Inflation/Deflation Die Folgen von Euro-Krise und Staatsverschuldung

Der Euro stürzt ab, die Staatsschulden steigen, und die Europäische Zentralbank wirft die Geldpresse an, um die maroden Staatshaushalte in den südlichen Euro-Ländern zu finanzieren. Das alles schürt die Angst vor einer großen Inflation. Kommt sie wirklich - und wann?

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Mervyn King, Ben Bernanke und Quelle: REUTERS

Noch sind es vier Monate hin bis zum Oktoberfest in München. Aber die Preise für die Maß Bier stehen jetzt schon fest. Bis zu 8,90 Euro wird der Gerstensaft auf der Wies’n kosten, ließ die Stadt München vergangene Woche wissen. Vor einem Jahr kostete die Maß erst 8,60 Euro – macht ein Plus von 3,5 Prozent. Nicht wenig in Zeiten, in denen die Effektivlöhne der Beschäftigten allenthalben stagnieren.

Auch wenn nicht alle Bürger im Herbst auf die Wies’n strömen – die Sorge, dass das Geld bald immer weniger wert sein könnte, treibt die Menschen seit Beginn der Finanzkrise um. In einer aktuellen Umfrage des Forsa-Instituts gaben 54 Prozent der Befragten an, sie hätten große oder sehr große Angst, dass die Lebenshaltungskosten steigen. Das waren zehn Prozentpunkte mehr als im Februar.

Der Grund für die Inflationssorgen ist die Mischung aus lascher Geldpolitik, rasant steigenden Staatsschulden und schwachem Euro. Spätestens nachdem die Bundesregierung mit den Regierungen der anderen Euro-Länder Anfang Mai das 750 Milliarden Euro schwere Rettungspaket für strauchelnde Schuldnerländer auf den Weg gebrachten hat und die Europäische Zentralbank (EZB) ankündigte, Staatsanleihen anzukaufen, schrillten bei den Bürgern die Alarmsirenen. Kein Wunder, war es doch die Kombination aus explodierenden Staatsschulden und dem massenhaften Drucken von Geld, die Deutschland Anfang der Zwanzigerjahre die Hyperinflation beschert hatte.

Flirt mit der Deflation

Wiederholt sich die Geschichte nun? Treiben die hohen Staatsschulden und die Geldschwemme die Teuerungsraten kräftig in die Höhe, oder sind die Inflationsängste pure Hysterie?

Die aktuellen Teuerungsraten geben wenig Grund zur Besorgnis. Im Mai legten die Verbraucherpreise in Deutschland vorläufigen Berechnungen zufolge um 1,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu, im Euro-Raum lag die Inflationsrate zuletzt bei 1,5 Prozent. Rechnet man die Energie- und Nahrungsmittelpreise heraus, liegen die Inflationsraten in Deutschland und der Euro-Zone sogar deutlich unter einem Prozent. „Wir befinden uns in einem Niedriginflationsumfeld mit deflationären Tendenzen“, urteilt Karsten Junius, Geld- und Währungsexperte der DekaBank. In den nächsten Monaten werden Kern- und Gesamtrate der Inflation weiter zurückgehen, prognostiziert er. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, hält es sogar für möglich, dass dann „die Deflationsdiskussion wieder aufflammt“.

Das hat mehrere Gründe:

Rund um den Globus müssen die Regierungen in den nächsten Monaten den Gürtel enger schnallen, um die tiefen Löcher in den Staatshaushalten zu stopfen. Geringere Ausgaben des Staates und höhere Steuern werden die gesamtwirtschaftliche Nachfrage bremsen. Das setzt die Preise unter Druck. Im Euro-Raum wird die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte das Wachstum um 0,5 Prozentpunkte drücken, haben die Ökonomen der Commerzbank errechnet. Um wieder wettbewerbsfähig zu werden, müssen die PIGS-Länder die kräftigen Lohnsteigerungen der vergangenen Jahre korrigieren. Ohne schmerzhafte Lohnkürzungen wird das kaum zu bewerkstelligen sein. Sinken die Lohnkosten, dürften die Unternehmen auch ihre Absatzpreise verringern, um Marktanteile zu gewinnen.

Hochzeit mit der Inflation

Der Aufwärtstrend an den Rohstoffmärkten hat sich abgeschwächt. In vielen Industrieländern zeichnet sich für das zweite Halbjahr 2010 eine langsamere Gangart der Konjunktur ab. Die Impulse vom Lageraufbau lassen nach und die staatlichen Konjunkturprogramme laufen allmählich aus. In China und Brasilien haben wichtige Frühindikatoren für die Konjunktur bereits nach unten gedreht. Die Rohstoffexperten der italienischen Bank UniCredit rechnen damit, dass die Preise für Industrierohstoffe in den nächsten drei bis sechs Monaten zurückgehen werden.Am Ölmarkt drücken die freien Förderkapazitäten der Opec von rund sechs Millionen Fass am Tag sowie die umfangreichen Lagerbestände der OECD-Länder von rund 2,7 Milliarden Fass auf die Preise. Seit Anfang Mai hat sich das schwarze Gold um fast 20 Dollar auf zuletzt etwas über 70 Dollar je Fass verbilligt. Erst im Laufe des nächsten Jahres werde der Ölpreis wieder nach oben tendieren, erwarten die UniCredit-Ökonomen.Die Schieflage der spanischen Sparkassen hat die Bankenkrise in Europa verschärft. Das könnte die Entspannung bei der Kreditvergabe, die sich seit einigen Monaten abzeichnet, infrage stellen. Die Kredite an Unternehmen im Euroraum schrumpften zuletzt um 2,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr, die Geldmenge  M3 stagniert. „Vergeben die Banken keine neue Kredite, wirkt das deflationär“, sagt Thorsten Polleit, Deutschland-Chefvolkswirt von Barclays Capital.

Geld im Überfluss

Daher kann es nicht verwundern, dass für die Teilnehmer an den Finanzmärkten Inflation derzeit kein Thema ist. Für die Zeit von 2015 bis 2020 rechnen sie im Schnitt nur mit einer Teuerungsrate von knapp 2,4 Prozent – gerade mal 0,4 Prozent über dem Inflationsziel der EZB.

Für Commerzbank-Chefökonom Krämer ist das jedoch kein Grund, Entwarnung an der Preisfront zu geben. „Die Märkte denken kurzfristig und übersehen die langfristigen Trends“, sagt Krämer. „In den nächsten ein bis zwei Jahren werden wir noch mit der Deflation flirten, doch danach kommt die Inflation“, prophezeit der Commerzbanker.

Entscheidend dafür ist die massive Geldschwemme, mit der die Zentralbanken rund um den Globus die Wirtschaft in den vergangenen Jahren geflutet haben. Im Euro-Raum ist die Geldmenge M3, die neben Bargeld, Sicht-, Termin- und Spareinlagen auch Anteile an Geldmarktfonds umfasst, seit der Einführung des Euro schneller gewachsen als es der Referenzwert der EZB von 4,5 Prozent vorsieht. In der Spitze lag der Geldbestand um 33 Prozent über dem stabilitätsge-rechten Niveau. Durch die schwächere Kreditvergabe infolge der Finanzkrise hat sich die Differenz seit Jahresende 2008 zwar etwas zurückgebildet, doch liegt M3 derzeit noch immer um 24 Prozent über dem Zielwert.

Finanzsektor mit milliardenschweren Geldspritzen versorgt

Die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte zeigt: Schwillt die Geldmenge stark an, steigen früher oder später auch die Preise für Güter, Dienstleistungen und Vermögensaktiva.

„Das Geldmengenwachstum ist im Augenblick nahezu null“, sagt EZB-Direktoriumsmitglied Jürgen Stark. Tatsächlich stagniert M3 seit der Lehman-Pleite. Doch wenn sich der Aufschwung festigt, dürfte auch die Kreditvergabe der Banken wieder anziehen. Erste Zeichen dafür sind bereits vorhanden. Im März vergaben die Banken in der Euro-Zone 2,6 Prozent mehr Kredite an private Haushalte für den Wohnungsbau als im Vorjahr.

Das nötige Zentralbankgeld für eine höhere Kreditvergabe haben die Geschäftsbanken. Denn nach der Lehman-Pleite haben die Notenbanken den Finanzsektor mit milliardenschweren Zentralbankgeldspritzen versorgt. In der Euro-Zone ist die monetäre Basis – die Summe aus Bargeld und Zentralbankguthaben der Geschäftsbanken – seither um rund 50 Prozent gestiegen.

Die Geschäftsbanken bestimmen

Ein Ende ist nicht absehbar. Seit Anfang Mai kauft die EZB den Banken Staatsanleihen der PIGS-Länder ab. Im Gegenzug schreibt sie ihnen Zentralbankgeld auf ihren EZB-Konten gut. Zwar betonen die Euro-Hüter, dass sie das Geld durch umgekehrte Leihgeschäfte wieder absaugen. DekaBank-Ökonom Junius hält das jedoch für einen plumpen „Marketingtrick“. Tatsächlich saugt die EZB das Zentralbankgeld nicht ab, sondern bietet den Geschäftsbanken an, dieses verzinslich für eine Woche bei ihr anzulegen. Nach Ablauf der sieben Tage können die Banken dann entscheiden, ob sie das Geld erneut bei der EZB anlegen oder lieber Kredite damit vergeben.

Hinzu kommt: Wegen der Schuldenkrise bietet die EZB den Geschäftsbanken im Rahmen ihrer Refinanzierungsgeschäfte an, sich so viel Zentralbankgeld, wie sie benötigen, bei der EZB auszuleihen. Folge: Nicht mehr die EZB, sondern die Geschäftsbanken bestimmen, wie viel Zentralbankgeld ins Finanzsystem fließt.

Dass die EZB und die anderen großen Zentralbanken den Geldhahn wieder zudrehen, bevor die Inflation anspringt, ist zweifelhaft. Denn um die riesigen Schuldenberge in den Staatshaushalten abzutragen, gibt es im Prinzip nur vier Möglichkeiten: Sparen, Wachstum, Staatspleiten – und Inflation. Da die Politiker Staatspleiten fürchten wie der Teufel das Weihwasser, hohe Wachstumsraten nicht in Sicht sind und hartes Sparen die politische Mehrheit kostet, dürfte schon bald „der Druck auf die EZB zunehmen, höhere Inflationsraten zuzulassen“, prophezeit Barclays-Ökonom Polleit.

Money Matters

Zwar lassen höhere Inflationsraten die Zinsen und damit die Refinanzierungskosten des Staates steigen. Doch je länger die Restlaufzeiten der Altschulden des Staates ausfallen, desto geringer ist die Gefahr, dass die Regierung ins offene Messer steigender Zinsen läuft. In Deutschland ist die Restlaufzeit der Staatsschulden mit 5,8 Jahren vergleichsweise niedrig. Dagegen weisen Griechenland (7,7 Jahre), Italien (7,2 Jahre), Frankreich (6,9 Jahre) und Spanien (6,7 Jahre) deutlich längere Restlaufzeiten auf. Ihnen würden inflationsbedingt höhere Zinsen daher nicht so schnell weh tun wie Deutschland. Das spricht dafür, dass der Druck auf die EZB zu höherer Inflation vor allem aus diesen Ländern kommen wird.

Dass die Euro-Hüter sich politischem Druck widersetzen werden, glaubt spätestens seit dem Einknicken der EZB beim Ankauf von Staatsanleihen ohnehin niemand mehr. „Die EZB ist näher herangerückt an die Politik und wird weniger Widerstand gegen den Druck zur Inflation leisten“ urteilt Krämer. Zumal dann, wenn auch die anderen großen Zentralbanken wie die US-Notenbank Fed und die Bank von England es mit dem Stabilitätsversprechen in den nächsten Jahren nicht so genau nehmen sollten. Schon jetzt fordern Ökonomen in den USA, in den nächsten Jahren mehr Inflation zu wagen, um die Schulden des Staates real abzuschmelzen.

Teuerungsschübe aus dem Ausland

Je lascher die EZB die Zügel hält, desto weicher wird der Euro auch nach außen. Wertet der Euro gegenüber den anderen wichtigen Währungen ab, werden die Einfuhren nach Deutschland teurer. Das treibt die Verbraucherpreise in die Höhe. Nach Berechnungen der Ökonomen der Société Générale lässt allein schon der jüngste Kurssturz die Inflation um 0,3 bis 0,6 Prozentpunkte steigen. Von dem jüngsten Rückgang des Ölpreises auf Dollar-Basis haben die deutschen Autofahrer daher kaum etwas gespürt.

In den nächsten Jahren könnten aus dem Ausland weitere Teuerungsschübe auf die deutsche Wirtschaft zukommen. Denn viele Länder Asiens haben ihre Währungen an den Dollar gekoppelt. Um zu verhindern, dass ihre Währungen aufwerten, halten sie den Abstand ihrer Zinsen zu den Zinsen in den USA konstant, obwohl für ihre Wirtschaft wegen des hohen Wachstums höhere Zinsen angemessen wären. Die viel zu lasche Geldpolitik droht daher die Konjunktur in Asien zu überhitzen und die Preise kräftig in die Höhe zu treiben. In China kletterte die Teuerungsrate im April auf 2,8 Prozent – das höchste Niveau seit 18 Monaten.

Auslastung der Industrie

Steigende Weltmarktpreise und ein schwacher Euro – das ist die klassische Kombination für importierte Inflation. Schon jetzt spüren die Unternehmen den Druck. Bei der jüngsten Einkaufsmanagerumfrage in der deutschen Industrie klagten nach Angaben des Finanzdienstleisters Markit die befragten Manager über „eine generelle Verteuerung der Vormaterialien“. Der Kostenanstieg fiel so hoch aus wie seit fast zwei Jahren nicht mehr.

Dabei dürfte es den Unternehmen zunehmend gelingen, die höheren Bezugskosten in die Absatzpreise zu überwälzen. Denn die Kapazitätsauslastung in der deutschen Industrie hat sich seit dem Tiefpunkt vor einem Jahr um neun Prozentpunkte auf nunmehr knapp 80 Prozent kräftig erhöht. Damit liegt sie nur noch rund drei Punkte unter ihrem langjährigen Durchschnitt von 83 Prozent. Belebt sich die Konjunktur weiter, können die Betriebe ihren Kunden höhere Preise abknöpfen. Commerzbank-Chefökonom Krämer erwartet daher „für die Jahre ab 2013 Inflationsraten zwischen drei und vier Prozent“.

Behält er recht, dauert es wohl nicht mehr lang, bis die Maß Bier auf der Wies’n mehr als zehn Euro kostet.

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