Griechenland, Europa und der Schuldenschnitt So nicht, Herr Tsipras!

Der griechische Wahlsieger Alexis Tsipras will den Sparkurs stoppen und einen Schuldenschnitt durchsetzen. Doch die EU-Partner stellen sich quer. Droht am Ende doch ein Euro-Austritt des Mittelmeerlandes?

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Bekommt Gegenwind aus dem Rest Europas: der griechische Wahlsieger Alexis Tsipras. Quelle: dpa

Berlin Alexis Tsipras hat sich in den vergangenen Tagen fast immer lächelnd präsentiert. Mit erhobener, geballter Faust sagte er dem von den internationalen Partnern verordneten Sparprogramm den Kampf an. Und das mit scharfer Rhetorik. Die Reformauflagen hätten die Griechen zu einer „in Kriegszeiten noch nie dagewesenen Verelendung“ geführt, sagte der Chef des Linksbündnisses Syriza.

Ob Tsipras nach dem Sieg bei der Parlamentswahl seinen Worten nun Taten folgen lässt, ist eine der spannendsten Fragen. Zumal er immer wieder betont hat, dass er den eingeschlagenen Sparkurs seines Landes stoppen und stattdessen einen Schuldenschnitt durchsetzen wolle. Dazu braucht er allerdings die Unterstützung der Geldgeber und vor allem auch die der wichtigsten Entscheidungsträger in Brüssel und Berlin. Aus dieser Richtung kommen ab ganz andere Signale.

Die Europäische Zentralbank (EZB) schloss zwar einen Schuldenschnitt für das Krisenland nicht aus, lehnte aber eine eigene Beteiligung kategorisch ab. Ein möglicher Schuldenerlass sei eine Entscheidung der Politik und nicht der Notenbank, sagte EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Coeuré dem Handelsblatt. Es sei aber „absolut klar“, dass man keinen Erleichterungen zustimmen könne, bei dem griechische Anleihen einbezogen würden, die bei der EZB liegen. Das sei bereits aus rechtlichen Gründen unmöglich.

Der Präsident der Europäischen Parlamentes, Martin Schulz, machte zudem klar, dass es für die Forderung der griechischen Linkspartei Syrizia keine Mehrheit gebe. Er habe dies dem Syrizia-Vorsitzenden Tsipras in einem Telefongespräch deutlich gemacht, sagte Schulz im Deutschlandfunk. Der SPD-Politiker mahnte, anstatt eine ideologische Debatte über einen Schuldenschnitt zu führen, solle man nun besser über Möglichkeiten für mehr Wachstum und Beschäftigung sprechen. Griechenland brauche mehr Investitionen.

EU-Kommissar Oettinger Günther erklärte ebenfalls im Deutschlandfunk, die künftige Regierung in Athen müsse wissen, dass die Europäische Union ihr Angebot über eine weitere Finanzierung nicht ändern werde. Einen möglichen Schuldenschnitt für Griechenland schloss Oettinger ebenfalls aus. Dies wäre ein falsches Signal für andere Schuldner wie zum Beispiel Portugal.

Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem stellte klar, dass sich die Griechen an die Regeln der Euro-Zone halten müssten. Mit Blick auf den von Syriza im Wahlkampf geforderten Schuldenschnitt sagte der Niederländer, die Euro-Gruppe habe schon viel getan, um die Schuldenlast zu mindern, beispielsweise über die Verlängerung von Kreditlaufzeiten. Einem Streichen von Schulden erteilte er eine Absage: „Ich denke nicht, dass es da viel Unterstützung in der Eurozone gibt.“

Auch in Berlin ist man nicht gewillt, Tsipras entgegenzukommen. „Wir müssen den Menschen die Wahrheit sagen. In Griechenland und in Deutschland“, sagte Vizekanzler Sigmar Gabriel der „Bild“-Zeitung. Die Anstrengungen in Griechenland, die Schulden zu reduzieren und das Land aufzubauen, müssten daher weitergehen. „Und dann gehen auch unsere europäischen und deutschen Hilfen weiter.“


Athener Börse bricht ein

Der Chefhaushälter der Unions-Bundestagsfraktion, Norbert Barthle, reagierte verärgert auf die Drohungen des Syriza-Chefs. „Die derzeitige schwierige Lage in Griechenland allein bei denen abzuladen, die das Land vor kurzem vor dem Bankrott gerettet haben, halte ich auch vor dem Hintergrund der nun zu führenden Gespräche für problematisch“, sagte Barthle dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Einen weiteren Schuldenschnitt werde es jedenfalls nicht geben, betonte der CDU-Politiker zudem.

Barthle begründete die harte Haltung damit, dass man Griechenland bereits sehr weit entgegen gekommen sei. „Europäische Steuerzahler haften für einen großen Teil der griechischen Schulden“, sagte der CDU-Haushälter. Griechenland zahle hingegen derzeit keine Zinsen und keine Tilgung für die europäischen Hilfskredite. „Ein weiterer Schuldenschnitt würde daher auch keine Entlastung bringen.“ Als falsch bezeichnete Barthle die Behauptung, dass die Troika Griechenland einseitig zum Sparen gezwungen habe. „Die Stärkung der Wachstumskräfte der griechischen Wirtschaft ist schon jetzt ein wichtiger Schwerpunkt des Anpassungsprogramms“, sagte er. „Aber Reformen müssen auch umgesetzt werden.“

Die Angst vor einem Schuldenschnitt in Griechenland belastete am Morgen den europäischen Bankensektor. Der entsprechende Index verlor 1,5 Prozent und gehörte zu den schwächsten Indizes in Europa. Im Dax gaben Commerzbank und Deutsche Bank zwei und 0,9 Prozent nach. Die Forderungen des Syriza-Chefs Tsipras sorgen bei vielen Anlegern für Nervosität, sagte ein Händler.

Der Athener Aktienmarkt ging ebenfalls auf Talfahrt. Der Leitindex fiel zur Eröffnung um bis zu 5,5 Prozent. Der Index für die heimische Bankenbranche brach sogar um 12,3 Prozent ein. „Um einen Schuldenschnitt für Griechenland wird man wohl kaum herumkommen"“, sagte ein Börsianer.

Wie schwierig die Lage Griechenlands ist, zeigt eine jüngst veröffentlichte Studie des Centrums für Europäische Politik (CEP) in Freiburg. Demnach verfällt die Kreditfähigkeit Griechenlands nach wie vor ungebremst. Die Reformen der vergangenen Jahre und die massiven Finanzhilfen in Höhe von 234 Milliarden Euro hätten daran nichts geändert, konstatieren die CEP-Forscher. Lediglich 2012 habe der Verfall der griechischen Kreditfähigkeit leicht gebremst werden können. Seither habe sich der Verfall wieder beschleunigt.

Die Ursachen für die Misere des Mittelmeerstaats beschreiben die Forscher in ihrem „Default-Index“. Der Index beschreibt die Entwicklung der griechischen Kreditfähigkeit. Ausschlaggebend hierfür ist nicht ausschließlich die Betrachtung der Staatsschulden oder des öffentlichen Defizits, zumal es aus Sicht der Experten weniger auf die Verschuldung der öffentlichen Hand insgesamt als auf ihre Verschuldung gegenüber ausländischen Kreditgebern ankommt.


Griechenland lebt über seine Verhältnisse

In den Blick genommen werden auch die Auslandsverschuldung von Haushalten und Unternehmen, insbesondere auch der Finanzwirtschaft, da dadurch die Kreditfähigkeit eines Landes ebenfalls gefährdet werden kann. Der CEP-Index misst daher, wie sich die Fähigkeit einer Volkswirtschaft insgesamt zur Rückzahlung ihrer Auslandskredite entwickelt. Er berücksichtigt neben dem Staat auch das Kreditverhalten der Banken, Unternehmen und Konsumenten. Der Index setzt überdies am Gesamtwirtschaftlichen Finanzierungssaldo (GFS), der den Auslandskreditbedarf einer Volkswirtschaft abbildet, und am Niveau der kapazitätssteigernden Investitionen einer Periode an.

Als eine Ursache für die schwierige Lage Griechenlands sehen die CEP-Experten den schrumpfenden Kapitalstock des Landes. Diese Entwicklung führe dazu, dass die griechische Wirtschaft immer weniger produziert. Seit 2010 sei das griechische Bruttoinlandsprodukt (BIP) um mehr als 15 Prozent gesunken, seit 2008 sogar um 25 Prozent. Dadurch sei auch die Steuerbasis des Staates stetig zurückgegangen. „Griechenland“, resümieren die Experten, „hat sich damit immer weiter von dem Ziel entfernt, die öffentliche Schuldenlast von inzwischen 315 Milliarden Euro durch zusätzliche Steuereinnahmen stabilisieren zu können.“

Für problematisch halten die Forscher zudem, dass der griechische Konsum die kritische Schwelle von 100 Prozent des verfügbaren Einkommens deutlich übersteigt. Im ersten Halbjahr 2014 sei sie auf den Rekordwert von über 121 Prozent gestiegen. Dies sei mit Abstand der höchste Wert aller Euro-Staaten. Mit Portugal und Zypern, merken die Experten an, besäßen nur zwei weitere Euro-Länder eine Konsumquote von über 100 Prozent. Dort betrage sie allerdings lediglich 105 und 104 Prozent. „Die hohe Konsumquote ist die Kehrseite der negativen Investitionsquote und damit eines der Hauptprobleme der griechischen Misere“, unterstreichen die Forscher. Wenn Griechenland wieder ohne fremde Hilfe auskommen wolle, müsse daher der Konsum „drastisch“ eingeschränkt werden. Hierfür gebe es jedoch „keine Anzeichen“, konstatieren die Experten nüchtern.

Ungeachtet dessen ist CEP-Vorstand Lüder Gerken überzeigt, dass ein Schuldenschnitt das eigentliche Problem Griechenlands nicht löse. „Solange die griechische Wirtschaft nicht wettbewerbsfähig ist, benötigt das Land neue Kredite aus dem Ausland.“ Auch die Wirkung des ersten Schuldenschnitts von 2012 sei verpufft.

Die Lösung des Freiburger Thinktanks sieht daher anders aus: „Griechenland benötigt dringend Reformen, die die Wettbewerbsfähigkeit verbessern“, schreiben die Forscher in ihrer Studie. Zwar habe das Land auf Druck der internationalen Geldgeber zahlreiche Reformen umgesetzt. Die gewünschte Wirkung sei jedoch nicht eingetreten. Einige Reformen seien zudem nur auf dem Papier beschlossen, von den ausführenden Behörden dann jedoch nicht umgesetzt worden.


IW-Forscher fordern Regelungen für Euro-Austritt

Die CEP-Forscher plädieren deshalb dafür, Griechenland selbst über die eigene Zukunft entscheiden zu lassen. „Hierzu gehört auch die Entscheidung über eine Mitgliedschaft in der Euro-Zone“, empfehlen sie. Ein solcher Schritt sei ökonomisch zu verkraften, zumal die nach 2010 bei einem Austritt befürchteten Ansteckungsgefahren für andere Länder wie Irland und Spanien entweder nicht mehr bestünden oder wie im Falle Portugals beherrschbar seien.

In diese Richtung denkt auch das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Vor dem Hintergrund der Griechenland-Wahl plädieren die Experten in eine Analyse für einen konsequenten Kurs gegenüber reformunwilligen EU-Krisenstaaten. Dazu zählen sie auch, Hilfszahlungen des Euro-Rettungsschirms einzustellen, wenn ein Staat klar und nachhaltig gegen das vereinbarte Reformprogramm verstößt. „Die klare Linie muss auch dann eingehalten werden, wenn ein Land in der Folge aus der Europäischen Währungsunion auszutreten droht“, betonen die Experten.

Mögliche „gravierende ökonomische Folgen“ eines solchen Euro-Austritts könnten aus Sicht der IW-Forscher „ein wenig“ abgemildert werden, wenn die europäische Politik den rechtlichen Weg für einen Austritt aus der Währungsunion, den sie nur als „Ultima Ratio“ verstanden wissen wollen, eindeutig definierten. „Das Fehlen einer rechtlichen Regelung würde derzeit einen ungeordneten und daher ökonomisch besonders schädlichen Austritt erzwingen“, warnt IW-Direktor Michael Hüther.

Der Fall Griechenland offenbart aus Sicht des IW-Chefs einmal mehr das Versäumnis der Währungsunion, klar zu regeln, wie sie mit reformunwilligen Staaten unter dem Euro-Rettungsschirm umgehe, wenn ein Austritt aus der Währungsunion drohe. „Dieser Zustand ist nicht haltbar“, sagte Hüther. Schließlich sei die Verknüpfung der Hilfen mit verbindlichen Reformvorgaben aus ordnungspolitischer Sicht die zentrale Säule des neuen Euro-Regelwerkes zur Krisenbekämpfung. Diese Bedingung der Hilfsprogramme dürfe unter keinen Umständen aufgegeben oder gefährdet werden. Hüther: „Andernfalls drohen massive Fehlanreize für die Staatshaushalte.“


CDU-Politiker: Hellenen notfalls über EU-Austritt aus Euro drängen

Der Syriza-Chef dürfte sich der vertrackten Lage bewusst sein. Der CDU-Wirtschaftspolitik Klaus-Peter Willsch vermutet daher, dass Tsipras versuchen werde, die Euro-Zone zu spalten. „Wenn sich die Bundesregierung weichkochen lässt, hätte das verheerende Auswirkungen“, warnte der Bundestagsabgeordnete im Gespräch mit dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). „Unweigerlich würden andere Schuldenstaaten auch auf Milderung hoffen.“

Die Bundesregierung müsse deshalb deutlich machen, dass es griechische Regierungen gewesen seien, die das Land herunter gewirtschaftet hätten. Und es sei die griechische Regierung gewesen, die mit der Troika ein Reformprogramm ausgehandelt habe. „Der griechischen Propaganda vom deutschen Diktat muss endlich entgegen getreten werden“, forderte Willsch.

„Wenn Griechenland sich nicht an die vertraglichen Vereinbarungen halten will, müssen findige EU-Juristen einen Weg finden, wie Länder wieder aus der Euro-Zone ausscheiden können.“ Willsch hält einen Euro-Austritt notfalls auch über den Austritt aus der Europäischen Union für denkbar, indem Griechenland für eine „logische Sekunde“ austrete und sofort wieder beitrete, ohne sich erneut der gemeinsamen Währung anzuschließen.

Für einen Euro-Austritt plädiert auch die Alternative für Deutschland (AfD). Der Wahlsieg von Tsipras beruhe auf Versprechungen von sozialen Wohltaten, Jobs im Staatsdienst, Ende der Sparprogramme und einem Schuldenschnitt gegenüber ausländischen Gläubigern, „die höchst unseriös sind, weil unerfüllbar“, sagte der Hamburger AfD-Spitzenkandidat Jörn Kruse dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Daher biete nur ein Austritt aus der Euro-Zone eine Perspektive für Griechenland, wieder auf eigene Beine zu kommen. „Nur dann könnte es auch einen Grund geben, dem griechischen Staat einen Teil seiner Schulden zu erlassen“, betonte Kruse.

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