Großbritannien und die EU Bank of England warnt vor Brexit

Der Chef der Bank of England warnt vor einer möglichen Rezession durch einen EU-Austritt Großbritanniens. Mit seiner Warnung handelt sich der Notenbanker massive Kritik der britischen Europa-Skeptiker ein.

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Der englische Notenbankchef erwartet „eine erhebliche Verlangsamung des Wachstums.“ Quelle: Imago

London Er windet sich und versucht der Frage auszuweichen. Ob er denn das Abrutschen Großbritanniens in einer Rezession ausschließen könne, wenn das Land sich aus der Europäischen Union verabschiede, will ein Journalist von Mark Carney am Donnerstag wissen. Doch der Chef der Bank of England will das R-Wort nicht in den Mund nehmen und versucht es mit dieser Antwort: Die Abstimmung über die künftigen Beziehungen zu EU sei das größte Risiko für die Prognosen der Notenbank. „Und wir erwarten eine erhebliche Verlangsamung des Wachstums.“

Erst bei einer weiteren Nachfrage fällt das Wort, das Carney zunächst zu vermeiden versucht: Ja, zu den Risiken, die mit einem EU-Austritt des Landes verbunden seien, gehöre „möglicherweise eine technische Rezession“, dass die Wirtschaftsleistung zwei Quartale in Folge schrumpfe, räumte der Notenbankchef ein.

Mark Carney hat sich bereits im vergangenen Jahr für Europa ausgesprochen und die Vorteile der EU-Zugehörigkeit für Großbritannien betont – etwa eine stärkere Dynamik der Wirtschaft. Zwischen den Zeilen steckte bereits die Warnung vor den massiven Risiken, die ein Austritt aus der Staatengemeinschaft, der so genannte Brexit, mit sich bringen könnte. Diese Warnungen hat er nach und nach gesteigert und am Donnerstag bei der Vorstellungen des vierteljährlichen Inflationsberichts der Notenbank so deutlich wie nie zuvor die möglichen Konsequenzen beschrieben.

Die Briten stimmen am 23. Juni darüber ab, ob sie weiterhin in der EU bleiben oder austreten wollen. Die britische Währung reagiert bereits seit einigen Monaten auf die Unsicherheit, die das Referendum ausgelöst hat, und ist zwischenzeitlich gegenüber dem Dollar und dem Euro deutlich gefallen.

Der Einbruch könnte bei einem Brexit noch dramatischer ausfallen, sagt die Bank of England voraus. Der EU-Austritt könnte zudem Jobs kosten und zu Preissteigerungen führen. „Haushalte könnten ihre Konsumausgaben zurückstellen und Firmen ihre Investitionen hinausschieben, das würde die Arbeitsnachfrage senken und die Arbeitslosigkeit steigen lassen.” Auch die Inflation könnte zulegen. All das werde die Notenbank möglicherweise in eine schwierige Situation bringen. Denn man müsse dann einerseits die Preise stabilisieren und andererseits die Beschäftigung.

Carney nannte den Brexit den „Elefanten im Raum“, also das größte Problem, das eigentlich keiner sehen möchte. Vor einigen Wochen hat er dies bereits als das „größte heimische Risiko für die Finanzmarktstabilität“ des Landes bezeichnet.


Ruf der Notenbank beschädigt?

Mit seinen Warnungen in Sachen Brexit hat sich Carney massive Kritik der britischen Europa-Skeptiker eingehandelt. Sie werfen ihm vor, den Ruf der Notenbank zu beschädigen, sich zu sehr in politische Debatten einzumischen und von Premier David Cameron und Finanzminister George Osborne instrumentalisieren zu lassen. Cameron und Osborne kämpfen für den Status quo und wollen einen Brexit verhindern.

Jetzt haben die EU-Gegner noch einmal nachgelegt: Carney sollte vorsichtig mit seinen Worten umgehen, damit er keine Krise auslöse und das Ganze nicht in einer selbsterfüllenden Prophezeiung ende, sagte ein Sprecher der Organisation „Vote Leave“. Ein umsichtiger Notenbankchef würde einfach nur sagen, man sei auf alles vorbereitet.

Carney hat sich auch am Donnerstag gegen diese Vorwürfe verteidigt: „Es ist Teil unser Verantwortung, solche Risiken, die von dem Referendum ausgehen, zu analysieren.“ Das sei im Aufgabenbereich der Notenbank und keinesfalls eine Überschreitung. Es gehöre auch dazu, die möglichen Folgen in der Öffentlichkeit zu beschreiben und so transparent wie möglich zu machen.

Fast 200 Ökonomen haben sich am Donnerstag ähnlich wie die Bank of England gegen einen Brexit ausgesprochen. In einem Brief an die britische Tageszeitung „The Times“ warnten sie vor den kurz- und den langfristigen Kosten eines solchen Schritte. Die Unsicherheit in der Zeit, in der sich Großbritannien mit der EU und dem Rest der Welt auf neue Handelsverträge einigen müsse, würde viele Jahre lang auf dem Land lasten.

Eine kleinere Gruppe von insgesamt acht Ökonomen, die sich für den Austritt engagiert, wirft dem anderen Lager „Angst vor einem Wandel“ vor. Brexit sei eine große Veränderung, die bestehende Beziehungen zerstöre, sagte Patrick Minford von der Cardiff University Anfang dieser Woche, der zu den acht EU-skeptischen Wirtschaftswissenschaftlern gehört. Es sei daher „keine Überraschung, dass das britische und internationale Establishment und die ihnen dienenden Ökonomen“ diese Veränderungen ablehnten.

Die Bank of England hat am Donnerstag ebenfalls ihre Prognose für das britische Wirtschaftswachstum nach unten korrigiert, obwohl dies darauf basiert, dass das Land Teil der EU bleibt. Demnach erwartet die Notenbank in diesem Jahr ein Plus von zwei Prozent und nicht mehr von 2,2 Prozent. 2017 und 2018 werde die Wirtschaft um jeweils 2,3 Prozent zulegen. Anfang dieses Jahres hatte die Bank of England etwas mehr vorhergesagt.

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