Guantánamo vor ungewisser Zukunft Amerikas Schandfleck in der Karibik

Trotz all seiner Versprechen: Barack Obama wird Guantánamo nicht mehr schließen. Wie es unter Trump mit den Gefangenen weitergeht, ist unklar. Sicher ist nur: So schnell wird das Gefangenenlager nicht verschwinden.

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In orangefarbene Overalls gekleidete Häftlinge knien im Camp X-Ray auf dem US-Marinestützpunkt Guantanamo Bay auf Kuba (Archivfoto). Quelle: dpa

Guantanamo Bay Der Gefangene reckt den Journalisten ein handgemaltes Schild entgegen. Darauf zu sehen: ein weißes Fragezeichen vor blauem Hintergrund, der Punkt hat die Form eines Vorhängeschlosses. Der Häftling hat gute Gründe für die Unsicherheit, denn er sitzt im US-Internierungslager Guantánamo im Süden von Kuba. Für ihn und seine Zellengenossen kommt es nun auf den künftigen Präsidenten Donald Trump an und der hat angekündigt, Guantánamo nicht zu schließen und vielleicht „mit bösen Typen“ zu füllen.

„Zu diesem Zeitpunkt unterstützen wir die Bemühungen unseres Präsidenten, die Haftanstalt zu schließen“, sagt ein Sprecher der Einrichtung, Marinekapitän John Filostrat. Und noch ist Barack Obama Präsident. Der hatte bei seiner Amtsübernahme versprochen, er werde Guantánamo schließen. Doch die Amtszeit seiner Regierung läuft schon im Januar ab, daher wird es dazu wohl nicht mehr kommen.

Militärische Vertreter auf dem Stützpunkt erklären, die Einrichtung könne auch weiter betrieben und sogar erweitert werden, wenn der neue Präsident dies wünsche. „Wir sind bereit, den Arrestbetrieb auf dieselbe professionelle Art fortzuführen wie bisher“, sagte Konteradmiral Peter Clarke kürzlich vor Journalisten, die Guantánamo besuchen konnten.

Die USA eröffneten das Gefangenenlager nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Dort wurden Häftlinge mit tatsächlichen oder mutmaßlichen Verbindungen zur Al-Kaida oder den Taliban untergebracht. Die meisten von ihnen wurden nie offiziell angeklagt. Die unbegrenzte Haft und Misshandlungen von Gefangenen vor einigen Jahren lösten weltweit Kritik aus. Obama sprach erst kürzlich wieder von einem „Schandfleck auf unserer nationalen Ehre“.

Derzeit sind noch 59 Menschen in dem Lager inhaftiert. Bei Obamas Amtsantritt waren es 242, auf dem Höhepunkt im Juli 2003 sogar 680. Von den Verbliebenen sind 22 von der US-Regierung zur Haftentlassung freigegeben, einige sollen sogar noch vor dem Ende von Obamas Präsidentschaft ausgeflogen werden. In die USA dürfen sie auf keinen Fall gebracht werden, auch nicht für einen Prozess, so hat es der Kongress angeordnet.

Die Häftlinge sind derzeit in zwei Bereichen untergebracht. Rund 300 US-Soldaten, die kürzlich den Stützpunkt verließen, wurden nicht ersetzt. Große Teile der Anlage stehen nun leer.

Gleichzeitig gibt es Anzeichen dafür, dass das Gefangenenlager so schnell nicht verschwinden wird. Das Militär lässt derzeit für 8,4 Millionen Dollar eine Klinik in einem leer stehenden Bereich errichten, damit die Häftlinge künftig für die medizinische Versorgung nicht mehr transportiert werden müssen. Für 12,1 Millionen entstehen neue Speiseräume für die Soldaten, weitere Mittel für eine Verbesserung der Unterbringung sind beantragt.


„Eine Beleidigung für die amerikanischen Werte“

Sieben Gefangenen werden Kriegsverbrechen vorgeworfen. Ihre Verfahren kommen seit Jahren nicht voran, nicht einmal Prozesstermine stehen fest. 15 Häftlinge, unter anderem solche mit direkten Verbindungen zu den Terroranschlägen, werden im sogenannten Camp 7 festgehalten, einem Hochsicherheitsbereich, der für Journalisten nicht zugänglich ist. Sogar seine genaue Lage auf dem Gelände ist geheim.

Alle anderen Gefangenen befinden sich in Camp 6, einer Gemeinschaftseinrichtung. Die Männer können sich 22 Stunden pro Tag frei bewegen, gemeinsam essen und beten, Filme anschauen, Fußballspielen und Kunst- oder Sprachunterricht besuchen. Auch Satellitenfernsehen gibt es, über das die Häftlinge auch die US-Präsidentenwahl verfolgt haben, wie Aufseher erklären.

Zu den Männern in Camp 6 gehört Chalid Kasim, der nach Angaben seiner Anwältin das Schild mit dem Fragezeichen hochhielt. Er soll 2015 mit Al-Kaida-Mitgliedern Ausbildungslager in Afghanistan besucht haben und daher nicht auf freien Fuß kommen. Angeklagt werden soll der 39-Jährige aus dem Jemen aber auch nicht.

„Mehr als 14 Jahre ohne Klage oder Prozess, das ist eine Beleidigung für amerikanische Werte“, sagt Anwältin Shelby Sullivan-Bennis von der Menschenrechtsorganisation Reprieve. Ihr Mandant wolle nur seine Familie wiedersehen und sich ein Leben aufbauen. „Obama muss ihm die Freiheit gewähren, bevor es zu spät ist.“

Wenn sie zu Besuch komme, frage Kasim immer wieder, warum er noch festgehalten werde und warum er keinen Prozess bekommen könne, sagt die Anwältin weiter. Er habe beschlossen, sein „kafkaeskes Schicksal“ über seine Kunst auszudrücken.

Konteradmiral Clarke weiß auch nicht, was mit Kasim und den anderen Häftlingen geschehen wird. „Die Gefangenen fragen, ob die Transfers gestoppt werden, wenn der neue Präsident am 20. Januar sein Amt antritt“, erklärt er. „Wir wissen es nicht. Sie wissen es nicht. Ihre Anwälte spekulieren vielleicht, aber niemand weiß es.“

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