Handel Kanada will durchsetzbare Arbeitnehmerrechte in Ceta

In Freihandelsverhandlungen stellt sich die EU gerne als der Partner dar, der soziale Rechte in den Verträgen verankert. Bei Ceta scheint es aber umgekehrt zu sein: Kanada will etwas für Arbeitnehmer tun, Brüssel bremst.

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Ceta-Gegner drängen die EU dazu, zumindest soziale Standards in dem Abkommen festzuhalten. Quelle: AP

Frankfurt/Brüssel Kanada drängt darauf, die im Handelsvertrag Ceta mit der EU proklamierten Arbeitnehmerrechte durchsetzbar zu machen. Das betonte Handelsminister Francois-Philippe Champagne in einem Antwortbrief an einen EU-Abgeordneten. In der EU ist man offenbar von der Idee nicht begeistert. Linke und Gewerkschaften spüren Oberwasser.

Der Minister schreibt, „Kanada hätte zugestimmt, durchsetzbare Arbeitsvorschriften in das Handels- und Arbeitskapitel von Ceta aufzunehmen“, aber das Ergebnis der Verhandlungen sei gewesen, dass man die Frage der Durchsetzbarkeit nochmals überprüfen und besprechen wolle, wenn Ceta in Kraft getreten ist. „Die kanadische Regierung ist bestrebt, so schnell wie möglich mit der EU und deren Mitgliedstaaten hierüber Gespräche aufzunehmen“, heißt es in dem Schreiben an Fabio De Masi (Die Linke).

De Masi hatte Champagnes Vorgängerin Chrystia Freeland brieflich gefragt, ob die Behauptung des deutschen DGB-Vorstandsmitglieds Stefan Körzell stimme, dass es die EU-Kommission sei, und nicht die Kanadier, die beim Thema Arbeitnehmerrechte bremse. Während Freelands Nachfolger Champagne in dieser Frage eine sehr deutliche Antwort gab, wich er einer zweiten Frage De Masis aus: Ob Kanada bereit gewesen sei, auf spezielle Gerichte für Investorenklagen gegen Staaten zu verzichten?

Der Ceta-Vertrag verpflichtet die Vertragsparteien zur Einhaltung von Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, darunter die Tarifautonomie und Diskriminierungsverbote. Das entsprechende Kapitel ist jedoch vom verbindlichen Ceta-Streitbeilegungsverfahren nach Kapitel 29 und von möglichen Spezialgerichten ausgenommen, wie die, an die sich Investoren wenden können.

Die EU-Kommission betonte auf Anfrage: „Die Vorschriften in Ceta zu Arbeit und Umwelt sind bereits bindend und durchsetzbar. Die Vorstellung, dass sie nur weiches Recht seien, ist nicht korrekt.“ Sie seien auch durchsetzbar, weil sie einem speziellen Streitbeilegungsverfahren unterliegen, „mit einer klaren, zwingenden und zeitlich festgelegten Prozedur“.

Andreas Fisahn, Professor für öffentliches Recht an der Uni Bielefeld, nennt das Wort „durchsetzen“ diesem Zusammenhang ein ausgesprochen starkes Wort. Denn tatsächlich sieht der Artikel im Streitfall zwischen den Regierungen nur unverbindliche Lösungsvorschläge eines Sachverständigengremiums und Konsultationen vor. Dagegen sieht das Verfahren nach Artikel 29 ein Schiedspanel vor, das ein für beide Seiten verbindliches Urteil fällt.

Die Kommission hält entgegen, dass alle interessierten Parteien beteiligt würden und die Stellungnahme des Expertengremiums öffentlich sei. „Das Ergebnis kann genutzt werden, um Druck auf die ‚verletzende‘ Partei auszuüben, dass sie Abhilfe schafft.“

Die Kommission stellt klar: „Dieses Verfahren reflektiert die gegenwärtige Position der EU in dieser Angelegenheit.“ Sie signalisiert aber Gesprächsbereitschaft: „Die Frage der effektiven Durchsetzung, einschließlich mit Handelssanktionen, wurde aufgebracht. Daher haben die EU und Kanada vereinbart, das entsprechende Kapitel früh zu überprüfen.“ Noch vor dem Sommer will die Kommission eine breite Debatte über die Effektivität der Arbeits- und Umweltvorschriften in den Freihandelsvereinbarungen der EU beginnen.

„Die EU Kommission verspricht, Ceta sei der neue Goldstandard für Arbeitnehmer- und Verbraucherschutz in Handelsabkommen“, kommentiert  der Abgeordnete De Masi die Forderung nach Härtung  aus Kanada. Brüssel gebe vor, hart verhandelt zu haben, aber entgegen der Darstellung der Kommission seien durchsetzbare Arbeitnehmerrechte in Ceta nicht vorgesehen. „Die Kommission wollte sie nicht“, kritisiert er.

Auch im auf Eis liegenden Entwurf des TTIP-Abkommens mit den USA sind Regeln enthalten, die es ausdrücklich verbieten, eigenen Unternehmen durch Absenkung oder Nichtdurchsetzung von Arbeitsstandards einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Verbindliche Durchsetzungsmechanismen gibt es im TTIP-Entwurf allerdings ebenso wenig.

Die frühere Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) und ihr Mann Wolfgang Däubler haben im Auftrag eines gewerkschaftsnahen Instituts untersucht, wie die Frage in Handelsverträgen behandelt wird. Das Gutachten von Oktober 2016 warnt vor zu hohen Erwartungen, wenn die Durchsetzbarkeit der Arbeitnehmerrechte darauf beruht, dass eine Schiedsstelle im Streit zwischen Regierungen verbindlich urteilen kann. Selbst dort, wo es verbindliche Streitbeilegungsverfahren dieser Art gibt, würden diese Mechanismen in Sachen Arbeitnehmerrechte von den Regierungen auch bei klaren Verletzungen kaum je bemüht werden.

Wichtiger sei bei Ceta aus Arbeitnehmersicht, dass zweifelsfrei und ausdrücklich in den Vertragstext aufgenommen wird, dass allgemeine Arbeits- und Sozialstandards, wie zum Beispiel eine Erhöhung des Mindestlohns oder Mitbestimmungsregeln, kein legitimer Grund für Investorenklagen sein können. Rechtsprofessor Fisahn plädiert darüber hinaus dafür, die Arbeitnehmerrechte auf eine ähnliche Ebene zu heben wie die Investorenrechte: „Tarifparteien müssen verbindliche Streitschlichtungsverfahren einleiten können, mit Strafen und Schadensersatz ähnlich wie bei den Investorengerichten.“

Das ist auch die Gewerkschaftslinie. DGB-Vorstand Körzell fordert nun: „Die EU-Vertreter müssen sich sofort mit der kanadischen Regierung zusammensetzen und die entsprechenden Regeln verbindlich und durchsetzbar ausgestalten. Ein unabhängiges Gremium muss die Einhaltung überwachen und Verstöße müssen echte Sanktionen nach sich ziehen.“ Unternehmen und Staaten müssten negative Konsequenzen spüren, wenn sie Arbeitnehmerrechte verletzten. Nur dann werde es ein Umdenken geben

Das lange heftig umstrittene Handelsabkommen kann zur Gänze erst in Kraft treten, wenn alle Regierungen und Parlamente der EU-Staaten es ratifiziert haben. Die Vertragsbestandteile, die in alleinige EU-Kompetenz fallen, werden im Rahmen der vorläufigen Anwendung in Kraft gesetzt. Das hätte eigentlich schon der Fall sein sollen, wurde aber auf Juli verschoben, weil die parlamentarische Beratung in Kanada noch nicht abgeschlossen ist.

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