Hochqualifizierte Warum die Leistungsträger auswandern

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Die promovierte Ärztin Stefanie Robert lebt seit sieben Jahren in London Quelle: J.P. Masclet für WirtschaftsWoche

Forscher Bade glaubt sogar, dass dies erst der Anfang ist. Er beobachtet eine zunehmende Proteststimmung in der Mittelschicht. „Der radikale Schritt des Auswanderns wird auch wegen unseres Steuersystems und der Bevormundungsbürokratie erstmals zu einer ernsthaften Alternative.“ Die Prognos-Studie belegt diesen Zusammenhang. Je höher das Einkommen der Befragten ist, desto wichtiger wird für sie das Auswandermotiv der hohen Steuerlast.

Wenn die Bürger erst einmal das Land verlassen haben und ihnen die Integration in der Fremde gelungen ist, dann will fast die Hälfte nicht mehr zurück. Immerhin 46 Prozent geben an, dass sie sich eine Rückkehr vorstellen können, sieben Prozent planen konkret ihre Rückkehr. Das wichtigste Rückkehrmotiv ist rein privater Natur: Die Auswanderer wollen wieder näher bei den Familienangehörigen leben.

Aus diesem Grund spielt auch Stefanie Robert mit dem Gedanken, nach Deutschland zurückzukehren. Die promovierte Ärztin arbeitet in einer Klinik am Londoner Stadtrand. Ihr Vater, der im westfälischen Dorsten lebt, hat gerade eine schwere Krankheit überstanden. Es geht ihm wieder besser, trotzdem möchte Stefanie Robert künftig näher bei den Eltern wohnen. „Mit zunehmenden Alter wird das für mich immer wichtiger“, sagt sie.

Die 33-Jährige gehört einer Berufsgruppe an, die es besonders häufig ins Ausland zieht, vor allem nach Großbritannien. Die Bundesärztekammer schätzt, dass etwa 19.000 deutsche Ärzte jenseits der Grenze praktizieren, weil sie mit dem Gehalt, den Arbeitszeiten und dem Übermaß an Bürokratie nicht zufrieden sind – Ärzte, die nun in vielen Kliniken und in Teilen Ostdeutschlands auch als niedergelassene Ärzte schmerzlich vermisst werden.

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Auch Stefanie Robert litt unter der starren Krankenhaushierarchie und den strikten Vorschriften. Während des Studiums durfte sie in Deutschland nicht einmal den Patienten Blut abnehmen. Dann ging sie nach Wales und war sofort in das Klinikteam integriert. „Ich wusste gar nicht“, sagt die Ärztin, „wie schön das Arbeiten ohne Bürokratie und starre Hierarchien in einem internationalen Team sein kann.“

Diese Erfahrung hatte sie darin bestärkt, auf Dauer in England zu arbeiten. Seit sieben Jahren lebt die Medizinerin nun auf der Insel. Doch allmählich bekommt das makellose Bild vom Ärzteparadies Großbritannien Flecken. Die Ärztin verzweifelt inzwischen an dem chronisch klammen englischen Gesundheitssystem. „Wenn in einem hochentwickelten Land Notfallpatienten mangels freier Betten abgelehnt werden müssen, kann etwas nicht stimmen.“ Auch die Kriminalität in der Großstadt beunruhigt die junge Frau. Vielleicht, sagt sie, habe sie erst ins Ausland gehen müssen, um zu sehen, dass in Deutschland doch nicht alles so schlecht sei.

Das sieht Wulf Goretzky ähnlich. Der 49-jährige Volkswirt hat die vergangenen 17 Jahre im Ausland als Wirtschaftsförderer und Regierungsberater gearbeitet. Jetzt macht er Schluss mit dem Seemannsleben. „Irgendwann“, sagt er, „will man wissen, wo man hingehört.“ Seine neue Heimat heißt Cottbus, er leitet dort die Wirtschaftsförderung der Stadt und profitiert von seinen internationalen Kontakten. Als er wegging, kam ihm Deutschland zu starr und unbeweglich vor. Jetzt ist er erstaunt, wie gut das Land funktioniert. Goretzky, der in insgesamt 40 Ländern gearbeitet hat, sagt: „Die Deutschen jammern auf verdammt hohem Niveau.“

Viele Auswanderer kommen früher oder später an diesen Punkt. Darin liegt eine große Chance für den Standort Deutschland. Sollte die Ärztin Robert den Entschluss fassen, Großbritannien zu verlassen, kehrt sie fachlich und persönlich gereift zurück. Sie wäre ein Beispiel für das, was Migrationsforscher neudeutsch Brain Circulation nennen: Ein Kreislauf der Besten, ein globales Kommen und Gehen. Die befristete Abwesenheit von Teilen der Bildungselite wäre dann kein volkswirtschaftlicher Verlust, sondern am Ende gar ein Gewinn.

Diese Meinung vertreten viele Forscher, die sich mit den Wanderungen von hoch Qualifizierten beschäftigten. Einer von ihnen ist Oliver Koppel vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln. Er will am Donnerstag eine Studie vorstellen, die die Brain-Drain-Debatte neu befeuern dürfte. Koppel hat sämtliche Wanderungsstatistiken ausgewertet, alle Zu- und Abgänge saldiert und kommt zu dem Ergebnis, dass Deutschland mehr ausländische hoch Qualifizierte anlockt, als es an andere Länder verliert. Genaue Zahlen will er noch nicht preisgeben. Nur so viel: „Das Gerede vom Brain Drain ist Kokolores, es handelt sich eher um ein gefühltes Phänomen.“

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