Hitzestau in Spaniens Regierung Politische Dauersiesta in Spanien

Die Regierungsbildung in Spanien zieht sich hin, Ministerpräsident Rajoy ist nur geschäftsführend im Amt. Dies lähmt das Land: Dringend notwendige Reformen und Programme können nicht angegangen werden.

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Der Ministerpräsident ist seit über einem halben Jahr nur geschäftsführend im Amt. Er hat nur eingeschränkte Kompetenzen. Quelle: AP

Madrid Über Spaniens Hauptstadt Madrid liegt lähmende Hitze. August in der Drei-Millionen-Metropole, selbst nachts sinken die Temperaturen oft kaum unter 30 Grad. Die Menschen, die jetzt noch nicht an die Strände der Iberischen Halbinsel geflohen sind, bewegen sich langsam auf den breiten Alleen zwischen Prado und Plaza Mayor. Die Langsamkeit scheint derzeit das Motto Spaniens zu sein – denn auch die Spitzenpolitiker arbeiten träge.

Seit Ende vergangenen Jahres suchen sie nach einer neuen Regierung – vergeblich. Der von Korruptionsskandalen gebeutelte Ministerpräsident Mariano Rajoy ist seit mehr als sieben Monaten nur geschäftsführend im Amt, will heißen mit eingeschränkten Kompetenzen. Aber was bedeutet das konkret für die viertgrößte Volkswirtschaft der Eurozone mit fast 47 Millionen Einwohnern?

Politisch befindet sich Spanien in einer Dauersiesta: In diesem Jahr wurde kein einziges neues Gesetz verabschiedet, Initiativen zum Abbau des wachsenden Schuldenberges gibt es nicht. Dabei hat die EU-Kommission dem Defizitland erst Ende Juli aufgetragen, bis zum 15. Oktober neue Pläne vorzulegen, wie es seinen Haushalt in Ordnung zu bringen gedenkt. Noch gibt es einen gültigen Etat, aber sollte für 2017 nicht bald ein Haushalt aufgestellt werden, drohen dem Königreich finanzielle Konsequenzen. Gesetz- und Etatentwürfe darf eine geschäftsführende Regierung aber eben nicht präsentieren.

Im Regierungspalast Moncloa wird nach einem Bericht der Zeitung „El Mundo“ befürchtet, die EU könne Strafen von 6,1 Milliarden Euro verhängen. Das Blatt warnte in einem Leitartikel, Spanien könne im Herbst zum „Kranken Europas“ werden. Die meisten Spanier, die derzeit am Meer urlauben, interessiert das Gezanke in Madrid kaum noch. Die Politikverdrossenheit, von der die Medien in den großen Städten seit Monaten schreiben, wird immer größer.

Aber nicht alle wollen oder können auf der Strandliege entspannen und den Problemen entfliehen. Javier Vega de Seoane, Präsident des Unternehmerverbandes „Círculo de Empresarios“, macht sich große Sorgen und aus seiner Wut keinen Hehl: „Das Verhalten unserer Politiker ist empörend“, schimpfte er im Interview mit der Nachrichtenagentur efe. „Diese Herren“ kümmerten sich „nur um die eigenen Interessen, und nicht um die der Bürger und des Landes.“


Anti-Haltung der Sozialisten ungebrochen

Dabei steht viel auf dem Spiel: Das Verhältnis zu Brüssel, die Konsolidierung der deutlichen aber noch nicht ausreichenden wirtschaftlichen Erholung (Spanien hat mit 20 Prozent immer noch die zweithöchste Arbeitslosenquote der EU) sowie nicht zuletzt die Einheit des Landes. Böse Zungen behaupten, die Regionalregierung Kataloniens habe die politische Instabilität in Madrid dieser Tage ausgenutzt, um die Unabhängigkeitsbemühungen voranzutreiben.

Dennoch halten die Parteien bislang erbittert an ihren jeweiligen Positionen fest. Rajoy, der mit seiner Volkspartei (PP) die Neuwahl Ende Juni ohne absolute Mehrheit gewann und jüngst einen Auftrag von König Felipe VI. zur Regierungsbildung annahm, findet keinen Bündnispartner. „Keine Koalition mit der korrupten PP“ - diesen Satz wiederholen die Sozialisten (PSOE), die linke Protestpartei Podemos und die liberale Ciudadanos fast wie ein Mantra.

Ciudadanos hat sich immerhin bereit erklärt, eine Minderheits-Regierung unter Führung Rajoys zumindest zu dulden - aber bei einer Abstimmung im Parlament über die Kandidatur des 61-Jährigen würde das nicht reichen. PSOE und Podemos machen hingegen total auf Contra. Eine Hauptrolle spielt Sozialistenführer Pedro Sánchez, der Rajoy als Grund allen Übels zurückweist. „Nichts wird die PSOE dazu bewegen, von ihrem absoluten Nein zu einer möglichen Amtsübernahme Rajoys abzuweichen“, brachte es die Zeitung „El País“ auf den Punkt.

Auch zwei Parlamentswahlen im Dezember und im Juni konnten die Blockade nicht entzerren. Jetzt hallt die Warnung nach einem neuen Urnengang durchs Land. „Wenn die Sozialisten auf ihr Nein bestehen, wird es eine dritte Wahl geben“, mahnte Rajoy. „Das wäre absurd“, sind sich die Medien einig. Die Zeitung „La Vanguardia“ spricht von einem „Gespenst“, das auch König Felipe Kopfschmerzen bereite.

Die Bevölkerung erträgt die Hängepartie derweil mit erstaunlicher Gelassenheit, vor allem aber mit Resignation. Sonne, Strand und Hitze lenken von den Alltagsproblemen ab. Das böse Erwachen könnte jedoch noch kommen, wenn der Urlaubsmonat vorbei ist und das kühlere Alltagsleben, aber auch Brüssel wieder in Madrid anklopfen.

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