Großer Umbau in Saudi-Arabien Wenn Reformen das Öl ersetzen

Privatisierungen, neue Steuern und ein Billionen-Staatsfonds – das Königreich Saudi-Arabien meint es ernst mit seinem radikalen Umbau. Bei der „Vision 2030“ gibt es auch Chancen für Deutschland. Eine Analyse.

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Saudi-Arabien will nicht mehr vom Öl abhängig sein. Quelle: dpa

„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, hatte der Weltökonom und einstige Bundeskanzler Helmut Schmidt zwar einst rezeptfrei empfohlen, doch im Königreich schlagen die Visionen offenbar gut an. Denn die Börse applaudierte sofort. Kaum hatte Kronprinz Mohammed bin Salman seine „Vision 2030“ für Saudi-Arabien in einem Interview mit dem TV-Kanal „Al Arabiya“ vorgestellt, stieg der Tadawul-Index der führenden saudischen Wertpapiere um 2,5 Prozent.

Dabei wurden an der Börse von Riad am Montag so viele Aktien wie zuletzt vor vier Jahren gehandelt. Kein Wunder: Beim gigantischen Umbauplan des Königsreichs geht es auch um den größten Börsengang in der Menschheitsgeschichte. Fünf Prozent der Anteile von Saudi Aramco, dem mit Abstand weltgrößten Ölförderer, soll bis 2018 per IPO privatisiert werden.

Saudi Aramco, das mit gut zehn Millionen Barrel Rohöl (je 159 Liter) täglich etwa zehn Prozent der globalen Ölproduktion beisteuert, wird auf etwa zwei Billionen Dollar taxiert. Dabei gehe es nicht allein ums Geld, unterstrich Prinz Salman bei seinem TV-Auftritt. Vielmehr solle Saudi Aramco zu einer gigantischen Industrieholding umstrukturiert werden, zum Vorreiter für Transparenz in der neuen saudischen Wirtschaftswelt werden und die Verkaufserlöse zum Teil des weltweit größten Staatsfonds werden.

Insgesamt zwei Billionen Dollar sollen durch die Aramco-Aktienverkäufe, die 600 Milliarden Dollar Währungsreserven und weitere Privatisierungen bisher staatlicher Firmen und Immobilien in Riads neuen „Public Investment Fonds“ spülen. Microsoft und Google/Alphabet sind zusammen „nur“ 1,4 Billionen Dollar wert. Auch Gesundheitsfirmen, die nationale Fluggesellschaft, Telekom- und andere Staats-Unternehmen sollen ebenfalls veräußert werden.

Ziel des Umbauplans ist es, Saudi-Arabien fit für die Zeit nach dem Öl zu machen. Schon bis 2020 solle sein Land unabhängig vom Ölpreis werden, versprach der Königssohn. Saudi-Arabien solle zu einem Global Player und zu einer durch Investments getriebenen Wirtschaft gemacht werden, sagte Prinz Mohammed.

Saudi-Arabien ist der einzige arabische Golfstaat, der mit 30 Millionen Bürgern eine große Bevölkerung versorgen muss. Um im „Arabischen Frühling“ vor gut fünf Jahren die saudischen Königskinder ruhig zu stellen, hatte der Monarch Lohnerhöhungen, Einstellungen in den öffentlichen Dienst und Investitionsprogramme wie den Bau von gleich reihenweise neuer Industriestädte in Auftrag gegeben – für einen dreistelliger Milliardenbetrag. Seit dem Zusammensacken des Ölpreises hat Riad nun erhebliche Finanzprobleme: 2015 klaffte ein Loch von 14,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts im Staatshaushalt. Und, so die Analysten der Ratingagentur Fitch, dies werde sich in diesem Jahr kaum ändern.

Nun steuert Prinz Mohammed massiv gegen. Der Umbau der saudischen Wirtschaft solle das Land in die Post-Öl-Ära katapultieren. Statt bisher 16 Prozent sollen 2030 dann 50 Prozent der Exporte aus dem Nicht-Ölsektor kommen. Die Privatwirtschaft werde massiv gestärkt, die Korruption eliminiert, die Bürokratie werde abgebaut und Beamte müssten künftig klare Performance-Kritierien erfüllen.


Die Zukunft heißt Bildung, Solarenergie, Mehrwertsteuer

Zudem kündigte der Vizekronprinz in seinem von der Unternehmensberatung McKinsey inspirierten „Vision 2030“ zwei weitere grundlegende Kehrtwenden an: Eine Bildungsoffensive solle das Königreich in eine Wissensgesellschaft umwandeln. Und statt Öl stehe nun Solarenergie ganz oben.

Ein Viertel des Energiebedarfs solle schon 2020 aus Solarstrom gedeckt werden. Bisher verbrennt der größte Ölexporteur der Welt ein Viertel seiner Förderung zur Stromgewinnung und zur Wasserentsalzung in heimischen Dieselkraftwerken. 109 Milliarden Dollar will Riad in diese Solarwende stecken, eigene Solarzellenfabriken aufbauen und dafür auch intensiv mit deutschen Firmen kooperieren.

Kommen soll das Geld nicht nur aus Privatisierungserlösen und dem Einsparen der bisher gigantischen staatlichen Subventionen für Benzin, Strom und Wasser für die Bevölkerung. Vielmehr führt Saudi-Arabien nun erstmals eine Mehrwertsteuer in Höhe von fünf Prozent sowie Abgaben auf Luxusgüter und gesundheitsbedenkliche Produkte wie Softdrinks ein. 100 Milliarden Dollar sollen so bis 2020 unabhängig von den Öleinnahmen in Riads Kassen kommen.

Das ist dringend nötig. Denn das Wirtschaftswachstum – 2015 noch 3,4 Prozent – dürfte sich dieses Jahr auf 1,5 Prozent verlangsamen. Und die Staatseinnahmen sind gefährlich geschrumpft: Zwar produziert Saudi Aramco, der weltgrößte Ölförderer, nach Angaben eines hochrangigen saudischen Offiziellen, „auch bei einem Ölpreis von zehn Dollar profitabel“. Für einen ausgeglichenen Haushalt benötigt Riad allerdings Einnahmen von ungefähr 96 Dollar pro Fass Rohöl (159 Liter). Momentan liegt er nur noch bei gut 40 Dollar.

Die Öleinnahmen machen laut der Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) 2015 nur noch 28 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, im Jahr zuvor waren es noch 42 Prozent. S&P bewertet die Lage Saudi-Arabiens zwar etwas positiver als Konkurrent Fitch, sieht aber „genauso Risiken wie Chancen“: Wachstumspotenzial durch Reformen, aber auch eine Verschärfung der Haushaltslage oder noch mehr regionale politische Instabilität.

IWF-Direktor Ahmed Masood nannte Saudi-Arabiens „Vision 2030“ „ambitioniert und wettbewerbsfähig“. Im Vordergrund der Pläne stehen nicht gewaltige Ausgabenprogramme, sondern die Umstrukturierung der saudischen Ökonomie. Der Prinz betonte, der Anteil der Nicht-Ölexporte solle von derzeit 16 auf 50 Prozent steigen. Auch der Aufbau neuer Industriezweige sei geplant.

Ob diese aber alle sinnvoll sind, darf hinterfragt werden. Denn aufhorchen ließ Prinz Mohammeds Frage in dem „Al Arabiya“-Interview am Montag: „Wie kann es sein, dass wir weltweit die drittgrößten Waffenkäufe tätigen, aber keine eigene Rüstungsindustrie haben?“ Und nicht nur der Aufbau weiterer Waffenfabriken könnte ökonomisch zweifelhaft sein, auch der Plan, die Autokomponentenfertigung wegen der guten Rohstoffbasis verstärkt in der saudischen Wüste anzusiedeln, könnte auf Sand gebaut sein.

Prinz Mohammed aber sieht keine Probleme, erst recht treiben ihn keine Finanzsorgen um: Erst drei bis fünf Prozent der saudischen Ressourcen seien bisher überhaupt erschlossen worden, sagte der Vizekronprinz.

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