Humanitäre Katastrophe Die Welt darf Syrien nicht vergessen

Täglich taucht Syrien in den Medien auf – es geht jedoch fast nur noch um die Terrormiliz IS. Dabei tobt dort weiterhin ein Krieg, laut Außenminister Steinmeier die „schlimmste humanitäre Krise unserer Zeit“.

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Ein syrisches Flüchtlingskind im Libanon. Quelle: dpa

Syrien, war da was? Das vom Bürgerkrieg geschundene Land hat in den vergangenen Monaten nur noch mit den Gräueltaten der Terrormiliz IS Schlagzeilen gemacht. In den Hintergrund gerückt sind die vielen unterschiedlichen Konflikte im Land. Seit 2011 dauert der Bürgerkrieg nun an und hat bis jetzt 200.000 Menschen das Leben gekostet. 3,2 Millionen Flüchtlinge sind in die umliegenden Staaten getrieben worden. Insgesamt leiden 12,2 Millionen Menschen unter akuter Bedürftigkeit und Not. Frank-Walter Steinmeier (SPD) sprach jüngst gar von der schlimmsten humanitären Krise unserer Zeit.

Um diese Krise wieder ins Bewusstsein zu rücken, hat sich die Initiative „Adopt a Revolution“ (AaR) gegründet. Sie möchte nun mit einer Youtube-Kampagne wieder das eigentliche Leid der syrischen Zivilbevölkerung in den Vordergrund stellen.

Unter Regie von Elias Perabo ist die Gruppe bereits seit Beginn der Proteste 2011 in Syrien aktiv. Das Ziel: Die Stärkung des unbewaffneten Widerstandes und Schaffung „basis-demokratischer“ und „über-konfessioneller“ Strukturen, wie Perabo, Kopf und treibende Kraft hinter AaR, beschreibt.

Keine leichte Aufgabe in den Wirren eines andauernden Krieges. „Von der anfänglichen Aufbruchsstimmung und Euphorie ist leider nicht mehr viel übrig. Gesellschaftliche Gräben sind weiter auseinander gegangen“, sagt Perabo. Trotzdem habe man immer noch verlässliche Partner vor Ort, mit denen man konsequent zusammenarbeitete. So etwa in der nordöstlichen Stadt Douma, wo man derzeit bestrebt ist eine Bibliothek aufzubauen. Eine von vielen Baustellen.


Nicht jeder Syrer ist ein Demokrat

Der Begriff „Zivilgesellschaft“ ist in Syrien dehnbar. Schon vor dem Krieg war das Land gekennzeichnet durch multipolare Gegensätze: ethnische und religiöse Auseinandersetzungen, Flüchtlingsströme aus Palästina und dem Irak, Politische Repression. Nicht jeder Syrer ist ein Demokrat, und viele sehen im unbewaffneten Widerstand keinen Sinn, zu viel Hass sei geschürt worden. Dennoch ist es die Hoffnung des Politikwissenschaftlers ungebrochen, eine politische Lösung zu erreichen.

Der Schwerpunkt von AaR liegt zwischen Öffentlichkeitsarbeit und konkreter Hilfe vor Ort. Transparenz und Aufmerksamkeit schafft die Gruppe über soziale Medien, Podiumsveranstaltungen und der regelmäßigen Bereitstellung von Informationsmaterial zur aktuellen Entwicklung der Krise in Syrien. Auf ihrer Webseite berichtet sie über derzeitige Projekte und Spendenaktionen, um die syrische Protestbewegung zu stärken. Außerdem versuche man, ein Sprachrohr für oft aus dem Untergrund agierende Aktivisten zu sein, sagt Perabo.

Die Initiative distanziert sich dabei von dschihadistischen Gruppen wie dem Islamischen Staat (IS) und auch vom Regime von Baschar al-Assad. Vielmehr versuche sie demokratische Prozesse zu fördern und dabei „überregional organisierte Netzwerke“ von Aktivisten aufzubauen, die sich für Aufklärungskampagnen und internationale Medienarbeit einsetzen. Allein durch Spenden konnten seit der Gründung von AaR nach eigenen Angaben annähernd 800.000 Euro von mehr als 2.300 Spendern gesammelt werden.

Geld, das gezielt eingesetzt wird: „100 Euro ermöglichen die Miete einer Wohnung als Büro oder Versteck. 200 Euro braucht ein Aktivist im Untergrund monatlich zum Leben“, heißt es auf der Seite.


„Die Menschen sollen wieder hinschauen“

In ihrer neusten Youtube-Kampagne wirbt AaR mit unkonventionellen Mitteln für Unterstützung dieser Projekte. In dem Clip ist ein älteres deutsches Ehepaar auf einer Parkbank in Berlin-Kreuzberg zu sehen. Beide scheinen sich über vergangene Kriegsjahre zu unterhalten: Bombenangriffe, Giftgas, die einschneidende Kälte des Winters – schlicht über das Sterben in einem Krieg. Doch es geht nicht um die eigene Vergangenheit, sondern um die Gegenwart in Syrien: „Das Schlimmste ist, dass das heute passiert und die ganze Welt tatenlos zuschaut”.

Durch das Video will AaR Menschen für den Konflikt in Syrien sensibilisieren: „Indem wir Syrien mit der deutschen Vergangenheit, den Giftgasangriffen des Ersten Weltkriegs und den Städtebombardements des Zweiten Weltkriegs in Beziehung setzen, versuchen wir, den Konflikt hierher zu bringen. Die Menschen sollen wieder hinschauen”, sagt Perabo.

Von den Luftschlägen und anhaltenden Offensive der internationalen Allianz gegen den IS hält der Gründer von AaR derweil nicht sehr viel. Im Fall der belagerten Kurden-Stadt Kobane an der türkischen Grenze könne dies zwar kurzfristig zu einer Entspannung führen, aber langfristig müsse eine politische Lösung mit allen beteiligten Parteien angestrebt werden. Inklusive Saudi-Arabien und dem Iran.  „Man hat aufgehört an eine politische Lösung zu glauben. Eine reine Politik der Eindämmung hat keine Zukunft.“

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