Griechenland-Krise Nach dem „Grexit“ würde das Chaos regieren

Noch nie stand Griechenland so nah am Abgrund. Hinter den Kulissen wird ein Euro-Austritt Athens längst durchgerechnet. Doch dieser „Grexit“ hätte für das Land verheerende Folgen – und würde auch Europa schwer treffen.

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Die Finanzlage wird für Griechenland immer bedrohlicher. Quelle: dpa

Das Zwischenfazit im monatelangem Reformstreit Griechenlands mit der Euro-Zone ist ernüchternd: Noch nie stand das Land so nahe am Bankrott. Zwar beteuern die Krisenmanager in Brüssel, Berlin, Frankfurt und Athen beständig, dass sie eine Staatspleite und einen „Grexit“ aus der Euro-Zone verhindern wollen.

Doch hinter den Kulissen laufen längst Überlegungen, wie sich der Ernstfall einigermaßen managen ließe. Für die Griechen hätte ein „Default“ verheerende Folgen, für die Euro-Zone insgesamt wären die kurzfristigen Auswirkungen wohl begrenzt. Auf lange Sicht droht aber auch ihr ein enormer politischer und ökonomischer Schaden.

Dass ein Ereignis fatale Konsequenzen hätte, bedeutet nicht, dass es deshalb nicht eintreten wird. Bereits im März räumte EZB-Präsident Mario Draghi vor einem Ausschuss des EU-Parlaments ein, dass die Risikoanalysten der Europäischen Zentralbank die verschiedensten Szenarien durchspielten. Nicht anders ist es bei den Fachleuten im Bundesfinanzministerium. Man will vorbereitet sein für den Ernstfall, dass den Griechen tatsächlich das Geld ausgeht und sie ihre Staatsschulden nicht mehr bedienen können.

Wie konnte es dazu kommen? Beobachtern kommt die griechische Tragödie mitunter eher wie eine absurde Komödie vor: So sagte der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras am Donnerstag zu Reuters, er erwarte eine Lösung des Schuldenstreits bis Ende April. Es habe bemerkenswerte Fortschritte gegeben. Rund 24 Stunden zuvor war aus Finanzminister Wolfgang Schäuble bei einer Rede in New York herausgeplatzt: „Niemand hat eine Idee, wie wir uns über ein ambitionierteres Programm einigen sollten.“ Niemand erwarte eine Einigung beim Euro-Finanzministertreffen nächste Woche in Riga. Viel weiter kann man kaum auseinander liegen.

Grund dafür ist nicht allein der politische Poker um die künftigen Reformauflagen für weitere Milliardenhilfen. Nach den zahllosen Gesprächsrunden beklagen etliche Verhandlungspartner der Griechen, die neue Regierung in Athen agiere dilettantisch. So sei nicht klar, wer dort überhaupt etwas zu entscheiden habe. Ein Koalitionsvertreter in Berlin sagt, selbst wer den Griechen sehr wohl gesonnen sei, habe aus diesem Grund zunehmend Schwierigkeiten, seine weitere Unterstützung zu rechtfertigen.

Ratlosigkeit macht sich breit. Bestes Beispiel dafür ist EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Wie kein anderer hat er Athen Kompromissbereitschaft signalisiert und sich als „ehrlicher Makler“ versucht. Mittlerweile scheint aber auch der erfahrene Verhandler aus Luxemburg mit seinem Latein am Ende zu sein. In der EU-Kommission machte Juncker am Mittwoch laut einem EU-Diplomaten deutlich, dass seine Geduld sehr strapaziert sei, weil es wieder tagelang keine Fortschritte gegeben habe. Juncker steht mit seinem Frust nicht alleine. Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis nannte die Verhandlungen „sehr kompliziert“, während zugleich die Zeit ablaufe. IWF-Chefin Christine Lagarde appellierte erneut, das Tempo der Verhandlungen anzuziehen. Ihr Ratschlag an die Griechen lautet: „Kommt mit der Arbeit voran.“


Noch wurschtelt sich Athen durch

Denn inzwischen zerrinnt den Griechen die Zeit – und damit das Geld – zwischen den Fingern. Noch hangelt sich die Regierung beinahe täglich von einem Zahlungstermin zum nächsten. Wann die Kassen leer sind, weiß niemand genau – die Regierung lässt die Vertreter der Gläubiger-Institutionen EU-Kommission, EZB und IWF („Troika“) noch immer nicht in die Bücher schauen. Der Chef des Euro-Rettungsschirms ESM, Klaus Regling, warnte aber kürzlich, der Liquiditätspuffer der Griechen sei mittlerweile eindeutig „sehr sehr klein“. Fest steht, dass sie alleine an die EZB im Juli und August über 6,7 Milliarden Euro zahlen müssen. Hinzu kommen Rückzahlungen von insgesamt gut acht Milliarden Euro an den IWF in diesem Jahr und Leistungen an private Gläubiger.

Für das Land, das seit 2010 vom Kapitalmarkt abgeschnitten ist und bereits mit 240 Milliarden Euro gestützt wird, ist das alleine nicht zu stemmen. Weil das zweite Hilfspaket Ende Juni ausläuft, ist außerdem unklar, wie es danach weitergehen soll.

Noch wurschtelt sich die Regierung finanziell durch, etwa durch beherzte Griffe in die Sozialkassen. Doch sollte das Geld ausgehen, bevor eine Einigung mit den Geldgebern erreicht ist, droht ein düsteres Szenario: Die Ratingagenturen würden die griechischen Staatspapiere auf den Status „Default“ (Verzug) setzen. Damit wären sie praktisch wertlos. In der Folge würden die Bilanzen der griechischen Banken kollabieren. Weil sie nicht mehr liquide wären und auch keine Sicherheiten mehr hinterlegen könnten, könnten sie sich auch bei der griechischen Notenbank keine Nothilfen (ELA) mehr besorgen, die bisher vom EZB-Rat genehmigt werden. Am Ende „käme schlicht kein Geld mehr aus dem Bankautomaten“, brachte es jüngst der Chef des Rates der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, auf den Punkt. Die Folgen wären enorm, Griechenland drohe die „humanitäre Katastrophe“.

Damit die Banken nicht gestürmt und die restlichen Euro ins Ausland gebracht würden, müsste die griechische Regierung Kapitalverkehrskontrollen erlassen und etwa Obergrenzen für Überweisungen anordnen. Um den Geld- und Wirtschaftskreislauf irgendwie in Gang zu halten, könnte sie außerdem gezwungen sein, Schuldscheine auszugeben, mit denen Unternehmen und Privatleute untereinander Rechnungen begleichen könnten. Das wäre dann faktisch eine zweite Währung und der erste Schritt aus dem Euro.

„Griechenland würde ein paar Quartale lang durch eine ökonomische Chaos-Phase gehen, das ist aus meiner Sicht unvermeidbar“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Was genau heißt das? „Griechenland würde verarmen“, warnt er.

Jeder Versuch, die Folgen eines Zahlungsausfalls zu begrenzen, müsste bei den griechischen Banken ansetzen, sagen die Ökonomen. Dreh- und Angelpunkt wäre dabei die EZB, die die Geldschleusen irgendwie offen halten müsste. Außerdem bräuchten die Geldinstitute frisches Kapital, um zahlungsfähig zu bleiben. Aber woher sollte dieses kommen? Die griechische Regierung wäre pleite - und die Euro-Partner zahlen nur gegen Reformauflagen.


Langfristige Kosten wären enorm

Volkswirte wie der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnen vor der Illusion eines gesteuerten „Grexit“: „Das lässt sich nicht kontrollieren.“ Auch der Chefvolkswirt der KfW-Bankengruppe, Jörg Zeuner, sieht so gut wie keine Chance, dem Chaos zu entgehen, wenn die Reformverhandlungen scheitern: „Das ist jenseits meines Optimismus.“ Die Vorstellung der Griechen, man könne eine kontrollierte Staatspleite organisieren, sei „sehr gefährlich“.

Allerdings stehen wohl mittlerweile die Chancen besser, dass eine Staatspleite in Athen keine verheerenden Dominoeffekte im Rest der Euro-Zone auslösen würde. So gibt es Indizien, dass anders als 2012 die Risikoaufschläge von Staatsanleihen anderer Euro-Sorgenländer wie Spanien, Portugal, Zypern und Irland, die selber Reformprogramme erfolgreich durchlaufen haben oder noch durchlaufen, nicht sofort nach oben schießen würden. Dafür spricht, dass der Euro-Stabilisierungsfonds ESM bereitsteht.

Außerdem sind dank der milliardenschweren Anleihekäufe der EZB die Anleihen der Wackelkandidaten bisher nicht in den Sog der Griechenland-Krise geraten. Die Risikoaufschläge zehnjähriger italienischer, spanischer und portugiesischer Papiere gingen sogar in den vergangenen Monaten kontinuierlich zurück und erreichten im März jeweils Rekordtiefs zwischen einem und 1,5 Prozent. Im Sommer 2012 hatten die Renditen noch bei sechs bis elf Prozent gelegen.

„Ich glaube nicht, dass eine Staatspleite und ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion den Rest des Euro-Raums destabilisieren würde“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer. Er sei überzeugt davon, dass die EZB klar machen würde, dass sie mit Liquiditätshilfen für andere Euro-Länder bereitstehe. „Es gibt keine Ansteckung“, ist auch Schäuble überzeugt. Ganz anders sieht das freilich EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovici: „Es würde die Frage aufkommen, wer der nächste ist.“

Auch der Chef einer großen deutschen Bank warnt, was genau an den Börsen passieren würde, sei schwer einzuschätzen: „Es heißt ja immer, die Kapitalmärkte seien rational – das ist Schwachsinn. Mittelfristig sind Kapitalmärkte vielleicht rational, aber kurzfristig neigen sie zu Panikreaktionen. Dann laufen alle Investoren wie Lemminge in die gleiche Richtung.“

Griechische Papiere werfen die Anleger jedenfalls in hohem Bogen aus den Depots. Die Rendite der zehnjährigen Bonds stieg diese Woche zeitweise auf über 13 Prozent. Sie lag damit zwar noch weit unter den 42 Prozent vom Frühjahr 2012. Eine Rückkehr an den Kapitalmarkt ist damit aber ausgeschlossen.

Mittel- und langfristig wären die wirtschaftlichen und politischen Kosten eines „Grexit“ jedenfalls mit Sicherheit enorm. Den finanziellen Folgen einer rapiden Verarmung des EU-Landes Griechenland könnte sich der Rest der EU nicht entziehen. Das Land müsste massive Hilfen aus EU-Töpfen bekommen. Hinzu kommt die Belastung der Geldgeber. So hat die Bundesregierung für Kredite von über 50 Milliarden Euro gebürgt: bilateral über die KfW und über den Euro-Rettungsschirm EFSF. Einen Großteil davon müsste sie bei einer Pleite in Athen wohl abschreiben. Ein drittes Hilfsprogramm von 30 bis 40 Milliarden Euro käme jedenfalls deutlich billiger, sagt DIW-Präsident Fratzscher.

Mit einem „Grexit“ wäre das griechische Problem außerdem nicht gelöst. Wie würde sich das Land in Zukunft finanzieren? Denkbar wäre zunächst eine Umschuldung über den „Pariser Club“ – ein informelles Gremium, in dem staatliche Gläubiger zu Verhandlungen über Schuldenerlasse zusammenkommen. Eine Schlüsselrolle dabei hätte allerdings der IWF, denn Hilfe wird auch im Pariser Club nur gewährt, wenn IWF-Programme erfolgreich umgesetzt werden. Das aber bedeutet Reformen – Griechenland wäre also keinen Schritt weiter als heute, aber um einiges ärmer.

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