Indonesien Muslime wollen christlichen Politiker vor Gericht stellen

Jakartas christlicher Gouverneur steht wegen Blasphemie am Pranger. Im bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt kann ihn das den Job kosten. Für Indonesien ist es ein Härtetest in Toleranz.

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Jakartas christlichem Gouverneur Basuki Tjahaja Purnama wird von radikalen Muslimen Blasphemie vorgeworfen. Quelle: Reuters

Jakarta Basuki Tjahaja Purnama, Spitzname Ahok, ist ein Mann klarer Worte. Als Gouverneur der indonesischen Hauptstadt Jakarta hat er schon in Talk-Shows geflucht, Stadträte öffentlich beschimpft und seine eigene Religion verrückt genannt.

Doch mit einer Bemerkung könnte sich der chinesischstämmige Christ zu weit vorgewagt haben: Er wirft seinen Gegnern vor, eine Koransure zu nutzen, um ihm bei Wahlen im Februar eine neue Amtszeit zu verwehren. Einige Muslime verstehen besagte Sure als Verbot, Andersgläubige als ihre Anführer zu wählen.

Ein Video mit Purnamas Aussagen tauchte im Internet auf und löste – angefacht von muslimischen Hardlinern – Empörung in dem Land aus. Nun soll der 50-Jährige wegen Gotteslästerung vor Gericht geschleppt werden. Auf den Straßen Jakartas forderten protestierende Muslime seine Verhaftung.

Menschenrechtler sehen die langjährige Kultur der religiösen Toleranz in Gefahr. Fast 90 Prozent der 250 Millionen Einwohner sind zwar Muslime und Indonesien ist damit das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt. Aber das Land war auf seine säkulare Tradition bedacht. Toleranz wird groß geschrieben – bislang.

„Dieser Fall ist höchst beunruhigend“, sagt der Südostasien-Direktor von Amnesty International, Rafendi Djamin. „Mit so etwas können die Behörden kaum noch argumentieren, dass alle Religionen geachtet werden.“

Bei einem ersten Protestzug in Jakarta Anfang November forderten mehr als 100.000 Muslime die Anklage Purnamas wegen Gotteslästerung. Blasphemie ist eine „öffentlich zum Ausdruck gebrachte Feindseligkeit gegen die Religionen“, der Missbrauch oder die Diskreditierung von einer der sechs im Land anerkannten Glaubensrichtungen. Eine ernster Vorwurf, denn im Falle einer Verurteilung sind bis zu fünf Jahre Gefängnisstrafe möglich.

„Diese sehr heikle Angelegenheit ist zu einem nationalen Problem geworden“, sagt der Politikwissenschaftler Djayadi Hanan vom Analyse-Institut Saiful Mujani. „Wenn das nicht ordentlich gehandhabt wird, wird es für politische Instabilität sorgen.“ Amnesty fordert, das Blasphemiegesetz zu kippen. „Es wird oft ausgenutzt, um Leute ins Visier zu nehmen, die anderen Religionen angehören oder einfach andere Meinungen haben“, sagt Djamin.


„Es wird wohl noch mehr Proteste geben“

Mit seiner Amtsübernahme 2014 wurde Purnama der erste Gouverneur der Zehn-Millionen-Stadt aus der oft diskriminierten chinesischen Minderheit. Sein Wahlsieg wurde als Beleg für die gelebte Vielfalt und Demokratie gefeiert. Purnama war Nachfolger von Joko Widodo, der Präsident wurde. Widodo wirft Gegnern nun vor, sie nutzten den Ärger über Purnamas Äußerungen aus, um ihn – Widodo – zu schwächen.

Er solle die Gerichte entscheiden lassen, sagt Syamsuddin Haris vom Indonesischen Wissenschaftsinstitut. „Aber wenn man bedenkt, dass einige Menschen irrational handeln, dann wird es wohl noch mehr Proteste geben, falls das Gerichtsurteil die Menschen nicht zufriedenstellt.“

Radikale Organisationen wie die „Islamische Verteidigungsfront“ gehörten stets zu Purnamas größten Kritikern. Doch zunächst konnten sie kaum die Massen hinter sich versammeln – bis die Koran-Bemerkung einen empfindlichen Nerv vieler Muslime traf. Vor dem Blasphemievorwurf führte Purnama, der sein Amt mit Effizienz führt und die verbreitete Korruption bekämpft, in den Wahlumfragen.

Aber er hat sich Feinde gemacht. Mitarbeiter von Behörden und im Stadtrat stellte er als inkompetent und korrupt dar. Mit anderen verscherzte er es sich, weil er Hausbesetzer und Slumbewohner zur Räumung zwang und in Wohnungen am Stadtrand ansiedelte.

Nun hängt über Purnama das Damoklesschwert eines möglichen Prozesses. Er könnte sich über Monate oder sogar Jahre hinziehen – und am 15. Februar ist die kommende Gouverneurswahl.

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