Griechenland, Italien & Co. Die bedrohte Euro-Zone

Auf den ersten Blick steht Europa wirtschaftlich so gut da wie lange nicht. Doch die Zukunft des Euro mehr als ungewiss, warnen Ökonomen in einer Studie. Und das liegt nicht nur am Dauer-Problemfall Griechenland.

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Eine Studie zur Kreditfähigkeit der Euro-Länder belegt: die existenzgefährdenden Verwerfungen im Euro-Raum bestehen fort. Quelle: dapd

Berlin Am Montag steht wieder einmal das schuldengeplagte Griechenland im Fokus der Politik. Die Auszahlung weiterer Hilfsmilliarden aus dem dritten Rettungsprogramm hängt von einem Reform-Fortschrittsbericht ab, der sich seit langem verzögert. Deshalb kommen nun an diesem ersten Tag der Woche die Finanzminister in Brüssel zusammen, um über die Lage zu beraten. Ohne frisches Kapital seiner Geldgeber wäre Griechenland rasch zahlungsunfähig.

Knackpunkt ist die Frage, ob der Internationale Währungsfonds (IWF) bei den Griechenland-Hilfen an Bord bleibt. Das war eine zentrale Bedingung für das dritte Hilfspaket, dem Union und SPD im Bundestag zugestimmt hatten. Nun könnte der IWF aussteigen. Sollte er sich zurückziehen, müsste sich der Bundestag wohl erneut mit den Milliardenhilfen befassen. Für die Euro-Zone käme die Debatte, die damit wohl einherginge, zur Unzeit. Denn in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland sowie unter Umständen auch in Italien werden in diesem Jahr Wahlen stattfinden, bei denen anti-europäische Parteien mit großen Stimmengewinnen rechnen können.

Erschwerend kommt hinzu, dass Griechenland nicht das einzige Land ist, das als Problemfall in der Euro-Zone gilt. Eine Studie des Centrums für Europäische Politik (CEP) in Freiburg nennt insgesamt sechs Risiko-Länder, die für die Zukunft des Euro ein Risiko darstellen. Das sind neben Griechenland die Länder Italien, Lettland, Portugal, Slowenien und Zypern. Was die Länder eint, ist eine „verfestigte abnehmende Kreditfähigkeit“. Laut den CEP-Experten trügen sie somit dazu bei, dass die „existenzgefährdenden Verwerfungen im Euro-Raum“ weiter bestünden.

Die Forscher warnen vor den Folgen dieser Entwicklung, zumal, mit Ausnahme von Zypern, der Verfall der Kreditfähigkeit auf eine negative Investitionsquote zurückzuführen sei. „Dies ist besonders problematisch“, urteilen die Experten. Denn: „Wenn der dadurch bedingte Abbau des Kapitalstocks über längere Zeit anhält, verarmt die Volkswirtschaft.“ Der Kapitalstock ist quasi das Anlagevermögen des Staates; das sogenannte Sachkapital – Fabrikgebäude, Maschinen oder technische Anlagen, die für die Produktion eingesetzt werden. Mangelt es daran, schwächelt auch die Wirtschaftsleistung der jeweiligen Volkswirtschaft.

Die Ursachen für die Misere in den betroffenen Ländern beschreiben die Forscher in ihrem „Default-Index“. Der Index beschreibt die Entwicklung der Kreditfähigkeit. Ausschlaggebend hierfür ist nicht ausschließlich die Betrachtung der Staatsschulden oder des öffentlichen Defizits, zumal es aus Sicht der Experten weniger auf die Verschuldung der öffentlichen Hand insgesamt als auf ihre Verschuldung gegenüber ausländischen Kreditgebern ankommt. In den Blick genommen werden auch die Auslandsverschuldung von Haushalten und Unternehmen, insbesondere auch der Finanzwirtschaft, da dadurch die Kreditfähigkeit eines Landes ebenfalls gefährdet werden kann.

Der CEP-Index misst daher, wie sich die Fähigkeit einer Volkswirtschaft insgesamt zur Rückzahlung ihrer Auslandskredite entwickelt. Er berücksichtigt neben dem Staat auch das Kreditverhalten der Banken, Unternehmen und Konsumenten. Der Index setzt überdies am Gesamtwirtschaftlichen Finanzierungssaldo (GFS), der den Auslandskreditbedarf einer Volkswirtschaft abbildet, und am Niveau der kapazitätssteigernden Investitionen einer Periode an.


Griechenland droht „kontinuierliche Verarmung“

Wie schon in den vergangenen Jahren fällt die CEP-Analyse für Griechenland ernüchternd aus. Der Dauer-Problemfall der Euro-Zone ist nach wie vor nicht kreditfähig. Eine Trendwende ist aus Sicht der Forscher nicht abzusehen. „Nach wie ist das Konsumniveau in Griechenland viel zu hoch. Hinzu kommt ein massiver Abbau des Kapitalstocks“, sagte Lüder Gerken, Vorstandsvorsitzender des CEP und Mitautor der Untersuchung.

Die Folgen liegen auf der Hand: Die Wirtschaft wächst nicht mehr. Laut Eurostatt schrumpfte die Wirtschaftsleistung in dem Mittelmeerstaat Ende 2016 um 0,4 Prozent. Eine solide wirtschaftliche Basis ist jedoch Voraussetzung sowohl für breiten Wohlstand als auch für ausreichende Steuereinnahmen, mit denen sich öffentliche Ausgaben und nicht zuletzt Zinszahlungen an ausländische Gläubiger finanzieren lassen.

Mit Sorge blicken die Forscher auf die Konsumquote Griechenlands: Seit 2005 liegt die griechische Konsumquote über der 100-Prozent-Schwelle, konstatieren sie. Zwar sinke sie seit 2012. Allerdings sie sie auch im ersten Halbjahr 2016 – wie bereits seit 2008 – mit Abstand die höchste in der EU gewesen und habe den Durchschnitt des Euro-Raums um 15,2 Prozentpunkte überstiegen. Diese Entwicklung, gepaart mit einer miserablen Kreditfähigkeit und einer geringen internationalen Wettbewerbsfähigkeit, haben das Land sehr stark von Auslandskrediten abhängig gemacht.

Ein zudem deutlich schrumpfender Kapitalstock verbunden mit Kapitalflucht haben die Lage noch verschärft. Und daran dürfte sich nach Ansicht der CEP-Experten auch wenig ändern, so lange das Investitionsklima in Griechenland schlecht bleibt. Selbst die Finanzhilfen der anderen Euro-Länder dürften daran nichts zu ändern. „Diese Gemengelage“, so die finstere Prognose der Forscher, „führt im Ergebnis zu einer kontinuierlichen Verarmung Griechenlands.“

Die Bürger trifft das hart. Seit dem 1. Januar 2017 werden sie sogar mit neuen indirekten Steuern und der Erhöhung der Einkommenssteuer belastet. Hauptsächlich betroffen sind Angestellte und Besitzer kleiner Geschäfte. Premier Alexis Tsipras spürt die Wut der Bürger. Die Umfrageergebnisse sind verheerend für seine Partei. Die Konservativen liegen in allen Umfragen mit bis zu 12 Prozentpunkten vorn.

Die CEP-Forscher empfehlen dem Land daher, die Rahmenbedingungen für Investitionen zu verbessern, um wieder kreditfähig zu werden. Zudem müssten die Reformvorgaben, zu denen sich die griechische Regierung im Gegenzug für die Finanzhilfen verpflichtet hat, konsequent umgesetzt werden. „Anderenfalls“, so warnen die Ökonomen, „wird weder die Kapitalflucht aufhören noch werden heimische oder ausländische Unternehmen zu Investitionen bereit sein.“ Letzteres sei jedoch notwendig, damit Griechenland langfristig wieder kreditfähig werde.


Wachsende Sorgen um Italien

Als echtes Problem für die Zukunft des Euro könnte sich Italien erweisen. Das Land hat ebenfalls mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen: Ende 2016 erwirtschaftete Italien nur ein Miniwachstum von 0,2 Prozent. Und die Lage der Banken ist heikel, denn sie haben in ihren Bilanzen milliardenschwere faule Kredite. Längst geht in Europa die Angst um, dass die EU wohl nicht mehr zu retten sein wird, wenn Italien wankt.

Die Forscher vom Freiburger CEP sehen Italien auch deshalb schon lange im Krisenmodus, weil etwa die Kreditfähigkeit des Landes seit 2010 unentwegt abnehme. Das hat seit 2013 mit einem ein Abbau des Kapitalstocks zu tun. Als Ursachen nennen die Experten hierfür die ungelösten wirtschaftlichen Probleme, die hohe öffentliche Verschuldung sowie die politische Unsicherheit.

Kommt die Wirtschaft nicht wieder besser in Schwung, besteht nach Einschätzung des Direktors des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, die Gefahr, dass die euroskeptische Fünf-Sterne-Bewegung die nächste Wahl gewinnt. Italien sei zudem der Testfall für die neuen EU-Regeln bei der Abwicklung maroder Banken, mit denen die Steuerzahler geschont und stattdessen die Bankeigentümer zur Kasse gebeten werden sollen, betonte Hüther. Hier gebe es nun ein Zeitfenster bis zur nächsten Wahl.

Noch schwieriger als in Italien stellt sich die Lage in Portugal dar. Hier verfällt die Kreditfähigkeit sogar schon seit 2004. Zum einen, weil der Kapitalstock seit 2012 schrumpft und zum anderen, weil das Land immer noch weit über seine Verhältnisse lebt.

In Slowenien hingegen ist nicht die Konsumquote der Bevölkerung die Ursache für die seit 2012 kontinuierlich verfallende Kreditfähigkeit. Das Problem ist der Kapitalstock des Landes, der wegen der schlechten Rahmenbedingungen für Investitionen schrumpft. Ergo müsste Slowenien seine Standortattraktivität erhöhen, raten die Experten. Allerdings sagen sie auch: „Ein Trend zur Besserung ist nicht erkennbar.“

Auch für Lettland besteht dringender Handlungsbedarf, da seine Kreditfähigkeit seit 1999 stetig verfallen ist. Dazu müssten sich aber die Rahmenbedingungen für private Investitionen verbessern, die derzeit laut der CEP-Studie als „mangelhaft“ einzustufen sind. Als problematisch gilt überdies die „viel zu hohe Konsumneigung“ der lettischen Bevölkerung.


Spanien-Boom hat seinen Preis

Nicht ganz so schlecht fällt die CEP-Analyse für Frankreich aus. Hier hat sich die Kreditfähigkeit aufgrund der traditionell hohen Investitionen immerhin „unbestimmt“ entwickelt. Im ersten Halbjahr 2016 stellen die Forscher eine leichte Zunahme der Investitionen und einen Rückgang des Konsums fest.

Gleichwohl hat zweitgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone schon seit geraumer Zeit einige Sorgen. In den vergangenen Jahren stagnierte das Wirtschaftswachstum weitgehend. Im zweiten Quartal 2016 schrumpfte das BIP sogar um 0,1 Prozent, auch wenn es sich zum Jahresende wieder leicht erholte. Grund für die Misere waren nach Expertenansicht unter anderem ein starrer Arbeitsmarkt und vergleichsweise hohe Produktionskosten.

Verbessert hat sich indes die Kreditfähigkeit von Spanien. Seit 2012 geht es kontinuierlich voran. Die Verbesserung beschleunige sich zudem jedes Jahr, konstatieren die Studienautoren. Um diesen Trend aber nicht zu gefährden, müsse die spanische Regierung das nach wie vor hohe öffentliche Defizit rasch senken.

Nichtsdestotrotz steht das frühere Krisenland vergleichsweise gut da. Das zeigen auch die jüngsten Wirtschaftsdaten. So stieg die Wirtschaftsleistung laut nationalem Statistikamt im vergangenen Jahr um 3,2 Prozent - und damit im dritten Jahr in Folge. Ein Mut machender Lichtblick nach der schweren Rezession in den Jahren 2012 und 2013.

Die Zahl der Erwerbslosen gehört im europäischen Vergleich zwar noch zu den höchsten, sank Ende des vergangenen Jahres aber auf den niedrigsten Stand seit sieben Jahren. Die konservative Regierung von Mariano Rajoy spricht gar von „historischen Zahlen“.

Doch auch hier wird der Jubel überschattet. Denn der angebliche Boom hat seinen Preis: Die Gewerkschaften in der nordwestlichen Region Galicien sprechen etwa von viel „Unsicherheit und Armut“ in der Bevölkerung. Die Arbeitsmarktreform habe nicht nur in Galicien viele negative Auswirkungen, „darunter der Ersatz von Festanstellungen durch Gelegenheits- und Teilzeitjobs und weniger Rechte“, so der Gewerkschaftsbund CCOO.

Erfreulich ist die Lage auch in Belgien, Deutschland, Estland, Litauen, Luxemburg, den Niederlanden und Österreich. In diesen Ländern ist die Kreditfähigkeit teilweise deutlich gestiegen.


„Die Euro-Zone kommt weiterhin nicht zur Ruhe“

Insgesamt ziehen die CEP-Forscher aber ein ernüchterndes Fazit. „Die Euro-Zone kommt weiterhin nicht zur Ruhe“, urteilt Matthias Kullas, Mitautor der Studie. Nicht nur wegen der ohnehin bestehenden politischen Unsicherheit über die Zukunft des Euro, sondern auch wegen Problem-Ländern wie Griechenland. Der Streit über die Schuldentragfähigkeit Griechenlands befeuere quasi noch die eurokritische Debatte.

Nicht minder problematisch sei in diesem Zusammenhang, dass sich die Euro-Länder nach wie vor nicht auf eine solide Fiskalpolitik hätten verständigen können und zahlreiche Staaten, allen voran Frankreich, Italien, Portugal und Spanien, die Verschuldungsgrenzen des Stabilitäts- und Wachstumspakts nicht ernst nähmen. Dies habe das Vertrauen in die Zukunft des Euros weiter unterminiert. „All diese Entwicklungen“, resümieren die Experten, „haben dazu beigetragen, dass die Renditen der Staatsanleihen der Euro-Länder seit Jahresbeginn wieder stärker auseinandergehen.“

„Der Renditeunterschied zwischen französischen und deutschen Staatsanleihen ist bereits auf das Niveau des Krisenjahres 2012 gestiegen“, stellte vergangene Woche Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer fest. Es sind gut 0,7 Prozentpunkte. Zehnjährige Bundesanleihen werfen aktuell rund 0,3 Prozent ab, französische Papiere kommen auf mehr als ein Prozent.

In Italien ist die Rendite italienischer Anleihen regelrecht in die Höhe geschossen – auf mittlerweile mehr als 2,2 Prozent, so viel wie seit Anfang 2015 nicht mehr. Sie liegt höher als die spanischer Staatsanleihen. Deren Rendite schwankt derzeit um die 1,7 Prozent. Schwierig bleibt die Lage aus Sicht der Investoren auch in Portugal. Erfolge der Linksregierung seien spärlich: Dort steigt die Rendite von zehnjährigen Anleihen seit Herbst 2015 kontinuierlich auf aktuell rund vier Prozent.

Solche Zahlen sind erste Krisen-Signale. Sebastian Sachs vom Bankhaus Metzler bringt es auf den Punkt: „Es geht um nicht weniger als die Zukunft Europas beziehungsweise der Euro-Zone.“ Dass mittlerweile selbst der Spread der zum Kern der Euro-Zone zu zählenden Niederlanden geradezu explodiere, spreche Bände. Dort wird am 15. März gewählt. Die Furcht vor einem Wahlerfolg des Rechtspopulisten Geert Wilders wächst.

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