Grubenunglück in Donezk Kumpel zwischen den Fronten

Mindestens zehn Bergleute sind bei einer Gasxplosion in Donezk gestorben. In dem Kohlenrevier kommt es immer wieder zu tödlichen Unfällen. Dies verschärft die Lage im Kriegsgebiet zusätzlich.

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Nach einer Explosion werden in dem Bergwerk noch Dutzende Arbeiter vermisst. Quelle: Reuters

Donezk Eine mächtige Explosion erschüttert die Kohlegrube Sassjadko in der Ukraine, rund 200 Bergleute fliehen aus dem Schacht, Dutzende sitzen aber zunächst fest - einen Kilometer unter der Erde. Von „mindestens 32 Toten“ spricht Parlamentspräsident Wladimir Groisman in der rund 700 Kilometer entfernten Hauptstadt Kiew – und er bittet die sichtlich schockierten Abgeordneten, sich zu einer Schweigeminute zu erheben. Schnell muss sich Groisman heftige Kritik gefallen lassen, er habe ohne seriöse Informationen völlig vorzeitig von Opfern gesprochen. Erst dann korrigiert sich der Politiker – und spricht von mindestens einem Toten und „32 Vermissten“.

Am Nachmittag teilte die Gebietsverwaltung von Donezk dann mit, bei dem Unglück habe es mindestens zehn Tote gegeben.

Die völlig veralteten Bergwerke im Donez-Becken, einem der größten Kohlereviere der Welt und das Herz der Energieversorgung des Landes, gelten als Todesfallen. Unglücke gehören fast zum Alltag, immer wieder sterben Arbeiten bei Unfällen. Jedes Jahr werden Dutzende erschlagene, verbrannte oder vergiftete Bergleute aus den Stollen geholt. Die ukrainische Kohlenindustrie steckt seit Jahren in einer Krise. Direktoren gelten als korrupt, auch Leichtsinn der Bergleute führt zu Katastrophen. Der Staat scheut die seit langem überfälligen Schließungen, weil es in der Region Donbass kaum andere Stellen für Bergleute gibt. Allein Sassjadko beschäftigt rund 15.000 Arbeiter.

Die Unglücksmine in der Bergbaustadt Donezk ist berüchtigt für eine hohe Methan-Konzentration in den Flözen. Im Mai 1999 waren dort fast 50 Bergleute bei einer Explosion gestorben. Hinzu kommen aktuelle politische Verwerfungen: Sassjadko liegt wie die meisten Bergwerke der Ex-Sowjetrepublik in dem von Separatisten kontrollierten Gebiet. Seit fast einem Jahr tobt in der Ostukraine ein Kampf zwischen Armee und prorussischen Aufständischen, der schon mehr als 6000 Menschen das Leben kostete.


Zahlreiche Gruben liegen im Kriegsgebiet

Zwischen die Fronten sind längst auch die Bergleute geraten. Die von der prowestlichen Regierung in Kiew zum Unglücksort entsandten Rettungskräfte werden von den Separatisten nach eigenen Angaben nicht durchgelassen. Wütend fordert Regierungschef Arseni Jazenjuk die Führung in Moskau auf, Einfluss auszuüben auf die Aufständischen. „Geben Sie dem Abschaum die Anweisung, die Rettungsbrigaden durchzulassen, um die Kumpel zu retten“, sagt er. Auch Präsident Petro Poroschenko verlangt, Retter zum Unglücksort durchzulassen.

Der Chef der Unabhängigen Bergarbeitergewerkschaft, Michail Wolynez, bezweifelt aber die Handlungsfähigkeit des staatlichen ukrainischen Rettungsdienstes. „Ist ein Notdienst ohne Finanzierung und ohne Ausrüstung überhaupt in der Lage, rechtzeitig zur Beseitigung einer Havarie einzutreffen?“ Seit August wartet der Rettungsdienst auf Auszahlung seiner Löhne. An Geld fehlt es in der krisengeschüttelten Ukraine, die vor dem Staatsbankrott steht, an allen Ecken und Enden. Eine Mitarbeiterin der Grubenverwaltung sagt aber der Nachrichtenagentur dpa, eigene Rettungskräfte seien im Einsatz.

Der unabhängigen Gewerkschaft zufolge sind in den umkämpften Gebieten 46 legale Kohleschächte in Betrieb – hinzu kommen ungezählte illegale Gruben. Artilleriebeschuss beschädigte den Sassjadko-Schacht schon mehrfach. Doch Unglücke wie jetzt sind auch ohne Kämpfe jederzeit möglich. Schon lange beklagen Bergarbeiter, dass ihnen die Zentralregierung keine Perspektive biete. Energieminister Wladimir Demtschischin kündigte jetzt die Schließung von zwölf der 35 staatlichen Kohleminen in dem von Kiew kontrollierten Gebiet in diesem Jahr an.

Insgesamt sollen 47 Schächte dicht machen. „Wir brauchen in den nächsten zwei, drei Jahren nur 25.000 Bergleute“, sagt Demtschischin. Das würde die Entlassung von 27.000 Beschäftigten bedeuten. Was mit ihnen danach geschehen soll – darüber schweigt die Regierung.

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