Griechenland Schuldenerleichterungen könnten bis zu 123 Milliarden kosten

In einem neuen Papier rechnet das Bundesfinanzministerium vor, wie teuer Schuldenerleichterungen für Athen sind. Premier Tspiras will sie bald, Schäuble bremst. Das Thema könnte die Euro-Staaten bald wieder einholen.

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Die Griechen dringen auf eine baldige Schuldenerleichterung. Quelle: Reuters

Berlin/Athen Die Griechenland-Rettung könnte für die europäischen Steuerzahler teuer werden. Bis Mitte des Jahrhunderts können sich die Kosten je nach wirtschaftlicher Entwicklung und Ausgestaltung von Schuldenerleichterungen auf bis zu 123 Milliarden Euro belaufen. Dies geht aus einem neuen Papier des Bundesfinanzministeriums hervor, das dem Handelsblatt vorliegt. 

Den Betrag hatten die Beamten von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bereits im März in einem Papier errechnet, über das damals diese Zeitung berichtet hatte. In dem neuen Schreiben an dem Bundestag legen die Finanzexperten von Schäuble ihre Rechnung ausführlich dar. Die 123 Milliarden werden fällig, wenn Griechenlands Wirtschaft mittelfristig nur um ein Prozent wächst, die Regierung nur einen Haushaltsüberschuss von Zinsen von 1,5 Prozent schafft, die aktuellen Hilfskredite um 17,5 Jahre verlängert und Zinszahlungen und Tilgung bis zum Jahr 2048 ausgesetzt würden.

Zwischen 84 und 89 Milliarden Euro müssten die Geberländer aufbringen, wenn das mittelfristige Wachstum 1,3 Prozent und der Haushaltsüberschuss durchschnittlich 1,8 Prozent beträgt, die Laufzeiten der Rettungskredite bis zu 15 Jahre verlängert und die Zinsen auf diese Kredite bei einem Prozent gedeckelt würden. Gut ein Viertel der Kosten entfielen jeweils in beiden Szenarien auf Deutschland. „Bei einer solchen Zinsstundung würde es sich faktisch um einen neuen Kredit handeln“, schreiben Schäubles Beamte in ihrem Papier und deuten damit an, dass die Schuldenmaßnahmen vom Bundestag abgesegnet werden müssten. Würde Griechenland dagegen mittelfristig ein Wachstum von 1,3 Prozent und einen Haushaltsüberschuss vor Zinszahlungen von 2,6 Prozent schaffen, „wäre die Schuldentragfähigkeit ohne weitere Maßnahmen gegeben“, heißt es. Mit anderen Worten: Es wären keine weiteren Schuldenerleichterungen nötig.

Wie stark die griechische Wirtschaft auf lange Sicht wächst, darüber streitet sich Schäuble derzeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Während die europäischen Gläubiger Griechenlands mit dem positiven Szenario kalkulieren, rechnet der IWF damit, dass die griechische Wirtschaft sich auf lange Sicht mit ein Prozent Wachstum begnügen muss. Schäuble hatte diese Woche die Haltung des IWF kritisiert. Die pessimistischen Annahmen seien „übrigens die Erklärung, dass alle Hilfsprogramme vergeblich waren“, sagte er sarkastisch. „Mit ein Prozent Wachstum dürfte Griechenland niemals das Gap zu den anderen Mitgliedsländern der Euro-Zone schließen können“, fügte er hinzu.

Allerdings hatte Schäuble viele Jahre den Annahmen des IWF vertraut. Seine neue Haltung lässt sich dadurch erklären, dass er Entscheidungen über mögliche Schuldenerleichterungen für Griechenland vor der Bundestagswahl im September unbedingt vermeiden will. Deshalb versucht das Bundesfinanzministerium in seinen Berechnungen, die Finanzlücke Griechenlands möglichst klein zu halten.

Auch mit seinen jüngsten Äußerungen hat sich Schäuble keine neuen Freunde in Athen gemacht. Der Bundesfinanzminister hatte Tsipras am Donnerstag vorgeworfen, er habe sein Versprechen gebrochen, die Reeder stärker zu besteuern, besetze Schlüsselposten in der Privatisierungsbehörde mit linientreuen Parteifreunden und belaste mit seiner Sparpolitik übermäßig die sozial Schwachen. In griechischen Regierungskreisen hieß es dazu am Freitag, Schäubles Verantwortung zur griechischen Krise sei „historisch erfasst“. Es mache keinen Sinn, wenn Schäuble nun versuche, „die Schuld anderen zuzuschieben“.

Tsipras macht Druck

Der griechische Premierminister Alexis Tsipras erwägt, das Thema aus der Runde der Euro-Finanzminister herauszulösen und zur Chefsache zu machen. Wenn Griechenland auch beim nächsten Treffen der Euro-Finanzminister am 15. Juni in der Schuldenfrage nicht mit neuen Zugeständnissen der Gläubiger rechnen könne, werde Tsipras mit dem Thema in den EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 22. Juni gehen, hieß es am Freitag in der Umgebung des griechischen Ministerpräsidenten.

Beim vorangegangenen Treffen der Finanzminister am 22. Mai hatte sich Griechenland mit seiner Forderung nach detaillierten Zusagen zu Schuldenerleichterungen nicht durchsetzen können. Athens Finanzminister Euklid Tsakalotos verlangt einen detaillierten Fahrplan zur Senkung der Schuldenlast, um die Kreditwürdigkeit seines Landes aufzubessern und den Weg für eine Rückkehr an den Kapitalmarkt noch in diesem Sommer zu ebnen. Unterstützung erhält er dabei vom IWF. Ohne Schuldenerleichterungen werde Griechenland nicht die Kurve kriegen, glaubt auch der Fonds.

Für Tsipras geht es im Schuldenstreit um seine politische Glaubwürdigkeit. Er hatte den Regierungsabgeordneten die Verabschiedung des jüngsten Sparpakets damit schmackhaft gemacht, die Gläubiger würden Griechenland im Gegenzug Schuldenerleichterungen zusagen. Tsipras telefonierte diese Woche deshalb mit Kanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, um für seine Position zu werben.

In einer Rede bei der Jahresversammlung des griechischen Industrieverbandes appellierte der Premier: „Wir brauchen eine saubere Lösung für die griechischen Schulden.“ Griechenland habe „alle seine Verpflichtungen erfüllt“. Nun müssten auch die Geldgeber ihre Versprechen einhalten und dem Land Schuldenerleichterungen zusagen. Man dürfe „das Schuldenproblem, das die Griechenland-Programme vom ersten Tag an begleitet, nicht ein weiteres Mal in die Zukunft aufschieben“.

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