Handelsblatt vor Ort Griechenland braucht neuen Mut

20 Handelsblatt-Redakteure sind nach Athen gereist, um sich ein eigenes Bild von der Lage in Griechenland zu machen. Die Menschen dort, so stellen sie fest, sind hoffnungslos. Das muss sich ändern.

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Ein Mann läuft an einer Büste des griechischen Tragikers Sophokles vorbei. Quelle: handelsblatt.com

Niemand lacht. Als wir nach einer Woche Griechenland die Fotos unserer vier Fotografen durchschauen, blicken wir auf kein einziges Bild eines optimistischen Gesichts. Das ist das vielleicht erschreckendste Ergebnis unserer bis zu 20 Journalisten starken Recherche-Gruppe, die für das Handelsblatt ein Spezial unter dem Titel „Griechenland ungeschminkt“ zusammenstellt.

Die griechische Krise, sie ist so vielfältig wie das Land mit seinen Bergen, den Küsten, Orthodoxen und Immigranten, verarmten Arbeitslosen und superreichen Reedern. Wir mussten unser Bild von der Krise, das wir aus Deutschland mitgebracht haben, vielfach korrigieren. Nur eben diesen einen Punkt nicht: Griechenland, die stolze Wiege Europas, ist tatsächlich so niedergeschlagen, fühlt sich so gedemütigt, so hoffnungslos, wie wir es befürchtet hatten.

Gerasimos, einer unserer griechischen Fotografen, sammelt schon seit einem Jahr seine Bilder von der Krise, Bilder von Menschen mit diesem Gesichtsausdruck, der anders ist als derjenige, die Menschen in anderen Krisengebieten haben. Denn ganz offensichtlich leidet das Land ja nicht an echtem Mangel, die Supermarktregale sind gefüllt, die Infrastruktur funktioniert – solange kein Streik ist. Die Krise ist hauptsächlich eine mentale, eine gefühlte Krise.

Bei vielen unserer Gesprächspartner löst sie Verbitterung aus. Griechenland, das sei doch nicht der böse Bube Europas, sagen sie. „Was wir hier erleben, das ereilt euch in einigen Monaten auch“, warnen sie uns. „Wir sind nicht die Ursache, wir sind das Symptom einer weltweiten Krankheit.“

Warum Europa jetzt solidarisch sein muss

Andere haben bereits resigniert. Menschen, die sich an der Suppenküche anstellen, weil es in Griechenland nach einem Jahr keine Sozialhilfe mehr gibt. Menschen, die an der Ungerechtigkeit der Staat-Bürokratie zerbrochen sind, die immer noch einige Menschen  fürstlich für bloße Anwesenheit im Büro bezahlt und viele andere eiskalt aus dem Staatsdienst entlässt.

Einige, meist junge Gesprächspartner, wollen einfach weg. In den Bars unterhalten sie sich über mögliche Ausreiseziele. Neuester Tipp: der Balkan. So weit ist es gekommen.

Nur wenige reagieren mit einem mutigen Trotz. Sie entdecken ihren Unternehmergeist, wollen gerade jetzt etwas schaffen, ein Start-up, eine Investition. Wenn die Banken sie nur ließen. Und die Bürokraten.

Es sind die Enttäuschungen, die dieses Land immer aufs Neue bereithält, die die Menschen deprimieren. Die dritte Steuererhöhung innerhalb weniger Monate – während der Nachbar weiter munter das Finanzamt betrügt. Die unteren Einkommensschichten zahlen teils ein Mehrfaches des Steuersatzes von vor der Krise, die Reichen oft nur ein paar Prozentpunkte mehr. Das zermürbt.

Ebenso die Vergeblichkeit. Ja, die Schulden Griechenlands werden um 50 Prozent beschnitten. Doch kaum einer glaubt, dass das reicht. Ja, die Regierung spart. Aber jederzeit drohen Neuwahlen: Danach könnten alle Sparpläne nichtig sein. Also warum heute mit dem Sparen anfangen? Warum heute ein Unternehmen gründen? Warum ein Studium beginnen?

All das versperrt den Blick auf die Chancen. Weil so viel im Argen liegt, könnte sich o vieles schnell bessern: die Investitionsbedingungen, das Steuersystem, die Bürokratie. Griechenland hat tüchtige Bauern, großartige Hotels, eine olympiataugliche Infrastruktur, Potenzial für erneuerbaren Strom. Doch ohne Mut geht das niemand an, macht niemand wirklich bei den Reformen mit, denkt niemand in neuen Bahnen.

Wir haben einen Schluss gezogen: Griechenland braucht Mut. Alleine aber fasst das Land diesen Mut nicht, da können wir lange warten. Den Menschen fehlt nach ihrem vergebens aussehenden Kampf gegen die Krise die Kraft. Sisyphos war nie ein glücklicher Mensch. Gerade deshalb muss Europa jetzt solidarisch sein – und großzügig. Auch wenn es uns schwerfällt. Die Griechen müssen endlich eine Chance bekommen. Nur dann können sie sich irgendwann selbst helfen.

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