WirtschaftsWoche: Herr Behravesh, wir sprechen anders als 2008/2009 nicht mehr über DIE Krise sondern über eine wahres Sammelsurium an Krisen: China, Terror, Rohstoffpreisverfall, Flüchtlinge, Markt-Chaos. Was davon ist das größte Risiko für die Weltwirtschaft?
Lassen Sie uns die Krisen einzeln sehen. Fangen wir mit der Flüchtlingskrise an, deren größte Auswirkungen ja auf Europa begrenzt sind. Ich glaube, dass das Flüchtlingsthema vor allem eine politische Gefahr ist. Ökonomisch könnte das sogar ein Gewinn für Europa sein: Wenn es gelingt, die vielen Menschen ordentlich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Aber auch, weil die Regierungen viel Geld für die Flüchtlinge ausgeben müssen. Das steigert die Haushalts-Defizite, aber eben auch Wachstum.
Behravesh: Derzeit hat man eher den Eindruck, das Flüchtlingsthema wird zur wirtschaftlichen Last, weil es zu politischer Radikalisierung führt, die letztlich den europäischen Binnenmarkt abwürgen könnte. Schauen Sie sich die Grenzdiskussionen in Frankreich, Großbritannien oder Skandinavien an.
Da ist ein Risiko, das aber durch schlaue Politik zu händeln wäre. Wir werden womöglich mehr Grenzen sehen. Aber ich glaube nicht, dass Schengen stirbt, es ändert sich eher.
Kommen wir zur zweiten Krise. Öl ist diese Woche schon verschenkt worden. Gut kann das doch nicht sein?
Für die meisten etablierten Volkswirtschaften ist das erstmal eine gute Sache. Vor allem den Europäern hilft der niedrige Ölpreis wirklich. Auch den USA hilft es letztlich, obwohl sie viel selbst produzieren. Die großen Rohstoffexporteure sind natürlich angeschlagen: Brasilien, Russland, große Teile des Nahen Osten. Vor allem Saudi Arabien geht es gerade sehr schlecht. Wir erleben da gerade die Geburt einer zweigeteilten Weltwirtschaft.
Man könnte auch sagen einer drei geteilten: Stabilität auf niedrigem Niveau im Westen, Krise in den Schwellenländern – und reines Chaos in China.
China ist derzeit die Wild Card der Weltwirtschaft. Das Land hat einen fiesen Cocktail aus drei Ursachen zu verarbeiten: Der besteht aus strukturellen Problemen, also die hohe Verschuldung im Land und die großen Überkapazitäten in der Industrie. Dann kämpft das Land mit einer Verlangsamung des Wachstums. Aber das schlimmste an China ist das Chaos, was die Politik zuletzt angerichtet hat beim Versuch, die Märkte und die Währung zu beruhigen. Das macht mir wirklich Angst.
Chinesische Wachstumsprognose ist unrealistisch
Kann das Chaos eine neue Weltwirtschaftskrise auslösen?
Ich glaube, Chinas Bedeutung für die Weltwirtschaft wird überschätzt. Es ist keine Wachstumslokomotive für die Weltwirtchat, höchstens für die Schwellenländer. Für die USA etwa spielen Exporte nach China kaum eine Rolle.
Naja, die deutsche Industrie wird das anders sehen.
Stimmt… Deutschland ist da unter den westlichen Ländern eine Ausnahme und hat da ein größeres Problem.
Glauben Sie eigentlich den offiziellen chinesischen Zahlen, wonach die Wirtschaft dort immer noch um zwischen sechs und sieben Prozent in diesem Jahr wachsen wird.
So ein Quatsch. Die chinesische Wachstumsprognose ist nicht realistisch. Ich glaube davon nichts mehr. China wächst vielleicht um vier bis fünf Prozent in diesem Jahr. Mehr auf keinen Fall.
Das sind die wettbewerbsfähigsten Länder der Welt
Während Deutschland im Vorjahr noch auf Rang sechs lag, schafft es die Bundesrepublik in diesem Jahr nur noch auf den zehnten Platz. Der mitteleuropäische Staat steht 2015 vor vielen Herausforderungen. Dazu gehört der Druck, die Energiewende zu meistern, die digitale Transformation der Industrie voranzutreiben und private und öffentliche Investitionen zu fördern.
Bauen kann Deutschland auf seine hoch qualifizierten Arbeitskräfte und eine Politik der Stabilität und Vorhersehbarkeit.
Schweden fällt im Vergleich zu 2014 um vier Ränge von Platz fünf auf Platz neun. Das nordeuropäische Königreich kann besonders mit qualifizierten Arbeitskräften, den stabilen politischen Verhältnissen, einem wirksamen Rechtssystem und einem starken Fokus auf Forschung und Entwicklung glänzen. Auch das Bildungsniveau ist sehr hoch und die Infrastruktur sehr verlässlich.
Auch Dänemark konnte sich im Vergleich zum Vorjahr verbessern, von Platz neun geht es hoch auf Platz acht. Gut schneidet das nordeuropäische Königreich bei Managementpraktiken, Gesundheit und Umwelt sowie Arbeitsstandards ab. Auf dem ersten Rang landet Dänemark in der Kategorie der Regierungseffizienz gleich fünf Mal, denn es zeichnet sich nicht nur durch eine besonders große Rechtstaatlichkeit aus, sondern auch dadurch, dass Bestechung und Korruption kaum eine Chance haben.
Norwegen kann im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von drei Plätzen verzeichnen und landet damit auf dem siebten Platz. Die skandinavische Halbinsel kann vor allem mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen aufwarten, mit denen sie im internationalen Vergleich auf Platz eins landet. Weitere Faktoren, mit denen Norwegen punkten kann, sind im Bereich der Regierungseffizienz zu finden. Chancengleichheit, Transparenz sowie Rechtstaatlichkeit sind nur einige der besonders effektiven Maßnahmen der öffentlichen Hand.
Für Luxemburg ging es von Platz elf im Jahr 2014 hoch auf Platz sechs. Sehr gut schneidet das Großherzogtum im Bereich der politischen Stabilität, der wettbewerbsfähigen Besteuerung, des unternehmerfreundlichen Umfeldes und der qualifizierten Arbeitskräfte ab.
Kanada hat es in diesem Jahr auf Platz fünf geschafft. Im Vorjahr landete der nordamerikanische Staat noch auf Platz sieben des IMD World Competitiveness Ranking. Die gute Platzierung hat Kanada vor allem der Stabilität und Vorhersehbarkeit in der Politik, dem hohen Bildungsniveau, qualifizierten Arbeitskräften und einem wirksamen Rechtssystem zu verdanken. Ganz gut schneidet Kanada auch aufgrund einer unternehmerfreundlichen Umgebung und einer offenen und positiven Haltung ab.
Der vierte Platz geht in diesem Jahr an die Schweiz. Unternehmen aus aller Welt wissen vor allem die sehr gute Infrastruktur des kleinen Alpenstaates zu schätzen. Die hohe Bildung und der Umweltschutz landen gar im Vergleich zu 2014 nicht mehr nur auf Platz drei, sondern gleich auf der Eins. Auch die robuste Wirtschaft, Arbeitsstandards, geringe Entlassungs- sowie Kapitalkosten sind im internationalen Vergleich so gut wie unschlagbar.
Unter die ersten drei schafft es in diesem - wie auch schon im vergangenen Jahr - der Insel- und Stadtstaat Singapur. Besonders punkten konnte das asiatische Land bei Unternehmen in diesem Jahr mit seinem institutionellen Rahmen, der im weltweiten Vergleich auf Rang eins landet. Außerdem liegt Singapur bei der technologischen Infrastruktur sowie der Bildung ganz weit vorne.
Platz zwei geht an die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong. Im Vergleich zum Vorjahr hat die chinesische Metropole zwei Plätze gut gemacht. Unternehmen aus aller Welt schätzen Hongkong insbesondere aufgrund der betriebswirtschaftlichen Gesetzgebung, der Managementpraktiken, der unternehmerischen Einstellungen und Werte und der technologischen Infrastruktur. Ganz gut steht Hongkong auch bei internationalen Investitionen, der Fiskalpolitik und bei den Betriebsfinanzen da.
Die wettbewerbsfähigste Volkswirtschaft der Welt sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Das hat das IMD World Competitiveness Center in seiner aktuellen Vergleichsstudie bekannt gegeben.
Besonders attraktiv finden Firmen in den USA - laut Ranking - die dynamische Wirtschaft (66,2 Prozent), den guten Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten (55,1 Prozent), den starken Fokus auf Forschung und Entwicklung (49,3 Prozent) sowie das unternehmensfreundliche Umfeld (43,4 Prozent).
Punkten können die USA zudem als attraktiver Forschungsstandort. Nachholbedarf gibt es im Bereich der Schulbildung.
Warum hat man das Gefühl, die gesamte Weltwirtschaft ist im Siechtum?
Wir haben eine Situation, die wir fast noch nie hatten: Die westlichen Länder leiden sowohl unter einem Angebots- wie einem Nachfrageproblem.
Welches ist schlimmer?
Ich glaube, auf längere Sicht ist das Angebots-Problem. Seit 2000 sinkt das weltweite Wachstum. Das liegt am Aufstieg der digitalen Technologie. Bis auf einige wenige Pioniere investiert kaum ein Unternehmen nennenswert in diesen Bereich. Hier in Davos müssen wir Wege finden, wie private Unternehmen in Technologie investieren. Die große Gefahr ist, dass alle vor der großen Tech-Revolution stehen und staunen, aber nicht investieren. Das wird eine große Herausforderung, wie man die dazu bringt, auch in dem Bereich Wetten auf die Zukunft einzugehen.
Warum geht das Problem niemand an?
Politik neigt zu sehr dazu, auf die Nachfrageseite zu schauen. Das verspricht schneller Erfolge, vor allem bei Wahlen. China scheint es immerhin in Ansätzen erkannt zu haben. Aber die meisten anderen Länder sind zu kurzfristig orientiert.
Sie sagen 2,5 bis 3 Prozent Wachstum für die Weltwirtschaft in 2016 voraus. Was heißt das für die Arbeitsmärkte?
In den USA erwarten wir zwei Millionen neue Jobs in diesem Jahr. Das ist nicht spektakulär aber gut. In Europa werden es nicht so viele, aber auch da entwickelt sich der Arbeitsmarkt nicht schlecht. Vor allem in den Krisenländern tut sich etwas am Arbeitsmarkt. Langsam, aber immerhin.
Die Gastgeber hier beim Weltwirtschaftsforum in Davos haben eine Studie veröffentlicht, wonach die digitale Revolution und die Übertragung von Arbeit auf Roboter schon kurzfristig Millionen Jobs im Westen vernichtet.
Spannend. Aber ich glaube das nicht. Jede industrielle Revolution bisher hat eben nicht zu Massenarbeitslosigkeit geführt. Diese wird es auch nicht. Vor 20 Jahren hatten wir 100000 Telefonisten. Wie viele heute? Dafür hatten wir damals keine App-Programmierer. Alte Jobs gehen verloren, neue entstehen. So ist das.
"Es gibt keine Alternative"
Aber erleben wir nicht jetzt schon, dass viele Menschen der Entwicklung nicht mehr folgen können und sich radikalisieren – aus Angst, für sie bleibe am Ende immer weniger übrig?
Ungleichheit ist ein großes Thema. Wenn der Kuchen nicht gleich verteilt wird, entsteht politischer Frust. Das ist sicher der Grund, warum Marine Le Pen in Frankreich oder Donald Trump in den USA so populär werden. Ich glaube nicht, dass sie am Ende an die Regierung kommen. Aber sie haben Einfluss, einfach weil sie populär sind. Das ist die Sorge, wenn Ungleichheit zu immer weiterer Radikalisierung führt: dass moderate Politiker auf diese Linien einschwenken und so populistischer werden.
Ist das nicht schizophren: Einerseits verbindet Kommunikationstechnik die Welt wie nie zuvor. Andererseits sehen wir in vielen Bereichen eine politische Renationalisierung.
Ich glaube, dass das goldene Zeitalter der Globalisierung vorbei ist deswegen. Wir werden kein Wachstum des globalen Handels mehr sehen in nächster Zeit.
Aber was ist die Alternative?
Es gibt keine Alternative.
Der Großteil der westlichen Wohlstandsgewinne fußt auf einem stetig wachsenden Welthandel.
Ich würde das nicht nur negativ sehen. Der Handel schrumpft zum einen, weil die Löhne in Schwellenländern steigen, also die Kostenvorteile von Produktionsverlagerungen, die dann Handel nach sich ziehen, nicht mehr so groß sind. Der zweite Grund aber ist, dass die Lieferketten sich durch die 3-D-Drucktechnik massiv ändern. Du musst nicht mehr in Indien produzieren, wenn Du günstig etwas herstellen willst. Dadurch sinkt natürlich der internationale Handel. Das wird eine andere Wirtschaftswelt, aber das muss nicht schlechter sein.
Wie schaffen wir es, dass diese Möglichkeiten nicht zu einem neue wirtschaftlichen Isolationismus führen?
Die Politik ist das Problem. Wir brauchen ein beherztes Eintreten für TTIP und ähnliche Freihandelsabkommen. Ich hoffe, dass die Politik das erkennt. Trump verspricht immer, wenn er Präsident wird, will er Apple zwingen, in den USA die iPhones zu produzieren.
Das wäre wohl eher das beste Rezept, um Apple zu ruinieren.
Das appelliert an ein Bauchgefühl, die Jobs in den USA halten zu wollen. Das Problem ist nur, und da wird Trump an seine Grenzen stoßen: Die Leute lieben ihre billigen iPhones. Sie wollen das nicht verlieren.
Herr Behravesh, zum Schluss: Würden Sie derzeit Ihr Geld noch in die Aktienmärkte stecken?
Das hängt vom zeitlichen Horizont ab. Auf lange Sicht ist das keine Frage, dass sich Aktien lohnen. Kurzfristig aber ist das ein Desaster.