin. Die IS und der Hass, den die Miliz sät, wird zur Bedrohung auch anderer Muslime - europa- und weltweit, wie die Attentatsdrohungen in Australien zeigen.

Deshalb ist der Kampf gegen die IS auch kein deutsches Phänomen - ähnliche Aktionen haben muslimische Geistliche in vielen europäischen und arabischen Ländern gestartet. Denn überall geht die Furcht vor einem Erstarken der IS um, die die Grenzen im gesamten Nahen Osten infrage stellt. „IS ist eine häretische, extremistische Organisation, und es ist religiös verboten, sie zu unterstützen oder sich ihr anzuschließen“, heißt es in einer vor zwei Wochen veröffentlichten Fatwa, dem Rechtsgutachten der religiösen Führer der britischen Muslime. Es sei für britische Muslime sogar eine Pflicht, sich dieser "giftigen Ideologie" aktiv entgegenzustellen - vor allem dann, wenn sie in Großbritannien verbreitet werde, forderten mehrere Ober-Imame etwa der Moscheen in Leicester, Manchester und Leeds.

Als generelle Forderung gehört dazu, die Extremistengruppe nicht mehr als „Islamischen Staat“ zu bezeichnen. „Das ist kein islamischer Staat“, sagt der Chef des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek. Es handele sich um Verbrecher, die auch so benannt werden müssten. Die Welt dürfe nicht einfach die Begriffe von „Terroristen“ in den Mund nehmen. Die Werte des Islams dürften nicht mit Füßen getreten werden, warnt Mazyek. Mit ihrer fundamentalen Sichtweise des Islam verträten sie nicht die Ansichten der Mehrheit der Muslime.


„Bisher war deren Stimme sehr schüchtern“

Mittlerweile wachen auch die Geistlichen in den arabischen Ländern auf. Vor einigen Wochen sprachen die Theologen der einflussreichen Kairoer Al-Azhar-Universität eine Fatwa gegen den IS aus, Ende Juli auch Theologen aus Saudi-Arabien. Der Großmufti dort verbreitete vergangenen Monat eine Stellungnahme, nach der die IS als unislamisch verurteilt wird. Aus der Türkei gibt es ähnliche Äußerungen. Denn mittlerweile sehen Geistliche und Regierungen aus muslimischen Staaten die IS als Bedrohung. So berichtete die „New York Times“, dass allein aus der Türkei rund tausend Freiwillige nach Syrien und in den Irak gereist seien, um die IS-Miliz zu unterstützen. Auch die Türkei wird also später mit radikalisierten Rückkehrern zu kämpfen haben.

Der chaldäisch-katholischen Kirche in Irak reichen die ersten Fatwas aber nicht. Ihre Vertreter verweisen darauf, dass bereits 10.000 Christen im Irak umgekommen seien. „Wir rufen die religiösen Anführer in den muslimischen Ländern auf, eine Fatwa gegen die Tötung aller Menschen auszusprechen, nicht nur gegen die von Muslimen“, sagte etwa der Patriarch Sako I. „Bisher war deren Stimme sehr schüchtern“, kritisierte er.

Ein Problem ist jedoch, dass etwa in Saudi-Arabien gleichzeitig religiöse Gruppen und Akteure genau jene Gruppen beschimpfen, die von der IS bekämpft werden. So werfen die ultra-konservativen Sunniten Abdulrahman al-Barrak und Nasser al-Omar, die mehr als eine Million Follower bei Twitter haben, den Schiiten vor, dass sie „Streit, Korruption und Vernichtung“ unter die Muslime streuten. Hintergrund ist, dass sich der Iran als Schutzmacht der Schiiten, Saudi-Arabien aber als Schutzmacht der Sunniten in der Region empfindet.

Zumindest in Deutschland gibt es eine solche Spaltung zwischen den Muslimen nicht. Die verschiedenen Gruppierungen und Verbände beraten mit der Regierung etwa in der Islamkonferenz Fragen der Integration. Zudem haben sich die Verbände in einem Koalitionsrat zusammengeschlossen. Den Aktionstag „Muslime stehen auf gegen Hass und Unrecht“ hält die Bundesregierung das für eine gute Sache. Innenminister Thomas de Maiziere hat daher seine Teilnahme an einer in Veranstaltungen in Hannover zugesagt.

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