Griechenland-Krise „Auf Messers Schneide“

Griechenland geht das Geld aus. Noch hilft der Griff in die Kassen der Rentenversicherung und staatlicher Unternehmen. Dann müssten die EU-Partner einspringen. Doch führende Ökonomen sehen dafür nur geringe Chancen.

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Experten sehen kein Ende für die Griechenlandkrise.

Berlin Die griechische Regierung übt sich in Zweckoptimismus. Zu Beginn der kommenden Woche erwarte er eine Einigung mit der Euro-Gruppe auf weitere finanzielle Hilfe, sagte der griechische Wirtschaftsminister Georgios Stathakis am Donnerstag im Fernsehen. Er gehe davon aus, dass Griechenland sich dann mit seinen Partnern auf ein Reformpaket verständigt und damit weitere Gelder freigegeben werden können.

Ob es wirklich zu einer reibungslosen Verständigung kommt, daran haben Experten wie der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, große Zweifel. Für Krämer sind zunächst die Fakten entscheidend, die jegliche Kommunikation Athens mit den internationalen Geldgebern bestimmen dürften. Der Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras werde wohl, so Krämer im Gespräch mit dem Handelsblatt (Online-Ausgabe), in wenigen Tagen das Geld ausgehen. Dann könne sie sich nur noch einige Zeit über Wasser halten, wenn sie in die Kassen der Rentenversicherung oder in die staatlicher Unternehmen greife. „Bald kommt es zum Showdown“, ist der Ökonom sicher.

Viel hängt dann davon ab, was die von den Gläubigern angeforderte Reformliste enthält. Einen inhaltlichen Ausblick gab Regierungssprecher Gabriel Sakellaridis. Die Liste werde Maßnahmen zur Steigerung der Steuereinnahmen beinhalten, sowie zur Verbesserung des Investitionsklimas und zur Effizienzsteigerung des Justizwesens, sagte er einem Radiosender. Die Führung in Athen hatte angekündigt, ihre Reformvorschläge bis spätestens Montag auf den Tisch zu legen. Wenn keine finanzielle Hilfe mehr fließt, geht dem Land das Geld aus. Regierungskreise in Athen nennen den 20. April als Deadline.

Für den Commerzbank-Chefökonom sind verschiedene Szenarien denkbar – bis hin zu einer Staatspleite. „Es steht auf Messers Schneide, ob Griechenland in der Währungsunion bleibt oder nicht“, sagte Krämer. „Aber die Bereitschaft der Geberländer zu einem faulen Kompromiss mit Griechenland scheint zuletzt etwas zugenommen zu haben, auch weil man einen größeren Einfluss Russlands in Griechenland fürchtet.“

Beide Seiten tun sich mit einer Einigung schwer. Immerhin ringt die neue griechische Regierung schon seit Wochen mit den Euro-Partnern und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) um die Auszahlung weiterer Milliarden aus dem zweiten Hilfspaket. Bevor jedoch die insgesamt 7,2 Milliarden Euro fließen können, muss sie der Euro-Gruppe Reformvorschläge zur Billigung vorlegen. Die bisherigen Vereinbarungen mit den Gläubigern, die das Land seit 2010 mit 240 Milliarden Euro vor der Pleite bewahren, lehnt die Regierung in Athen zum Teil ab.


„Ohne überzeugendes Reformbekenntnis, wird es noch unübersichtlicher“

Krämer hält vor diesem Hintergrund drei Lösungsansätze für möglich. Entweder knicke Tsipras ein und verpflichte sich zu konkreten, nachprüfbaren Reformen, was es der Staatengemeinschaft erlauben würde, die Hilfskredite auszuzahlen. Oder die Staatengemeinschaft knicke ein, akzeptiere ein faktisches Aufweichen der Reformauflagen und gebe die Zahlungen frei.

Oder, dritte Möglichkeit, Griechenland werde zahlungsunfähig, wenn sich keine der beiden Seiten bewegt. „Das würde die EZB zwingen, die dann insolventen griechischen Banken von der Liquiditätsversorgung abzuklemmen, was faktisch ein Ausscheiden aus der Währungsunion bedeutete“, erläuterte Krämer. „Griechenland ginge dann durch eine Phase des ökonomischen Chaos.“

Die Stabilität der restlichen Währungsunion sieht Krämer jedoch nicht bedroht, „weil sich private Anleger schon längst aus Griechenland zurückgezogen haben und die Bürger in den anderen Ländern nicht ihre Banken stürmen werden, weil sie wissen, dass Griechenland wirtschaftlich und politisch ein Sonderfall ist“.

Ähnlich sieht das der Chefvolkswirt der Dekabank, Ulrich Kater. Die Lage sei zwar sehr unübersichtlich geworden und werde es wohl weiter bleiben. Und „sowohl Stil als auch Inhalt der Diskussion mit Griechenland irritieren viele Beobachter an den Finanzmärkten“, sagte Kater dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). „Dass dies an den Märkten bislang trotzdem keine Reaktionen ausgelöst hat, zeigt, dass die gravierendsten Auswirkungen eines möglichen Grexit (Euro-Austritt) in Griechenland selbst oder auf der politischen Ebene gesehen werden, aber nicht in der Finanzmarktstabilität.“

Einen Euro-Austritt Griechenlands hält Kater für ein mögliches Szenario. „Fällt das Reformbekenntnis in Griechenland nicht überzeugend genug aus, um wenigstens eine Brückenfinanzierung zu rechtfertigen, dann wird es noch unübersichtlicher“, sagte er. Kapitalverkehrskontrollen seien dann ein erster Schritt. „Weil das Chaos dann schnell weiter zunehmen würde, treibt Griechenland dann auf einen Austritt zu.“ Hierzu könnten nach Einschätzung Katers jedoch ein Referendum oder Neuwahlen notwendig erscheinen, was „die Zeit der Tatenlosigkeit“ weiter verlängern würde.


„Die größte Gefahr für Athen liegt bei den griechischen Banken“

Kapitalverkehrskontrollen könnten tatsächlich ein Thema werden, zumal die Kapitalflucht aus Griechenland ein immer größeres Problem zu werden scheint. Angaben der griechischen Zentralbank vom Donnerstag lassen aufhorchen. Demnach haben Bürger und Unternehmen im Februar 7,5 Milliarden Euro an Einlagen aus den griechischen Banken abgezogen. Damit wächst der Druck auf das Finanzsystem des schwer angeschlagenen Eurostaats. Die Bankeinlagen betrugen Ende Februar noch 140,5 Milliarden Euro. Seit 2010 sind sie um fast 100 Milliarden Euro gesunken.

Dass die griechischen Banken in dieser Situation auf Notkredite angewiesen, die die Europäische Zentralbank (EZB) regelmäßig neu bewilligen muss, birgt nach Einschätzung des Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, große Risiken. Deshalb sieht Fratzscher das größte Problem für Griechenland kurzfristig auch nicht in einer Zahlungsunfähigkeit des Staates. Denn Athen müsse zurzeit kaum Schulden zurückzahlen. „Die größte Gefahr für Athen liegt bei den griechischen Banken, die faktisch insolvent sind und nur noch durch die EZB künstlich am Leben gehalten werden“, sagte der DIW-Chef dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

Fratzscher hält daher einen „klaren Plan und eine Einigung zwischen Athen und Brüssel“ für dringend notwendig, um wieder Vertrauen in die Handlungsfähigkeit Griechenlands zu schaffen. „Vertrauen ist der Schlüssel um die Kapitalflucht aus Griechenland zu stoppen, die Steuermoral zu verbessern und private Investitionen zu fördern“, sagte der DIW-Chef.

Allerdings gibt auch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann zu bedenken, dass die neue griechische Links-Rechts-Regierung „viel Vertrauen verspielt“ habe. Die Regierungen der anderen Länder hätten aber offenbar den Eindruck, es könne noch eine Lösung erreicht werden. „Aber wir haben nicht mehr viel Zeit. Es wird knapp“, sagte Weidmann dem „Focus“.


Bundesbank-Präsident schließt Staatspleite nicht aus

Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling hat jedoch wenig Hoffnung für eine baldige Lösung. „Wir haben eine Vertrauenskrise mit Griechenland“, sagte er am Freitag vor Journalisten in Wien. Das Mittelmeerland halte sich nicht an Abmachungen liefere und keine Unterlagen. „Auf dieser Ebene Entscheidungen zu treffen, ist mühsam“, sagte der ÖVP-Politiker.

Ein weiteres Hilfsprogramm könne es nur geben, wenn das zweite erfolgreich abgeschlossen werde, sagte Schelling weiter. Ein neuerlicher Schuldenschnitt für Griechenland sei nach seiner Einschätzung nicht sinnvoll, weil er sich nicht positiv auf das Budget auswirke. „Das Thema wird uns noch einige Zeit begleiten, was herauskommt, weiß ich nicht“, betonte der Minister.

Möglicherweise steuert Griechenland doch in die Staatspleite. Bundesbankchef Weidmann schloss ein solches Szenario jedenfalls nicht aus. „Wenn ein Mitgliedsland der Währungsunion beschließt, dass es Verpflichtungen nicht erfüllt, und die Zahlungen an Anleihegläubiger einstellt, so ist eine ungeordnete Insolvenz in der Tat nicht zu vermeiden“, sagte Weidmann. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen wären jedoch für Griechenland „gravierend und alles andere als empfehlenswert“.

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